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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 584 / 21.6.2013

Ehe und Familie - der Kitt der französischen Nation

International Ein Bündnis aus Katholiken bis Nazis mobilisiert gegen die Homoehe und schafft ein gewalttätiges Klima

Von Cornelia Möser

»Das werde ich den Katholiken nie verzeihen, dass sie mich dazu bringen, für die Ehe zu demonstrieren«, dachte ich mir. Schnell einigte man sich im Freundeskreis darauf, dass wir nicht für die Ehe, sondern gegen Homophobie auf die Straße gehen. Mein Lieblingsslogan »Mieux vaut une paire de mères qu'un père de merde!« (1) stieß auf der sehr breiten Bündnisdemo Ende Januar 2013 in Paris unter dem Motto »Ja zu Ehe, zu Adoption und zum Zugang von Homos zur IVF« auf erstaunlich viel Ablehnung. (2) Meine Meinung zur Ehe hat sich im Verlauf der Debatte um die Homoehe verändert. Dabei ist nach wie vor klar: Die Ehe ist ein patriarchales Machtinstrument.

Seit 1791 als zivile und laizistische Institution eingeführt, wurde sie immer wieder reformiert und verändert - und das nicht nur zum Guten. Vor allem 1804 wurden die Rechte von Frauen maßgeblich beschnitten, z.B. das Recht auf eigenen Besitz. In der Folge haben vor allem die Frauenbewegungen immer mehr Rechte erstritten. Erst seit 1965 darf die Ehefrau auch ohne Einwilligung des Ehemannes eine Lohnarbeit annehmen, über das verdiente Geld verfügen und zum Beispiel ein eigenes Bankkonto führen.

In all diesen Gesetzesänderungen spielte die Interpretation der Ehe als einerseits Vertrag und andererseits Institution eine große Rolle. Zudem wurde, gerade was das Scheidungsrecht betrifft, immer wieder über Abstammung verhandelt: Wer kümmert sich um die Kinder, wer kommt für sie auf? Auch: Für welche Kinder muss aufgekommen werden? So wurden erst 1972 die rechtlichen Unterschiede zwischen legitimen, natürlichen und außerehelichen Kindern komplett abgeschafft. All diese Gesetze betrafen natürlich Heteros.

1791 wurde die Verfolgung von Homosexualität abgeschafft

Frankreich war das erste Land, in dem die strafgesetzliche Verfolgung von Homosexualität abgeschafft wurde (1791), und so war es auch mit dem 1999 durchgesetzten Zivilpakt eines der früheren Länder, das zumindest eine, wenn auch nicht der Ehe gleichgestellte, so doch staatlich verliehene Anerkennung homosexueller Partnerschaften institutionalisierte. Dieser sowohl Heteros als auch Homos offenstehende Pakt (PACS) wurde ebenfalls massiv von Konservativen und Religiösen bekämpft - damals demonstrierten bis zu 100 000 Menschen.

Die aktuellen Proteste haben nicht nur im Umfang gezeigt, dass die Ehe immer noch zentral für das nationale und religiöse Selbstbild ist. Der im November 2012 von Justizministerin Christiane Taubira vorgelegte Gesetzesentwurf hat zu der größten konservativen Mobilisierung der jüngeren Geschichte geführt. (3) Während Taubira, nach der der Gesetzentwurf auch benannt wurde, durch ihre Klugheit, ihre Stärke und ihren ungewöhnlichen Politikstil auffiel (ihre spontanen Rezitationen von Gedichten des Négritude-Schriftstellers Léon-Gontran Damas in der Nationalversammlung werden unvergessen bleiben), überraschten auch die Konservativen durch völlig neue Formen und die Aneignung sämtlicher Slogans, die ihnen unter die Finger kamen. So riefen sie einen »französischen Frühling« aus und nennen sich selbst die »Résistance« gegen die sozialistische Regierung, eine Bezeichnung, die stark an den Widerstand gegen die deutsche Besatzung und die französischen Nazikollaborateure gebunden ist.

