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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 582 / 19.4.2013

Meinung

FEMEN-Proteste bekommen das Prädikat inhaltsleer

Sie erschienen wie aus dem Nichts und sind seitdem nicht mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein wegzuradieren: Die Aktivistinnen der Gruppe FEMEN, die sich selbst als feministisch, gar »sextremistisch« labeln. Bereits 2008 in der Ukraine gegründet, schaffen sie es, vor allem seit einigen Monaten mit ihren provokativen und streitbaren Aktionen, internationale Aufmerksamkeit zu gewinnen. Der Aktivismus der FEMEN arbeitet mit Schlagworten, mit denen sie auf breite Aufmerksamkeit und große Zustimmung stößt: Für Selbstbestimmung, gegen Sextourismus und Prostitution, gegen »Islamismus«, Vladimir Putin und für Oben-Ohne-Proteste.

So weit, so schlecht. Denn was die größte Stärke der FEMEN ist - hohe Aufmerksamkeit und mediale Reichweite durch Provokation -, ist zugleich ihre größte Schwäche. Fast inhaltsleer und intellektuell kaum unterfüttert werden die Protestprojekte durchgeführt und von den FEMEN kommentiert. Ziel sei es schließlich, die breite Masse anzusprechen, also auch solche Menschen, die für komplexes feministisches und aktivistisches Vokabular nicht zu haben sind.

Über die Verknüpfung verschiedener Feminismen lässt sich durchaus nachdenken. Interessant ist jedoch, dass die FEMEN scheinbar nicht den Anspruch haben, sich tatsächlich durchdacht mit politischen und sozialen Missständen auseinanderzusetzen. So werden als Kern des Patriarchats etwa Diktatur, Kirche und Sexindustrie genannt. Einsichten in sexistische Strukturen und Machtmechanismen fehlen. Und das Ganze zieht sich wie ein roter Faden durch die FEMEN-Arbeit: Hauptsache, die Bilder sind bunt und nicht mit politischem Inhalt überfrachtet.

FEMEN gelingt mit ihrer Praxis ein ganz wunderbarer »Feminismus« für die BILD-Zeitung. Die ist zum Glück auch schon von selbst auf die Idee gekommen und begleitete jüngst deutsche FEMEN-Aktivistinnen vom Frühstück bis zur actiongeladenen Ohne-Shirt-Demo auf der Hannover-Messe. Danach titelte sie: »Die Nackt-Attacke auf die Kanzlerin«.

Natürlich gibt es auch eine deutsche Fraktion der FEMEN. Auch diese fällt bisher nicht sonderlich mit durchdachten Aktionen auf: Barbusigkeit ist die oberste Regel und danach kommt scheinbar lange nichts. Gebetsmühlenartig werden zum Beispiel bei aufkommender Kritik an den FEMEN-Aktionen auf der öffentlichkeitswirksamen Website von FEMEN Germany Statements veröffentlicht, die wie aus der Mutterzentrale diktiert wirken. Zum Beispiel nach den antisemitisch und islamfeindlich eingefärbten Aktionen der letzten Wochen. Etwa bei der Aktion gegen den »Sexindustriefaschismus« in Hamburg unter dem Motto »Fickt die Herbertstraße«, die im Anschluss mit Hakenkreuz verzierten Fotos beworben wurde, oder auch dem »Topless Jihad Day«, der unter anderem vor einer Berliner Moschee »gefeiert« wurde.

Auffallend ist auch, dass FEMEN sich um keinerlei Anschluss an vorhandene feministische (Netz-)Diskurse und Ressourcen bemüht und auch keinen Wunsch äußert, mit bereits vernetzten AktivistInnen in Austausch zu treten - trotz eines sehr großen Netzwerks an diversen GesprächspartnerInnen in Deutschland. FEMEN Germany scheint eher hochgradig daran interessiert zu sein, auf keinen Fall mit etwas in Zusammenhang gebracht zu werden, das sie irgendwie als tatsächlich antisexistisch, antiheteronormativ oder antirassistisch labeln könnte. Von intersektional, also einer politischen Perspektive,die gar die Überlagerung diverser Erfahrungen von Diskriminierung in den Blick nimmt, ganz zu schweigen.

Stattdessen drängt sich bei der Durchsicht sämtlicher Materialien zur FEMEN-Öffentlichkeitsarbeit der Eindruck auf, dass eben mit genau diesen rassistischen, antisemitische, heteronormativen und antiqueeren sowie sämtlichen Elementen des »Male Gaze«, dem männlich kontrollierten »neugierigen« Blick, nicht nur kokettiert, sondern ganz offenherzig umgegangen wird - zumindest so lange, bis ein Shitstorm sämtlicher GegnerInnen der Bewegung die protestierenden »Sextremistinnen« mal wieder zu einem Statement zwingt, das sich FEMEN dann in einem scheinbar sehr komplexen Prozedere abringt.

Denn auch wenn der Inhalt schon einigermaßen flach zu sein scheint: Die Hierarchie der FEMEN ist es scheinbar ganz und gar nicht. Letzten Endes muss, wenn es ganz dicke kommt, immer die »Godmother of FEMEN«, Inna Chevtchenko, zur letzten Parole bestellt werden, bevor irgendjemand anderes den Mund aufmachen darf - und Chevtchenko ist sich dabei sogar nicht zu peinlich, mit Statements veröffentlicht zu werden, die den Charme eines hakenden Google-Translators haben.

Doch was steckt hinter alledem? Reine Unwissenheit oder tatsächlich eine krud angelegte politische Ideologie? Oder ist der Sexismus der FEMEN-Bewegung nichts anderes als die Ausgeburt eines massiven Backlashs? Ein Ausdruck dafür, dass das, was sonst eigentlich in die Agenda einer Gegenkultur gehört(e), nun anbiedernd mit dem Sexismus des Patriarchats gemeinsame Sache macht? Würde das wundern in Zeiten, in denen auch renommierte »FeministInnen« eines ganz anderen (nämlich weniger problematischen) Kalibers als dem der FEMEN, MaskulinistInnen ein Forum bieten, um ja nicht in den Verdacht einer radikalen Ausschlusspolitik zu geraten?

Mittlerweile gibt es auch eine Bewegung sich organisierender Ex-FEMEN, die unter anderem via Facebook Einblick in die zum Teil sehr fragwürdigen Rekrutierungs- und Arbeitspraxis der FEMEN gibt. Wichtige Fragen werden dort formuliert: Wer sponsort die FEMEN? Was sind die eigentlichen Interessen (hinter) der Bewegung? Was passiert mit den Fotos von FEMEN-Frauen, sollten sie eines Tages beschließen, nicht mehr für die Bewegung aktiv zu sein? Und so weiter.

Derweil haben Teile der Aktivistenszene Deutschlands vorerst schon ihr eigenes Urteil gefällt: FEMEN, so hieß es in den letzten Tagen hier und dort, sei im Prinzip nichts anderes für den Feminismus als PETA für den Tierschutz.

Nadia Shehadeh

Nadia Shehadeh muss bei FEMEN immer an den Song »Bettina, zieh dir bitte etwas an« von Fettes Brot denken und bloggt unter shehadistan.com.