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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 584 / 21.6.2013

Mit Schirm, Charme und book blocks

Aktion Stimmen und Einschätzungen aus diversen Spektren des Blockupybündnisses

Zusammengestellt von der ak-Redaktion

Zum zweiten Mal hat das Blockupybündnis den Protest gegen das europäische Krisenregime nach Frankfurt getragen. Wie im vergangenen Jahr wurden die Aktionen überschattet durch das brutale Vorgehen der Polizei. Offensichtlich ist mit der Europäischen Zentralbank (EZB) als symbolischem Ziel der Proteste ein wunder Punkt getroffen. Gleichwohl kamen zu den Blockupyaktionstagen am 31. Mai und 1. Juni 2013 weniger Menschen als im Vorjahr. Aus ihrer jeweiligen Sicht ziehen Katja Kipping (DIE LINKE), Christoph Kleine (Avanti- Projekt undogmatische Linke/Interventionistische Linke), Werner Rätz (attac), Jane Seppelt (ver.di Stuttgart) und Martin Sommer (... ums Ganze) Bilanz und gehen der Frage nach, was von Blockupy 2013 zu halten ist.

Es darf kein Zurück geben

Die Blockupy-Demonstration vom 1. Juni in Frankfurt hat viele Entwicklungen der letzten Jahre und Monate auf den Punkt gebracht. Einige Aspekte herausgegriffen:

Da ist zum einen die Erkenntnis, dass die Austeritätspolitik der Troika nicht nur lebensbedrohliche Folgen für die Menschen in Südeuropa hat, sondern das europäische Krisenregime auch die Demokratie nicht unangetastet lässt. Die Wiederholung des Referendums über den Lissabon-Vertrag 2009 in Irland, die nicht gewählten technokratischen Regierungen in Italien und Griechenland 2011 und die per se nicht demokratisch legitimierten Hüter der Sparvorgaben in der EU zeigen, wie wenig die ohnehin nicht auf Teilhabe ausgelegte Demokratie gilt. Das Verbot der Blockupyaktionstage im letzten Jahr und der diesjährige polizeiliche Umgang mit der gerichtlich bestätigten Demonstration lassen keinen Zweifel zu: Eine autoritäre Politik, die kein Konzept zur Verbesserung des Lebens so vieler Menschen hat, reagiert mit ihren Mitteln auf alternative Ansätze von unten. Wo die Alternativlosigkeit zum Programm erhoben wird, darf es keine Alternativen geben.

Zum anderen zeigt der Verlauf der Demonstration, dass es kein Zurück hinter die von Blockupy erreichte Breite und Standhaftigkeit des Bündnisses geben darf. Es stand für unsere BündnispartnerInnen keine Sekunde zur Debatte, den antikapitalistischen Block links liegen zu lassen. Das ist unmittelbare Folge des aufgebauten Vertrauens im Bündnisprozess, Folge gemeinsam getroffener und gehaltener Absprachen. Trotzdem bleibt Raum für die Differenzen in Theorie und Praxis. Das ist auch wichtig innerhalb der radikalen Linken: Die Zusammenarbeit zwischen IL und ... ums Ganze! schafft neue Möglichkeiten. Gleichzeitig müssen die unterschiedlichen Ansätze aber erhalten bleiben, um sich gegenseitig korrigieren zu können.

Doch der Tag hat nicht nur die hässliche Fratze der Staatsmacht herausgekitzelt und die Notwendigkeit linker Bündnispolitik aufgezeigt, sondern der 1. Juni war auch ein guter Tag für die Vermittelbarkeit von Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. book blocks als »passive Bewaffnung«, Regenschirme und Sonnenbrillen als »Vermummung«: Diese kriminalisierenden Begriffe sind durch die Kreativität der Überschreitung zum einen infrage gestellt worden. Außerdem wurde die Notwendigkeit einer Verteidigung der körperlichen Unversehrtheit von DemonstrantInnen gegen die Polizei deutlich und in breite Kreise hinein vermittelbar. Die Kreativität und Farbigkeit des »schwarzen Blocks« hat ebenso Sympathien geweckt wie seine (im Delegiertenplenum getroffene) Entscheidung zur Standhaftigkeit gegen die polizeiliche Übermacht und die Selbstorganisation der Eingekesselten.

Martin Sommer, ... ums Ganze!, Blockupy-Sprecher

Die Macht über die Bilder verloren

Autoritäre Regime stigmatisieren ihre Gegner gern als Kriminelle. Die Bilder von Repressionsmaßnahmen erscheinen dann selbsterklärend: Wer etwas mit der Polizei zu tun bekommt, muss auch etwas getan haben. Über die Gründe von Protest muss dann nicht mehr geredet werden. Diese Repressionsstrategie wird gelegentlich auch in Deutschland kopiert.