Wachsende Gewaltbereitschaft und breite rechte Bündnisse

Die »Demo für alle«, die sich gegen die »Ehe für alle« wendet, mobilisierte mithilfe der Kirche seit dem 17. November 2012 immer wieder über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter ein riesiges Bündnis von KatholikInnen, Konservativen und FaschistInnen. Die Demos wurden von Performances begleitet, Schablonen wurden gesprüht (»Wir wollen Biokinder«), man gab sich modern und selbstironisch. So versuchte z.B. die Komikerin und Kolumnistin Frigide Barjot mit ihren Auftritten, den Konservatismus gerade für junge Menschen cool und chic zu machen. Ein Konzept, das aufgegangen zu sein scheint. Neben eher peinlichen und maskulinistischen Aktionen, etwa der sogenannten Homen-Männer, die - von Femen inspiriert - »oben ohne« gegen die Homoehe protestieren, fiel vor allem die Gewaltbereitschaft auf. Insbesondere die massive Präsenz von NeofaschistInnen führte immer wieder zu heftigen Konfrontationen mit sowohl GegendemonstrantInnen als auch mit der Polizei.

Die Medien betonten zwar, dass es sich nur um Randgruppen handele, wohingegen die restlichen DemonstrantInnen lediglich besorgte KatholikInnen seien. Doch man wartet bis heute auf eine Distanzierung der OrganisatorInnen von der faschistisch, rassistisch, islamfeindlichen »Génération identitaire«, die, wenn sie nicht mit KatholikInnen demonstriert, auch schon mal muslimische Restaurants mit Schweinemasken stürmt. Auch die offiziell aufgeführten DemonstrationspartnerInnen lassen vermuten, warum man auf eine solche Distanzierung lange warten kann. Neben SOS-Papa-Antifeministen, die sich für Väter nach Scheidungen starkmachen, über genderfeindliche »neue europäische Feministinnen« und den »Plus gay sans mariage« (Homos, die schwuler oder glücklicher ohne Ehe sind,) finden sich vor allem viele katholische und konservative Kinderrechtsorganisationen.

Ehe und Familie als Kern von Nation und Staat

Damit wären wir bei den inhaltlichen Grundpfeilern der Bewegung: Den Vorwurf, homophob zu sein, weisen sie stark von sich und geben an, die Kinder verteidigen zu müssen, denen es nicht zuzumuten sei, ohne einen Vater oder eine Mutter aufzuwachsen. Das Emblem der Demos zeigt dann auch, wie eine Familie auszusehen hat: Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Das zweite inhaltliche Standbein der Bewegung ist der Hass auf die sogenannten Gendertheorien, die nicht nur drohen würden, den Kindern schon in der Schule einzureden, sie könnten sich ihr Geschlecht womöglich selbst aussuchen. (4) Schlimmer noch: Mit dieser Ideologie sei letztlich über die Infragestellung des Universalcharakters der sexuellen Differenz (alle würden schließlich von einem Mann und einer Frau geboren werden) die gesamte westliche Zivilisation bedroht!

Insgesamt in blau-weiß-rot oder auch babyblau-weiß-rosa gehalten, ist der nationalistische Grundton der Bewegung nicht zu übersehen, und die Sprechchöre »CRS nach Barbès«, »Frankreich den Franzosen» und »Taubira ins Gulag« ließen auch nicht auf sich warten. (5) Dabei springt die Verlogenheit des Nationalfetischs »Laizität« hier besonders ins Auge - immerhin ist es die katholische Kirche, die massiv mobilisiert.

Am 17. Mai 2013 wurde das Gesetz verabschiedet und die ersten Ehen wurden bereits geschlossen. Doch die Demonstrationen gehen nicht nur weiter - so wurde am 26. Mai 2013 zahlenstark und gewalttätig demonstriert - die Aktionen haben sich auch radikalisiert. Kann man den inszenierten Selbstmord des reaktionären Dominique Venner am 21. Mai 2013 in der Notre-Dame-Kirche noch als durchgeknallten Einzelfall abtun, so hat nicht nur Marine Le Pen, die Vorsitzende der extrem rechten Partei Front National, diese Tat zur politischen Geste erklärt, mit dem Venner das französische Volk wachrütteln wolle. Auch online und in einzelnen Orten kam es zu Sympathiebekundungen.

Bedrohlicher als solche Aktionen ist die »normale« homophobe Gewalt. Laut Angaben von SOS-Homophobie haben sich die homophoben Angriffe in 2012 im Vergleich zu 2011 verdreifacht. Die Stimmung ist auch nach der Gesetzesverabschiedung aufgeheizt und bedrohlich. Am 4. Juni wurde ein junges Lesbenpaar in Lille von HomoehegegnerInnen angegriffen und eine von beiden krankenhausreif geprügelt. Am 5. Juni ist der 18-jährige Clément Méric von Neonazis in Paris zu Tode geprügelt worden. Am 6. Juni wurde eine junge Frau mit Kopftuch in Argenteuil von Neonazis mit einem Messer angegriffen und verletzt worden.

