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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 584 / 21.6.2013

Her mit dem Netz!

Deutschland Warum die Telekom das Internet drosseln will und was dagegen einzuwenden ist

Von Kathrin Ganz

Die Telekom hat vor einigen Wochen angekündigt, Internetflatrates in volumenbegrenzte Angebote umzuwandeln - auch rückwirkend: Ist die monatliche Grenze an Datentransfer erreicht, soll die Geschwindigkeit der Internetverbindung stark gedrosselt werden. Da die Telekom Marktführer ist, ist abzusehen, dass andere AnbieterInnen nachziehen werden. Bereits Anfang Juni zeigte der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) und der Bundesverband Breitbandkommunikation seine Unterstützung.

Mit der Ankündigung der Telekom ist ein Szenario in greifbare Nähe gerückt, das die Art und Weise, wie wir mit dem Internet interagieren, stärker verändern könnte als andere netzpolitischen Entscheidungen der letzten Zeit, etwa das Leistungsschutzrecht oder das verhinderte Zugangserschwerungsgesetz, mit dem BKA-Chef Jörg Zierke und Familienministerin Ursula von der Leyen gegen sogenannte organisierte Kriminalität und Kinderpornografie vorgehen wollten. Bei den Drosselungsplänen verschränken sich die großen netzpolitischen Debattenlinien der letzten Jahre: Netzneutralität, gesellschaftliche Teilhabe, Überwachung und die Interessen der Kreativ- und Verwertungsindustrie. Deshalb muss es in den nächsten Monaten darum gehen, die Idee der Netzneutralität zu verbreiten und schließlich durchzusetzen.

Telekom macht kaum Gewinn mit neuen DSL-Verträgen

Den Flatrates ist es u.a. zu verdanken, dass sich das Internet in den letzten zehn Jahren in weiten Teilen der Bevölkerung im Alltag durchsetzen konnte. Durch die Flatrates war es möglich, sich dem neuen Medium mit Gelassenheit zu nähern, ohne sich um unerwartete Kosten sorgen zu müssen. Für die Telekom und andere Internet-Service-Provider (ISP), von 1&1 bis Alice, war das die richtige Strategie. Ihre Profite erzielten sie in erster Linie über die Markterschließung. Die Wachstumskurve bei den neuen DSL-Verträgen ist jedoch flach geworden - fast alle, die Internet haben, haben auch DSL. Einzig in den ländlichen Gegenden, zu denen der Breitbandausbau noch nicht vorgedrungen ist, ist noch etwas zu holen. Das Verhältnis zwischen Investition und zu erzielendem Gewinn dürfte in den Strategiemeetings der Telekom jedoch nicht zu Freudentänzen führen.

Die Telekom begründet den nun angekündigten Schritt mit Kapazitätsproblemen in der Infrastruktur. Die Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft gab hingegen bekannt, dass Engpässe im Backbone der Infrastruktur, also dem Basisnetz mit großen Übertragungsraten, auf längere Sicht unwahrscheinlich sind. Probleme gibt es hingegen auf der sogenannten letzten Meile zu den Anschlüssen der KundInnen. Hier müsste die Telekom ihre Investitionen erhöhen.

Derzeit versucht die Telekom, die angekündigte Drosselung auf 384 Kbit/s ab einem Volumenverbrauch von je nach Vertrag zwischen 75 und 200 GB im Monat als eine Maßnahme darzustellen, die nur wenige NutzerInnen trifft. Unter dem Stichwort »pay per use« wird an das Gerechtigkeitsempfinden der KundInnen appelliert: »Wenn meine Nachbarin dreimal so viel Wasser verbraucht wie ich, ist es nur fair, wenn sie mehr zahlt.« Bei derartigen Metaphern ist Vorsicht geboten. Zwar mag das Bild der tröpfelnden Leitung zunächst plausibel erscheinen. Dass im Internet die Daten aber nicht weniger werden, wenn man sie nutzt, sondern mehr, ist zwar den ISP klar, vielen NutzerInnen aber leider nicht.