Bei Blockupy konnte man erleben, dass sie scheitern kann, denn diese Strategie ist an drei Voraussetzungen geknüpft. Sie funktioniert so lange der Protest nur von einer marginalisierten Minderheit getragen wird, die Herrschenden die Macht über die Bilder behalten und innerhalb des eigenen Apparats Zustimmung herstellen können.

Bei Blockupy sind Innenminister Boris Rhein, Ordnungsdezernent Markus Frank und Polizeipräsident Achim Thiel an eben diesen drei Punkten gescheitert.

Denn erstens ist es in Frankfurt gelungen, verschiedene Bewegungen im Protest gegen die autoritäre Krisenstrategie der Troika zu verbinden. Aus einer feministischen Perspektive hat der Care-Mob die kapitalistische Reproduktionskrise thematisiert, GewerkschafterInnen und FlüchtlingsaktivistInnen gingen gemeinsam auf die Straße - gegen Prekarisierung und die Verschärfung des Grenzregimes.

Zweitens haben die schwarz-gelbe Landesregierung und der schwarz-grüne Magistrat die Macht über die Bilder verloren. Im Internet kann jeder die Bilder des zügellosen und ungezielten Einsatzes von Pfefferspray gegen wehrlose Demonstrierende und die Verhinderung medizinischer Hilfe gegenüber Verletzten sehen. Dass viele JournalistInnen selbst Opfer von Attacken waren, hat dazu beigetragen, die Eskalation auch in die mediale Öffentlichkeit zu tragen.

Und drittens ist es nicht gelungen, Zustimmung innerhalb des Apparats zu organisieren. Wenn Polizeibeamte der Bild-Zeitung davon berichten, dass der Stopp der Demonstration von der Polizeiführung von Anfang an geplant war, zeigen sich Risse im Korpsgeist, der solche Indiskretion normalerweise verhindert. Einige Beamte sehen nicht mehr ein, warum Sie für den Law-and-Order-Wahlkampf ihren Leib hinhalten sollen.

Was im letzten Jahr noch leidlich geklappt hat, die Repression flächendeckender Versammlungsverbote und die Behinderung der Anreisenden diskret und im Voraus abzuwickeln, war dieses Jahr nicht mehr möglich. Die zügellose Gewalt ist daher auch ein Zeichen der Schwäche. Es ist schrecklich zu sehen, wie viele Demonstrierende angegriffen, schikaniert und verletzt wurden. Und doch, die Blockupyproteste haben gezeigt: Es lässt sich nicht dauerhaft verhindern, dass der Protest auch das symbolische Zentrum des europäischen Krisenregimes erreicht. Eine Aufarbeitung der Repression ist wichtig. Mindestens genauso wichtig ist es, die Ansätze einer Spektren übergreifenden sozialen Bewegung weiter zu verfolgen.

Katja Kipping, Bundesvorsitzende DIE LINKE

Inhalte sollten unsichtbar gemacht werden

Das Blockupybündnis hatte einen Aktionskonsens erarbeitet, der allen Beteiligten einiges abverlangte. Ziemlich detailliert war darin geklärt worden, welche Regelüberschreitungen gemeinsam getragen würden und daraus ergab sich dann auch, welche nicht. Im Prinzip hieß das, dass es keine isolierte Militanz einzelner Gruppen oder Personen geben solle und im Gegenzug auch keinerlei Distanzierung. Diese Verabredung hat absolut gehalten. Was bei den Gekesselten auf der Demo am 1. Juni gefunden wurde, bewegte sich vollständig im abgesprochenen Rahmen und niemand wäre auf die Idee gekommen, die Demo fortzusetzen, solange der Kessel existierte. Diese Solidarität untereinander hatte die Polizeiführung offensichtlich völlig falsch eingeschätzt. Das war eine der beiden wesentlichen Voraussetzungen für den medialen Erfolg der Aktion. Die andere war, dass auch JournalistInnen eingekesselt worden waren.

Schon vor der Demonstration war es diesmal gelungen, das Schweigen über die Inhalte des Blockupyprotestes zu brechen. Viele Zeitungen und auch einige Radiosender hatten schon vor dem Samstag inhaltliche Berichte über die Folgen der Krisenpolitik gebracht. Meine Aussage auf der Pressekonferenz am Montag vor den Aktionen, dass die Austeritätspolitik tötet, wurde breit zitiert. Selbst in der Bild-Zeitung war die Rede von den dramatischen Folgen dieser Politik für die Menschen in Südeuropa. Es war offensichtlich die Absicht, mit dem martialischen Auftreten der Polizei diese Inhalte unsichtbar zu machen. Das ist vollkommen misslungen, seit dem Samstag haben im Gegenteil die Berichte zu inhaltlichen Fragen zugenommen. Der Streit um die Krisenpolitik ist inzwischen auch in der deutschen Öffentlichkeit angekommen.