Zurecht führen viele den »Erfolg« der Bewegung darauf zurück, dass Konservative die Debatte nutzten, um ihrem Frust über die sozialistische Regierung Ausdruck zu verleihen. In der Tat kommt es in Deutschland nicht zu vergleichbaren Demonstrationen, weil die konservative Regierung hier einfach jeden Gesetzesentwurf der Opposition gelassen vom Tisch wischt. Doch reicht diese Erklärung nicht aus, da Hollande mit seiner rassistischen Anti-Roma-Politik und dem Mali-Krieg eigentlich aus konservativer Sicht kaum etwas zu wünschen übrig lässt.

Auch queere Kinder sind Opfer von Normalisierung

Auf einer größeren politischen Ebene wird in dem KatholikInnen-Nazi-Bündnis konsequent weitergeführt, was mit der Debatte über nationale Identität unter Sarkozy 2009 angefangen hatte. Frankreich wird als katholischer, pseudolaizistischer Staat gegen alle »Anderen« definiert, die ihn durch ihre bloße Existenz infrage stellen. Und daher die Gewalt: Es geht hier nicht darum, den Einschluss einer integrationswilligen Gruppe in die Ehe zu verhindern. Die DemonstrantInnen selbst beschwören den nahenden Zerfall der Zivilisation über Homoehe und Gendertheorie. Damit wird die Ehe zum Symbol der Verteidigung der Nation.

Die faktische Existenz queerer Familien sowie die reale Disfunktionalität von Heterofamilien (hohe Scheidungsraten, 1,5 Mio. alleinerziehende Mütter, von denen die Hälfte in Armut leben) finden in der rosa-blauen Welt der »Manif pour tous« keine Erwähnung. Die konkrete Konzentration der Bewegung auf das Beschützen der Kinder muss nach den endlosen Missbrauchsskandalen der letzten Jahre auch als eine katholische Imagekampagne gesehen werden. Umso verlogener die Parole »Ein Vater, eine Mutter, man lügt Kinder nicht an!«

Wenn sich auch die Mehrheit der Französinnen und Franzosen in Umfragen für die »Ehe für alle« ausgesprochen hat, so bewerteten die Befragten die PMA stark gegenteilig. Dieser Teil des ursprünglichen Gesetzesentwurfes ist schnell zurückgezogen worden und die Zukunft dieser Forderung nicht absehbar. In der Tageszeitung Libération wies die Queertheoretikerin Beatriz Preciado unter dem Titel »Wer verteidigt das queere Kind« darauf hin, dass die öffentliche Debatte in Frankreich Kinder zu Unrecht immer als hetero darstelle. Die homophobe Gewalt, die viele queere Kinder und Jugendliche von ihren Heteroeltern erfahren, bleibe dabei ungedacht. Dieses Argument und den gewaltvollen Einfluss, den Heteroeltern auf queeres Leben auch in der Folge haben können, wenn alternative Beziehungen nicht rechtlich anerkannt werden, haben meine Einstellung zur Ehe verändert. Eigentlich ist es wie mit den Papieren: entweder für alle oder für niemand.

Cornelia Möser stellte in ak 549 kritische Überlegungen zu commons, queer politics und antikapitalistischen Praxen an.

Anmerkungen

1) Deutsch: »Besser zwei Mütter als einen Scheiß-Vater!«

2) In vitro Fertilisation (Befruchtung im Glas) auf Französisch PMA genannt (procréation médicalement assistée).

3) Ein anderer Gesetzentwurf der SozialistInnen für die Homoehe war im Juni 2011 bereits abgelehnt worden.

4) Eine Schulbuchreform sah kürzlich vor, die Geschlecht betreffenden Informationen in Schulbüchern dem aktuellen Forschungsstand anzupassen, worauf einige konservative PolitikerInnen beantragten, Genderforschung als politische Sekte zu verfolgen.

5) Compagnies Républicaines de Sécurité (CRS; franz. für Sicherheitskompanien der Republik) sind die »Riotcops« und Barbès gilt als Stadtteil mit einem hohen Anteil an MigrantInnen.