Nur wenige Minuten Videostreaming pro Tag

Die meisten NutzerInnen werden sich allerdings vorstellen können, dass ihr monatlich benötigtes Volumen in den nächsten Jahren eher steigen als sinken wird. Dass das Vorhaben der Telekom große Nachteile mit sich bringt und unfair ist, ist offensichtlich - etwa für weniger zahlungskräftige KundInnen, für Leute, die sich zusammen einen Internetanschluss teilen (Familien, WGs usw.) oder die auf dem Land wohnen. So plant die Telekom, das Volumen abhängig von der Zugangsgeschwindigkeit zu machen, sodass langsamere Anschlüsse auch noch weniger laden dürfen.

Kürzlich brachte die Telekom eine Grafik in Umlauf, die zeigen soll, was NutzerInnen mit 75 GB Volumen im Monat alles anstellen können. Rechnet man die Angaben auf einen Vier-Personen-Haushalt um, zeigt sich, wie knapp das Volumen tatsächlich bemessen ist: Pro Tag sind nur wenige Minuten Videostreaming und Onlinespiele drin. Fatal wird die Drosselung, wenn wichtige Sicherheitsupdates am Monatsende nicht mehr eingespielt werden können oder das cloudbasierte Backupsystem versagt.

Die Drosselung der Geschwindigkeit ist jedoch nicht das einzige Problem. Die ISP werden Angebote machen, die bestimmte Internetservices von der Volumengrenze ausnehmen. Das können zum Beispiel Musikdienste wie Spotify sein. Traffic, der beim Anhören von Songs über den Anbieter anfällt, würde dann nicht zu Buche schlagen. Schon heute bietet T-Mobile im Mobilfunkbereich, wo volumenbegrenzte Angebote die Regel sind, einen entsprechenden Vertrag an. Für die DSL-Anschlüsse hat die Telekom bereits angekündigt, mit verschiedenen Anbietern Verhandlungen darüber zu führen, deren Angebote in das Zusatzangebot T-Entertain aufzunehmen.

Auch dies hat Einfluss auf das Nutzungsverhalten: Statt es weiterhin zu ermöglichen, sich 500 GB im Monat bei Anbietern der Wahl oder über Filesharingdienste wie Bittorrent runterzuladen, bietet ein ISP einen begrenzten Tarif an, der optional durch kommerzielle Medienpakete ergänzt wird. Unter den beschriebenen Bedingungen müssen nicht nur diejenigen, die bisher den moralischen Appellen und der Angst vor rechtlichen Konsequenzen von Filesharing getrotzt haben, zu den Angeboten wechseln, die ihr ISP macht. Wer beim Hausaufgaben machen Youtube als Radio verwendet, sollte sich ausrechnen, ob Wikipedia am Ende des Monats noch erreichbar ist.

In Zugzwang bringt das die Unternehmen, die jetzt zwischen ISP und Verwertungsindustrie stehen. Dies gilt auch für die Marktführer Amazon, Apple und Google. Internetunternehmen, die den Content zu den NutzerInnen bringen, müssen zusehen, dass sie in das Angebotsportfolio der ISP aufgenommen werden - zu deren Bedingungen. Würde etwa das Videostreamingunternehmen Netflix mit günstigen Preisen und besserer Auswahl in den deutschen Markt einsteigen, wäre es für NutzerInnen wenig attraktiv, solange Filme von ihrem monatlichen Volumenkonto abgezogen werden.

