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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 582 / 19.4.2013

Die Pflege eines sexistischen Ressentiments

Gender Die im Anschluss an den #Aufschrei geführte Debatte über die Krise von Männlichkeit ist eine Form altbewährten Konservatismus

Von Claire Horst

Die Debatte über Alltagssexismus, ausgelöst durch den von der Feministin Anne Wizorek initiierten Tweet #Aufschrei, hat einen alten Topos wiederbelebt: den Topos von den »Männern in der Krise«. Seit Jahrzehnten wird das Bild immer wieder bemüht und neu aufgewärmt. In dem Moment, da der Glaube an Sozialsysteme, Arbeitsverhältnisse, eine funktionierende Wirtschaft schwindet, wird eine »Männlichkeit« angerufen, die als Fels in der Brandung steht. Sie soll ihren Trägern weiterhin eine Identität stiften - wenn da nicht Feminismus und Gender Mainstreaming wären, die den »männlichen Leistungsträgern« diesen letzten Strohhalm auch noch nehmen wollen. Und jetzt sollen sie auch noch Sexisten sein.

Wer nur die Leitartikel der großen Zeitungen verfolgt, könnte schnell davon überzeugt sein, dass die Revolution in Deutschland längst stattgefunden hat - die feministische Revolution, versteht sich. Nicht nur ist die Regierungschefin weiblich, sondern Frauen bestimmen auch über sämtliche weiteren Bereiche des Lebens. »Frauen geben den Ton an«, behaupten Elisabeth Niejahr und Bernd Ulrich in der Wochenzeitung DIE ZEIT. Dieselbe Zeitung rief Ende 2012 das »Ende des weißen Mannes« aus: »Tatsächlich stirbt nicht eine Hautfarbe aus und auch kein Geschlecht ab, sondern ein Habitus, allerdings einer, der jahrtausendealt ist, der hundertfach von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde.« Die AutorInnen sind überzeugt davon, dass nun Frauen und People of Color kurz vor der Machtübernahme stehen - wenn sie nicht längst am Ziel sind.

Szenario Verteilungskämpfe

Bedroht ist also der weiße Mann, bedroht von dem Schreckensszenario, Macht abgeben zu müssen. Die wachsende wirtschaftliche Bedeutung ehemals kolonialisierter Staaten löst diese Ängste ebenso aus wie die Errungenschaften der Frauenbewegung. Aus dem Integrationsdiskurs ist das Schema bekannt: In dem Moment, da MigrantInnen nicht mehr nur als arbeitende Gäste bzw. Bittstellende abqualifiziert werden können, da statt über Toleranz und Integration über gleiche Rechte gesprochen wird, keimen Ängste auf, die eigenen Pfründe könnten neu verteilt werden. In dem Moment, da ehemals Kolonialisierte Anspruch auf die eigenen Güter, auf Teilhabe am großen Kuchen erheben, keimt ein neuer Rassismus auf.

In Bezug auf die Gleichstellung von Frauen und Männern lässt sich exakt der gleiche Mechanismus beobachten. Und die Angst vor der weiblichen Übermacht hat Tradition: Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts formierte sich Protest gegen die Aktivitäten der Suffragetten, die für ein allgemeines Frauenwahlrecht eintraten. Der 1912 gegründete »Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation« fantasierte bereits damals eine Frauenherrschaft herbei - zu ihrer Überzeugungskraft benötigte dieses Schreckensbild damals wie heute nicht unbedingt eine reale Entsprechung.

Veränderte Rollenbilder

Ebenso wie in der Weimarer Republik sind es natürlich auch heute reale Veränderungen, die diese Abwehr auslösen. Es sind nicht mehr allein die Männer, die Anspruch auf erfüllende Arbeitstätigkeit erheben, die über den eigenen Lebensentwurf entscheiden wollen. Zugleich brechen infolge des neoliberalen Wirtschaftssystems alte Gewissheiten auseinander: Auch für Männer besteht keine Garantie mehr, eine kontinuierliche Erwerbsbiografie durchleben zu dürfen. Der Soziologe Michael Meuser spricht von einem »Kern bisheriger Männlichkeitskonstruktionen«, der im industriegesellschaftlichen Normalarbeitsverhältnis bestehe. Mit dem Verlust dieses Kerns gehe den weißen, heterosexuellen Angehörigen der westeuropäischen Mittelschichten ein wichtiges Mittel der Abgrenzung verloren. Denn auch sie sind zunehmend in prekären Verhältnissen beschäftigt.

Zugleich erleben auch Männer die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit, müssen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verhandeln. Dieser erste Schritt zu mehr Geschlechtergerechtigkeit reicht vielen schon aus, um einen Verlust von Männlichkeit zu beklagen. Statt die Ursachen anzugehen, die zur Prekarisierung aller führen, wird ein veraltetes Männerbild heraufbeschworen, dem zufolge der männliche Alleinverdiener (nicht nur) finanzielle Sicherheit für Frau und Kind garantieren konnte.

Statt das Fortbestehen traditioneller Männlichkeitsbilder zu kritisieren oder für umfassende Chancengleichheit einzutreten, wird beklagt, dass Männer heute kaum noch wüssten, ob sie einer Frau die Tür aufhalten oder sie ihr ins Gesicht werfen sollten - so werden Fragen sozialer Gerechtigkeit zu albernen Diskussionen über Umgangsformen bagatellisiert.