Dennoch ist wieder einmal der öffentliche Aufreger die Frage der Demokratie. Anders als im vergangenen Jahr verteidigen diesmal alle politischen Kräfte links von der CDU/FDP-Regierung Blockupy. Das ist einerseits zu begrüßen, andererseits ein Problem, weil sozialdemokratische und grüne Strömungen inhaltlich nichts zur Kritik der autoritären Krisenpolitik allgemein und zu Blockupy konkret beigetragen haben. Im Gegenteil haben speziell die Frankfurter und die hessischen Grünen alle ihre Möglichkeiten, den demokratischen Skandal um die Demo zu verhindern oder hinterher zumindest anständig aufzuarbeiten, ausgelassen. Dagegen hat die hessische Linkspartei eine von Anfang an absolut solidarische Rolle gespielt und es ist ihr dringend zu wünschen, dass sie den Wiedereinzug in den Landtag schafft.

Werner Rätz, Mitglied im Kokreis von attac und Anmelder der Blockupydemo

Weiter so! Weiter so?

Der ver.di Bezirk Stuttgart ist seit über vier Jahren an den Protesten gegen die europäische Austeritätspolitik und das EU-Krisenmanagement beteiligt. Die positivste Erfahrung für uns ist, dass die Zusammenarbeit im Bündnis eine Grundlage gegenseitigen Vertrauens und Solidarität geschaffen hat, die sich vor allem in dem Misserfolg der polizeilichen Spaltungsversuche am Samstag und - im Gegensatz zum letzten Jahr - dem lauten Aufschrei auch im Gewerkschaftsspektrum gegen die Aushebelung der Versammlungsfreiheit durch den brutalen Polizeieinsatz gezeigt hat.

Positiv fanden wir auch, dass die Aktionen am Freitag auf der Zeil und am Flughafen Bezug auf die Alltagserfahrungen der Menschen genommen haben: der Menschen und aktiven GewerkschafterIinnen im Einzelhandel hier sowie in den Textilfabriken in Bangladesch, Pakistan und Südafrika sowie der Menschen, die entlang der europäischen Außengrenzen und innerhalb der Festung Europa um ihr Überleben kämpfen. Wir teilen den bei den Aktionen geltend gemachten Anspruch auf ein »Gutes Leben für alle« und die breit geteilte Analyse, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht nur die aktuelle Krise, sondern viele Krisen (der Produktion und Reproduktion etc.) hervorruft und daher langfristig überwunden werden muss.

Zwei Punkte scheinen uns allerdings für die Zukunft wichtig: Zum einen lag die Beteiligung an der Demonstration mit ca. 15.000 gegenüber 25.000 Menschen 2012 weit unter der Beteiligung im Vorjahr. Das mag unter anderem daran liegen, dass damals mit dem Fiskalpakt eine für das europäische Krisenmanagement zentrale politische Weichenstellung vor der Tür stand oder die Aushebelung der Versammlungsfreiheit in den Tagen zuvor viele zur Teilnahme bewegt hat. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass der Protest gegen die europäische Austeritätspolitik ohne die Diskussionen um Polizeieinsätze und Versammlungsfreiheit offensichtlich wenig mobilisierungsfähig ist und mitunter Gefahr läuft, in den durchaus berechtigten Diskussionen um die Entdemokratisierung unterzugehen.

Die Verbindung zwischen kapitalistischer Krise, europäischem Krisenmanagement und den eigenen erlebten Verschärfungen in Arbeits- und Lebensverhältnissen (Reallohnverluste, zunehmende Repression, Leistungsdruck, Ausgrenzung der »Überflüssigen«, verschärfte Spaltungen zwischen Hoch- und Niedriglohnbereichen und den Geschlechtern) wird eben nicht so einfach gezogen. Gleichfalls gelingt es uns noch nicht ausreichend, gemeinsam als Bündnis eigene inhaltliche Perspektiven zu diskutieren und zu entwickeln.