Die Einführung von kommerziellen Sonderdiensten wird von vielen ExpertInnen als Verstoß gegen die Netzneutralität bezeichnet, weil Daten verschiedener Anbieter unterschiedlich behandelt werden. Der politische Kampf konzentriert sich jetzt auf das Thema Netzneutralität, das bislang von vielen AktivistInnen als technisch komplex und schwer vermittelbar angesehen wurde. Die Tatsache, dass jeder Politikbereich von Komplexitäten geprägt ist, die in den öffentlichen Debatten üblicherweise in den Hintergrund rücken, wird dabei allerdings unterschätzt. Gerade in der Unschärfe des politischen Begriffs der Netzneutralität liegt dessen Mobilisierungspotenzial, denn so lassen sich verschiedene Anliegen unter einer Forderung zusammenbinden. Eine Drosselung bedeutet zahlreiche Nachteile - auch für gesetzestreue, brave UserInnen. Finanziell schlechter aufgestellte und unkommerzielle Inhalteanbieter, die auf Bandbreite angewiesen sind, werden es schwerer haben, NutzerInnen zu erreichen - etwa Plattformen, die frei lizenzierte Medien anbieten, oder freie Radios, die ihr Programm auch ins Netz senden.

Breites politisches Bündnis für Netzneutralität ist möglich

Ein Ende der Flatrate heißt aber auch, dass Provider die Verbindungsdaten im Sinne der Nachweisbarkeit speichern müssen. Dass das Vorhaben der Telekom auch überwachungsfreudigen InnenpolitikerInnen entgegenkommt, wird René Obermann, Noch-Vorstandsvorsitzender der Telekom AG, gegenüber der Regierung sicherlich anbringen. An diesem Punkt könnte man also all jene im Boot haben, die in den letzten Jahren gegen Vorratsdatenspeicherung oder ACTA demonstriert haben, und das waren nicht wenige. Das politische Mobilisierungspotenzial gegen die Drosselung ist deshalb groß. Eine an den Bundestag gerichtete Onlinepetition zur Netzneutralität erreichte das erforderliche Quorum von 50 000 Unterschriften innerhalb von vier Tagen. Der Petitionsausschuss hat bereits angekündigt, den Petenten Johannes Scheller noch vor der Sommerpause anzuhören. Scheller fordert ein Gesetz, das die Provider dazu verpflichtet, alle Datenpakete unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Herkunft gleichzubehandeln. Dass eine solche Regelung möglich ist, zeigen die Niederlande, wo Netzneutralität seit Anfang des Jahres gesetzlich festgeschrieben ist.

Aber: Eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität, die im Übrigen auch von Brüssel ausgehen könnte, muss gegen die Interessen der ISP durchgesetzt werden. Schließlich ist deren Ziel, Profit zu erzielen. Gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, in dem günstiges und schnelles Internet von der Hallig bis zur Almhütte bereitgestellt wird, ist für sie zweitrangig. Wir sehen jeden Tag, dass sich die doppelt freien Marktsubjekte damit abfinden müssen, dass sie sich das gute Leben nicht leisten können. Ohne Netzneutralität könnte es im Internet bald genauso aussehen. Also: Her mit dem echten Netz! Einer Deprivatisierung der Infrastruktur, wie sie die Piratenpartei vorschlägt, stehen viele NetzaktivistInnen allerdings skeptisch gegenüber. Viele erinnern sich noch an die Zeit, als die Bundespost ihre Hand auf jedem Modem hatte. Eine neue Initiative plant stattdessen, einen genossenschaftlich organisierten Provider ins Leben zu rufen. Durch diesen sollen, so der Netzaktivist Stephan Urbach, auch Menschen mit wenig Geld in den Genuss von schnellem Internet kommen.

Kathrin Ganz promoviert zu Netzpolitik und Bewegung und bloggt unter iheartdigitallife.de.

Netzneutralität

bezeichnet die neutrale Datenübertragung im Internet, gleiches Recht für alle Daten: Unabhängig vom Inhalt der Datenpakete, von verwendeter Hard- und Software und unabhängig von Sender und Empfänger der Daten müssen diese unverändert und in gleicher Qualität transportiert werden.