Die neue Gefahr: aufwieglerische Rockmusik
Deutschland In Dresden begann der Prozess gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König
Von Maike Zimmermann
»Man hat Angst, die Macht zu verlieren«, sagte Frank von der Initiative Sächsische Demokratie im Februar in ak 578 im Zusammenhang mit der Verurteilung von Tim, dem »Mann mit dem Megafon«. Gemeint waren das seit 20 Jahren CDU-regierte Sachsen und sein Justizapparat. Was die Proteste gegen Europas damals größten Neonaziaufmarsch in den Jahren 2010 und vor allem 2011 in Dresden angeht, wird mit harter Hand durchgegriffen - und dabei nicht selten und nicht nur ein wenig über die Stränge geschlagen.
»Hier spiegelt sich eine bestimmte Auffassung von Grundrechten und Demokratie«, meint Oliver Preuss, Mitarbeiter bei der Jungen Gemeinde (JG) Stadtmitte in Jena. Preuss ist auch Pressesprecher der Soligruppe um Lothar König. Der Stadtjugendpfarrer ist der »Mann mit dem Lautsprecherwagen«. Analog zur Anklage gegen Tim soll König laut Staatsanwaltschaft am 19. Februar 2011 in Dresden von seinem Lautsprecherwagen aus DemonstrantInnen - »darunter gewaltbereite Linksautonome« und »teilweise vermummte Menschen« - »dirigiert« und zur Gewalt gegen PolizistInnen aufgehetzt haben. (Spiegel Online, 4.4.2013)
Gelächter im Gerichtssaal
Mutmaßlich nutzte er dafür eine besonders gefährliche Waffe, nämlich: anheizende Musik. Immerhin wurde unter anderem »Paint it Black« von den bad boys, den Rolling Stones, gespielt. Allerdings stand König nicht an den Turntables, sondern saß am Steuer seines blauen VW-Busses. Aber für einen schweren Landfriedensbruch reicht das offensichtlich aus. »Von der Staatsanwaltschaft wird eine riesige Szenerie aufgemacht«, sagt Preuss. »Erst wird das Bild gezeichnet: Überall werden Sachen angezündet, überall kommt es zu Gewalttaten. Und dann kommt: Lothar König hat Musik abgespielt.« Es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn Michael Bartsch in der taz über den Prozessbeginn am 4. April in Dresden berichtet: »Bei der Verlesung der Anklageschrift brandete ... wiederholt bei den 40 Journalisten und rund 70 Zuhörern Gelächter über die Vorwürfe auf.« (taz.de, 4.4.2013)
Wenn nicht eine unter Umständen langjährige Freiheitsstrafe drohen würde, könnte man den Prozess als absurde Realityshow, angefüllt mit Ungereimtheiten, abhaken. Die Auswirkungen sind jedoch durchaus ernst - und nicht nur wegen des möglichen Strafmaßes von mehr als zehn Jahren. »Durch diesen Prozess gerät für Lothar König das ganze Grundvertrauen in den Rechtsstaat ins Wanken«, sagt Preuss. »Das zehrt unheimlich an der Kraft.«
Menschen wie Lothar König stören das sächsische Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Denn Menschen wie er machen Dinge, weil sie von deren Richtigkeit überzeugt sind und nicht das, was den Ordnungskräften am liebsten wäre. Gegen etwas zu protestieren, ohne das vorher ordentlich anzumelden, scheint da vielen schon ein Dorn im Auge zu sein. Offensichtlich vergisst man in Sachsen gerne mal, dass auch unangemeldete Demonstrationen grundrechtlich geschützt sind und dass die Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit Grundpfeiler der Demokratie sind - geplant, spontan, angemeldet oder unangemeldet spielt dabei keine Rolle.
Aber Lothar König soll nicht einfach seine Meinung gesagt, sondern Menschen vorsätzlich beeinflusst haben. »Da stellt sich die Frage: Was bin ich denn für ein Meinungsführer? Ich sage doch jungen Leuten nicht, was sie zu tun oder zu lassen haben.« Seit Jahren begleitet der Pfarrer junge Leute und steht ihnen bei - so auch am 19. Februar 2011.