Zweitens: Innerhalb von ver.di Stuttgart haben wir dieses Jahr mehr Ressourcen in die gewerkschaftliche Mobilisierung und Vernetzung gesteckt, ohne dass sich merklich mehr Beschäftigte beteiligt haben. Das stellt uns vor allem intern vor Fragen: Sollen wir als linke Haupt- und Ehrenamtliche diesen politischen Protest im gesamten Bundesgebiet mehr in die Gremien hineintragen und damit verbreitern? Wie stellen wir gemeinsam Ressourcen (Zeit für Teilnahme an Bündnisprozessen, Zeit für Beratung, Geld) zur Verfügung? Ist eine stärkere Einbindung emanzipatorischer Kämpfe der Beschäftigten wie im Einzelhandel in diesem Jahr in die Aktionstage sinnvoll und gewollt - und wie schaffen wir das? Die Aktionstage haben gezeigt, dass die Einbindung kein Selbstläufer ist, sondern im Vorfeld vorbereitet und intern diskutiert werden müssen.

Jana Seppelt, ver.di Stuttgart

Feste Verabredung für 2014

Die Geschichte von Blockupy 2013 lässt sich von zwei Seiten erzählen: Die eine Seite, das ist die massive Polizeigewalt. Sie war mehr als nur ein Exzess brutaler Sondereinheiten, sondern ein politisch angeordneter und bewusst geplanter Angriff auf eine Großdemonstration als Ganzes. Damit sollte das Blockupybündnis gespalten und demoralisiert werden, um eine Verstetigung der Proteste gegen das Krisenregime in Frankfurt auszubremsen. Noch wichtiger dürfte aber gewesen sein, das Vorbeiziehen der Demonstration an der EZB, bei dem - entsprechend des Demonstrationsmottos des »Markierens von Krisenakteuren« - wahrscheinlich der eine oder andere Farbbeutel das Gebäude getroffen hätte, um jeden Preis zu verhindern. Dabei ging es nicht um den minimalen materiellen Schaden, sondern um die drohende Blamage durch ein Zeichen des Widerstandes im Herzen des europäischen Krisenregimes. Es ist diese besondere Empfindlichkeit von Frankfurt als europäischer Finanzmetropole und Sitz der EZB, die die Verantwortlichen nach 2012 erneut jede Rücksichtnahme auf demokratische Rechte und Verhältnismäßigkeit vergessen ließ.

Aber viel bedeutender ist die zweite, unsere Seite von Blockupy: Angefangen bei einem großartigen Camp als Ort der Begegnung und des Austausches von AktivistInnen aus unterschiedlichen Ländern und politischen Spektren. Es gab ermutigende Erfahrungen der Selbstermächtigung und der Handlungsfähigkeit bei der Blockade der EZB und den Aktionen am Freitagnachmittag. Diese Proteste wurden europaweit wahrgenommen - als erfolgreiches Zeichen eines antikapitalistischen Widerstandes, der nun auch in Deutschland greifbar wird. Die Polizeigewalt am 1. Juni hat dieses Gefühl des Erfolges nicht brechen können - im Gegenteil, die Menschen standen innerhalb und außerhalb des Kessels zusammen und schlossen immer wieder die Ketten. Es war eine selbstbewusste und selbstbestimmte Entscheidung der Eingekesselten, sich nicht freiwillig abführen und kontrollieren zu lassen. So musste die Polizei in einer stundenlangen Räumung alle einzeln - teilweise mit brutaler Gewalt - aus den Ketten lösen und wegschleifen.

Der politisch angeordnete Angriff auf die Demonstration ist zu einer krachenden Niederlage für diejenigen geworden, die ihn angeordnet hatten. Er hat das repressive Vorgehen gegen Protest und Widerstand nicht legitimiert, sondern der Polizei und dem Innenministerium massive öffentliche Kritik bis hin zur FAZ und selbst zur Bild-Zeitung eingebracht. Er hat die Bewegung nicht demoralisiert, sondern ermutigt. Und er hat den vorher ziemlich vagen Plan eines dritten Blockupy zur Eröffnung der neuen EZB-Türme 2014 schon jetzt zu einer festen Verabredung werden lassen.

Der Erfolg von Blockupy 2013 darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass wir auf dem Weg des Aufbaus einer relevanten antikapitalistischen Bewegung gegen das autoritäre Krisenregime noch ganz am Anfang stehen. Parallel zur Mobilisierung für 2014 kommt es jetzt darauf an, das Blockupybündnis in die Orte und Regionen zu verlängern, um auch lokal aktions- und interventionsfähig zu werden. Inhaltlich muss es dabei darum gehen, eine Demokratisierung von unten und einen klaren Antikapitalismus als Einheit zu denken. Oder wie es in der Erklärung von Blockupy nach den Aktionstagen heißt: »Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie, wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus!«

Christoph Kleine, Avanti - Projekt undogmatische Linke und IL