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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 583 / 17.5.2013

Schon am ersten Tag schwinden alle Hoffnungen

Deutschland Ein Bericht vom Auftakt des Prozesses gegen Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds

Von Fritz Burschel

Alles wie erwartet: ein großer Andrang, drangvolle Enge im Gerichtssaal, erwartbare Befangenheitsanträge und: Warten. Am 6. Mai 2013 begann der wohl größte Mordprozess in der Geschichte der BRD vor dem Oberlandesgericht in München.

Die Aufregung im Vorfeld machte zeitweilig vergessen, was hier eigentlich verhandelt wird, nämlich die Ermordung von zehn Menschen aus rassistischen und neonazistischen Motiven und zwei Sprengstoffanschläge, einer davon mit einer Nagelbombe in der migrantisch geprägten Kölner Keupstraße, bei dem Dutzende Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, sowie etwa 15 Banküberfälle.

Das alles geht auf das Konto eines Nazinetzwerkes, das sich selbst Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennt. Medial hat sich der Eindruck durchgesetzt, dass es sich bei der »Zwickauer Zelle« um drei Neonazis handelt, die 1998 untergetaucht waren und von 2000 bis 2007 planvoll und kaltblütig neun türkisch-, kurdisch- und griechischstämmige Männer und eine Polizistin erschossen haben sollen.

Dass sich dahinter mutmaßlich eine mit einigen anderen neonazistischen Netzwerken (z.B. Blood&Honour, Thüringer Heimatschutz) überlagerte Terrorgruppe von mehreren Dutzend Mitgliedern verbirgt, die dicht mit V-Leuten verschiedener Inlandsgeheimdienste durchsetzt war, könnte in dem bereits auf zweieinhalb Jahre angesetzten Prozess in München aufgearbeitet werden. Doch wer das Hickhack um die Akkreditierung von JournalistInnen und den ersten Prozesstag erlebt hat, dessen Hoffnungen schwinden, dass das Gerichtsverfahren genau das leisten wird.

Angeklagt sind neben der einzigen Überlebenden der NSU-Kerngruppe, Beate Zschäpe, wegen Mittäterschaft oder Beihilfe zu den Morden und Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung Ralf Wohlleben, einstiger Nazi-Chef in Jena und Ex-NPD-Vize von Thüringen, André E., Holger G. und Carsten S. als Teil eines möglicherweise bis zu 100 Personen umfassenden Unterstützungsnetzwerkes. Zschäpes Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren bei ihrem letzten Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011 auf noch nicht restlos geklärte Weise ums Leben gekommen.

Prominente Nazis im Zuschauerraum

Der erste Verhandlungstag brachte noch einmal auf den Punkt, was im Vorfeld bereits mit viel Getöse öffentlich diskutiert worden war. Die Vermutung, dass der an sich nicht kleine Verhandlungssaal dem Gedränge von Presse, Zuschauenden, NebenklagevertreterInnen, der Generalbundesanwaltschaft, eines großen Richterkollegiums (mit Ersatzleuten), den ProtokollantInnen und den Angeklagten mit je zwei bzw. drei VerteidigerInnen und einem Heer von Polizei- und JustizbeamtInnen nur mühsam standhalten würde, bewahrheitete sich für alle Beteiligten physisch.

Auf der Zuschauer- und Pressetribüne war man dicht gedrängt und die Luft dick wie Honig. Als dann das Online-Projekt NSU-Watch auch noch zwei Schwergewichte der Neonaziszene im Zuschauerraum entdeckte, nämlich Maik E., Bruder eines der Angeklagten und zudem potenzieller Zeuge im Verfahren, sowie den als Rechtsterrorist verurteilten Karl-Heinz Statzberger von der Kameradschaft München, war die Luft vollends verdorben.

An eine Oper erinnerte der Auftritt der Hauptangeklagten Beate Zschäpe: Sie genoss die Aufmerksamkeit sichtlich, warf die langen Haare ein ums andere Mal mit einer affektierten Bewegung nach hinten und bewegte sich auf irritierende Weise entspannt und unberührt von der Wucht der ihr zur Last gelegten Verbrechen. Die angeklagten Männer wirkten dagegen ungelenker und eher so, als seien sie im falschen Film.