Über diesen Tag gibt es diverse Videoaufnahmen. Dort hört man unter anderem, wie König über Lautsprecher sagt: »Leute, kommt mal, wir sind hier so viele, einfach weitergehen, geht mal weiter. Da sind nicht so viele. Keine Schilde, keine Schutzsachen, die Polizei.« Die Staatsanwaltschaft wertet diese Ansage als »Aufruf zur Gewalt gegen wehrlose Polizisten«. König stellt klar: »Die Demonstranten hatten Angst vor der Polizei. Mein Anliegen war, dass sie sich um den Lautsprecherwagen versammeln, ich wollte ihnen die Angst nehmen.« (Spiegel Online, 2.4.2013)
Ein Schutzraum in Jena: die JG Stadtmitte
Das macht König schon seit vielen Jahren, und zwar bei weitem nicht nur bei Demonstrationen. Seit 1990 ist er Pfarrer der Jungen Gemeinde Stadtmitte. Zu Beginn der 1990er Jahre organisierte er ein Fußballspiel, auch mit rechten Jugendlichen. Die griffen dann vermeintlich linke Jugendliche an. König merkte: Das funktioniert so nicht. Er zog die Reißleine, sprang nicht auf den Zug der damals aufkommenden akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen auf. Die JG Stadtmitte wurde zum Schutzraum, hier trafen sich junge Leute vom Antifa bis zum nicht-politisierten Jugendlichen. Bis Ende der 1990er Jahre wurden die Räumlichkeiten ständig von Neonazis angegriffen, bis zu viermal in der Woche. Hinzu kamen Anfeindungen von öffentlicher Seite; in der JG würden Jugendliche zwangspolitisiert, hieß es. Dies war genau die Zeit, als sich die »Bombenbastler von Jena« zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) entwickelten. Lothar König kannte auch sie, das spätere »Zwickauer Trio«.
»Gerade jetzt, mit dem Auffliegen des NSU, haben sich die Nazis merklich zurückgezogen«, sagt Oliver Preuss. Schon zuvor sei ihnen ein wichtiger Rückzugsraum abhanden gekommen, als das »Braune Haus« in Jena im Jahr 2009 wegen Bauarbeiten gesperrt wurde. »Das Naziproblem hat sich allerdings eher verlagert«, sagt Preuss, »und zwar in den ländlichen Raum, zum Beispiel nach Kahla, wo es ein neues Haus der Nazis gibt«.
Ein Schutzraum ist die JG Stadtmitte geblieben - nicht nur in Bezug auf Übergriffe von Neonazis, sondern bei allen Problemen, die sich Jugendlichen mitunter stellen. Mitten in der Jenaer Innenstadt ist sie eine Art Zufluchtsort, ein Ort, an dem man sein kann, wie man möchte. »Da kommt die politische Auseinandersetzung ganz von allein.« Das ist auch jetzt so. An Lothar König soll ein Exempel statuiert werden. »Dabei lernt man, sich mit der Thematik zu beschäftigen, man erkennt die Ungerechtigkeiten der Vorwürfe und denkt über die Funktionsweisen unserer Demokratie nach«, sagt Preuss. Auf der anderen Seiten steht eine Repression, die nicht nur den Jugendpfarrer betrifft: Überwachung von Telefonen und Emails, Ermittlungsverfahren, Handygate. »Die Repression in Sachsen ist schon sehr einschüchternd, gerade auch, weil man wirklich privat durchleuchtet wird«, erklärt der JG Mitarbeiter. »In der JG haben wir keine klassische Antifa-Klientel, das sind eher Leute, die halt irgendwie so ein bisschen links sind«. Daher geht es eben nicht nur um Lothar König, sondern zusätzlich darum, für diese Leute da zu sein. Auch das lernt man in so einer Situation.
In Bezug auf den Prozess ist der öffentliche Aufschrei wichtig. Und den gibt es eindeutig. Mehr als 3.000 Menschen haben die Solidaritätserklärung unterschrieben, König erfährt breite Unterstützung von der Kirche sowie aus Politik und Öffentlichkeit. »Klar, die Öffentlichkeit ändert keine Urteile. Aber es gibt einem selber Kraft, um durchzuhalten«, sagt Preuss. Ein Prozesstag heißt für König und die Gruppe von 15 bis 20 Leuten um ihn herum, 18 Stunden unterwegs zu sein. Da hilft es, dass sich auch andere Menschen darüber empören, was da vor Gericht geschieht. Diese Solidarität braucht die JG Stadtmitte, und zwar nicht nur, um weiter zu machen. Wenn alle nach dem Prozess - selbst wenn er mit einem Freispruch endet - am Ende ihrer Kräfte sind, ist das nur ein trauriger Gewinn.
Aber streng genommen kann sich das Amtsgericht Dresden einen Freispruch sowieso nicht erlauben. Dann nämlich wäre das völlig überzogene Urteil von knapp zwei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung gegen Tim endgültig ad absurdum geführt. Auch wenn die ganze Causa Dresden eigentlich schon gar nicht mehr viel absurder werden kann.
Der nächste Prozesstag ist am 24. April 2013, die Urteilsverkündung ist für den 20. Juni angesetzt.
Infos unter soligruppe.jg-stadtmitte.de.