Sündenbock Feminismus

Auffällig ist aber nicht nur, dass die vermeintliche »Krise der Männer« häufig eher mit der Allmacht des Feminismus begründet wird als mit ökonomischen Entwicklungen. Interessant ist auch, dass marginalisierte Gruppen in diesen Debatten überhaupt nicht vorkommen. Einzig der Mann als entthrontes Wesen scheint ein Krisenopfer zu sein. Welche Auswirkungen die Krise des Kapitalismus etwa auf Women of Color hat, spielt keine Rolle. Ines Kappert hat das in ihrem Buch »Der Mann in der Krise« treffend in Worte gefasst. Die beständige Beschwörung der Krise der Männer solle vor allem ausdrücken, »dass eine Gesellschaft, die selbst ihre normalsten Vertreter nicht glücklich zu machen imstande ist, sich selbst ihre Legitimation entzieht.«

Inszenierung eines Tabus

Wenn es sogar die weißen Oberschichtsmänner trifft, soll das heißen, stimmt etwas nicht in dieser Gesellschaft. An der Marginalisierung aller anderen gibt es wenig auszusetzen. Damit ist zudem klar, was eigentlich das Ziel der immer wiederkehrenden Krisendiskussion ist: die Aufrechterhaltung des eigenen Status. Dabei wird ein Schachzug angewendet, der aus der Debatte um das vermeintliche Patriotismusverbot in Deutschland bekannt ist: Es wird ein Tabu behauptet, um dieses dann mit Getöse zu »brechen«. Modus Operandi: »Man wird doch noch sagen dürfen.«

Wie es in Deutschland angeblich ein Tabu sei, von deutschen Opfern zu sprechen und die Liebe zum Vaterland auszudrücken, soll es ein Tabu sein, von biologischen Geschlechterunterschieden zu sprechen oder Anerkennung für die Schwäche der Männer zu fordern. In derselben Weise, wie der Patriotismus als »Kampf gegen ein Meinungsdiktat« unvermindert fortbestehen kann, inszenieren sich antifeministische Bewegungen als Kampf gegen ein angebliches gesellschaftliches Diktat der Frauenbegünstigung. Der Soziologe Walter Hollstein behauptet in einem aktuellen Essay für die Bundeszentrale für politische Bildung, dass es »seit geraumer Zeit an Empathie für das männliche Geschlecht fehlt. Jungen und Männer haben - wohlgemerkt für ihre geschlechtsspezifischen Anliegen - keine Advokaten.«

Spätestens seit der ersten PISA-Studie wird die angebliche Benachteiligung von Jungen beklagt. Aus dem schlechteren Abschneiden von Jungen wird gefolgert, dass ihre (irgendwie biologisch begründeten) Bedürfnisse in der Schule nicht angesprochen würden. »Während die Leistungen der Mädchen immer besser werden, stecken die Jungen in der Krise. Warum steht niemand auf und protestiert? Die systematische Benachteiligung von Jungen müsste uns doch erschüttern«, schrieb die FAZ schon 2007. Niemand protestiert, protestieren rechtsgerichtete Männerrechtler, AntifeministInnen und konservative FeuilletonistInnen seit eh und je.

Dass die Leistungsunterschiede keineswegs so groß sind wie behauptet, dass sie andererseits schon in den 1970er Jahren gleich groß waren, als der Bildungsbereich keineswegs »feminisiert« war, wird dabei ebenso wenig zur Kenntnis genommen wie die Tatsache, dass sich die besseren Abschlüsse der Mädchen bisher in keiner Weise auf ihre berufliche Laufbahn ausgewirkt haben. Argumente dafür, dass Männer das benachteiligte Geschlecht sind, finden sich massenweise - von der Männergesundheit über den Militärdienst bis zum Sorgerecht. Autoren wie FAZ-Feuilletonchef Frank Schirrmacher warnen zudem vor der weiblichen Übermacht in Medien und Kultur.

Ernüchternde Realität

Selbst die naivsten LeserInnen müssten sich allerdings spätestens hier wundern. Das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern liegt in Deutschland mit 22 Prozent OECD-weit an dritter Stelle. Bei den FreiberuflerInnen beträgt der Einkommensunterschied sogar 63 Prozent. 28 Prozent der Führungskräfte und weniger als vier Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der DAX-Unternehmen sind Frauen. Alles keine Argumente, meinen die AutorInnen Niejahr und Ulrich von DIE ZEIT: Denn »für eine kulturelle Hegemonie wird nicht unbedingt eine größere Frauschaftsstärke gebraucht.«

Auch auf der privaten Ebene sind die realen Veränderungen ziemlich ernüchternd: Frauen verbringen täglich zwei Stunden mehr mit dem Haushalt als Männer. Seit der Reform der Elternzeit gehen inzwischen zwar mehr Väter in Elternzeit: 2007 waren es nur neun Prozent, im 2. Halbjahr 2010 schon 25 Prozent. Davon nehmen die meisten allerdings nur zwei Monate. Zwischen Selbstwahrnehmung und Realität klaffen riesige Lücken: Gefühlt sind die »neuen Väter« in der Mehrheit, real sind sie eine verschwindend geringe Minderheit.

Der Mann in der Krise? Bislang gelingt es noch ganz gut, althergebrachte Rollenbilder zu halten. Was Männer gelernt haben, ist, ihre Ressentiments besser zu verpacken. Nur die ganz Altbackenen wagen es noch, Frauen offen auf ihre Plätze zu verweisen. Die anderen machen das geschickter, indem sie sich als Modernisierungsverlierer inszenieren, um dann weiterhin auf ihren vermeintlichen Rechten zu beharren.

Mit einem haben die KrisenbeschwörerInnen allerdings recht: Auch wenn im Widerspruch zur viel beschworenen Krise der Männer die männliche Hegemonie bisher nicht überwunden wurde, gerät sie zumindest unter Legitimationsdruck. Und als Ausdruck dieses Legitimationsdrucks kann das ewige Gerede von der Krise des Mannes wahrscheinlich verstanden werden.

Claire Horst arbeitet als Journalistin in Berlin und bloggt auf claire-horst.de