Diesem Eindruck konnte man sich im Laufe des Tages dann auch selbst nur schwer entziehen: Die zu erwartenden Ablehnungsanträge der VerteidigerInnen waren ausufernd und füllten einen langen ersten Tag mit ihrer Verlesung. Zunächst lehnten die VerteidigerInnen Zschäpes, Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl als befangen ab, da er in seiner sitzungspolizeilichen Verfügung ihre tägliche Durchsuchung angeordnet hatte und trotz Kritik und Beschwerden im Vorfeld daran auch nicht rütteln mochte.

Für die drei JuristInnen ein Skandal: Nicht nur sei die Bedeutung der Verteidigung und der Vertrauensvorschuss, den sie im Gerichtsverfahren genössen, eklatant missachtet worden, die Anordnung werde von ihnen auch als offene Diskriminierung und Desavouierung betrachtet.

NebenklagevertreterInnen warfen den Dreien mutwillige Verschleppung des Verfahrens zulasten vor allem der Opferangehörigen vor, hätten sie den Befangenheitsantrag doch erst am Samstag vor Prozessbeginn gestellt. Andere NebenklagevertreterInnen nahmen ihre KollegInnen jedoch in Schutz, monierten ihrerseits die Sicherheitsverfügung und forderten das Gericht auf, die notwendigen Stellungnahmen einzuholen.

Der zweite Befangenheitsantrag seitens des Verteidigers von Ralf Wohlleben war da in seinem ideologischen Gehalt eindeutiger: Das lag keineswegs daran, dass Olaf Klemke für seinen Mandanten einen weiteren, dann dritten Verteidiger, forderte, sondern eher in der Personalie.

Ist Klemke selbst seit fast 15 Jahren als Szeneanwalt bekannt und deshalb vermutlich von Wohlleben auch engagiert worden, so gilt das noch eindeutiger für den Kollegen, den er gegen die Weigerung des Vorsitzenden Richters Götzl beizuziehen wünscht, nämlich Wolfram Nahrath. Dieser war bis zu ihrem Verbot 1994 Bundesführer der Wikingjugend, einer Art Nachfolgeorganisation der Hitlerjugend.

Zudem rügte Klemke die Beschlagnahme von Briefkuverts seines Mandanten durch das Gericht: Wohlleben hatte offensichtlich die Adressen »kalligrafisch so gestaltet« (Klemke), dass sich deutlich Hakenkreuze erkennen ließen; für Klemke ein Beweis für den »gesteigerten Verfolgungseifer« des Gerichts und seine mangelnde Unvoreingenommenheit.

Die Zumutungen für die Angehörigen gehen weiter

Weshalb das Gericht dann zwar beschloss, trotz der Anträge die Hauptverhandlung fortzusetzen, die beiden folgenden Prozesstermine jedoch aufhob, blieb unklar und sorgte vielfach für Verärgerung.

Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann war empört: Es sei absolut üblich, trotz solcher zu erwartender Befangenheitsanträge weiter zu verhandeln. Für die angereisten Angehörigen der Opfer, die nun wie Hunderte JournalistInnen und andere Prozessbeteiligte noch vor Verlesung der Anklageschrift wieder abreisen mussten, eine weitere Zumutung und psychische Belastung.

Die anderen Hinterbliebenen, die das Geschehen lieber von zu Hause verfolgen, sind, so Nebenklageanwalt Yavuz Narin, »nach allem, was sie durchgemacht haben, nicht mehr so leicht zu schocken«. Am 14. Mai wurde das Verfahren fortgesetzt. Weitere Berichte folgen.

Fritz Burschel sitzt als Korrespondent unter anderem für Radio LOTTE Weimar im Gerichtssaal und gilt als »Glücksritter« und »Windhund«, da er in beiden Akkreditierungsrunden erfolgreich war.