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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 585 / 14.8.2013

Die Grenze verläuft nicht zwischen oben und unten, sondern entlang der A40

Aktion Die Armutsmetropole Bochum bereitet sich darauf vor, dem Reichtum Beine zu machen

Von Rolf Stein

Auch im Ruhrgebiet konzentriert sich die öffentliche und private Armut - und der obszöne Reichtum des einen Prozents. Hier ist in aller Deutlichkeit zu besichtigen, wie ein verarmter Staat aussieht: Keine einzige Kommune, kein Landkreis der Region ist in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. Die Verschuldung der öffentlichen Kassen steckt in der Vergeblichkeitsfalle - wo neue Schulden aufgetürmt werden, ist kein Spielraum für Schuldenabbau. So verfällt die öffentliche Infrastruktur, Schulen und Straßen sind vielfach ein Graus. In den Verwaltungen werden Stellen abgebaut, das Dienstleistungsniveau wird spürbar gesenkt, während die Zinszahlungen an die GläubigerInnen kräftig sprudeln. Der Bochumer Stadtkämmerer - ein Grüner - hat nun mit den Verheerungen zu kämpfen, die vor allem die rot-grüne Steuersenkungspolitik und die Übertragung von Soziallasten im Stadtsäckel verursacht haben. Die folgenden Bundesregierungen haben es ihr gleichgetan. Allein die Möwenpicksteuerreform hat im Etat der Stadt ein Defizit von einer Million Euro hinterlassen. (1) Die BürgerInnen baden es aus.

Das ähnliche Bild im privaten Sektor. Die Arbeitslosigkeit verharrt in den meisten Bezirken zwischen 10 und 14 Prozent. Die Armutsgefährdung steigt im Pott rasant an. Die Quote kletterte allein von 2010 bis 2011 von 17,4 auf 18,9 Prozent. So erhöhte sich seit 2005 die Gefährdungsquote in Dortmund um 30, in Duisburg um 45 und in Essen um 57 Prozent. In Essen und Duisburg leben fast ein Drittel der Kinder von Harz IV, in Oberhausen und Hamm ist es ein gutes Viertel. Im Ruhrgebiet ist fast die Hälfte der Alleinerziehenden auf Harz IV angewiesen.

Pfandgut und Vermögen sammeln

Für diese Situation ist nicht nur der umherschweifende Kapitalismus von Nokia, General Motors und Thyssen-Krupp verantwortlich, auch die Streichung der Eingliederungshilfen für Langzeitarbeitslose, des Elterngeldes für Hartz-IV-EmpfängerInnen und die Abschaffung der Energiekostenkomponente im Wohngeld tragen ihren Teil dazu bei.

Der Wohlstand und Reichtum im Pott hat sich im Süden eingenistet. Magisch getrennt durch die A40. Während im Norden die Leute die Mülleimer nach Pfandgut abklappern, hocken im grünen Ruhrtal die größten Vermögen der Republik. Im Essener Stadtteil Bredeney haben sich die Familien der ALDI-Brüder in ihren weitläufigen Villen hinter hohen Hecken versteckt. Deichmann und die Tengelmänner haben hier ihre Firmensitze. Im historischen Stadtkern von Werden lässt sich erahnen, für welche Klientel hier angeboten wird: Biobäcker, Kindermodeboutiquen, Goldschmiede, Wellness und Maniküre sowie Buchläden lösen die Dönerbuden und Ein-Euro-Shops des Nordens ab.

Bochumer Bündnis UmFAIRteilen

Im Jahr 2010 gründete sich in Bochum ein Bündnis, das mit zahlreichen Aktionen und Kampagnen die Situation des armen Staates und des überbordenden Reichtums in die politische Auseinandersetzung einbrachte. GewerkschafterInnen (von ver.di, IG Metall und DGB) soziale Organisationen (Paritätischer Wohlfahrtsverband, Kinder- und Jugendring, Mieterverein, der Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe IFAK), ein Kulturzentrum, eine kirchliche Organisation und unorganisierte Linke wollen seitdem nicht mehr locker lassen.

Im Sommer 2012 schloss sich das Bündnis der Kampagne UmFAIRteilen an und integrierte sich in die bundesweiten Strukturen. Das Opening am 29. September 2012 war nicht von Pappe: 6.000 DemonstrantInnen zogen durch Bochum - und es geht weiter. Am 14. September 2013 wird in Bochum neben Berlin eine bundesweite Demo stattfinden. Der Einstieg in UmFAIRteilen war für das Bochumer Bündnis inhaltlich und organisatorisch folgerichtig. Die Kritik des Bochumer Bündnisses an der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums durch Steuerdumping, seiner kontinuierlichen Verschiebung zu den ökonomischen Eliten und der daraus resultierenden Verarmung auf allen Ebenen des Staates und der Enteignung breiter Bevölkerungsschichten durch Niedrigstlöhne, Hartz IV, Kappung von Sozialleistungen, Frauenunterbezahlung, Rentenkürzungen, etc. deckt sich vielfach mit der Kritik, die innerhalb der Organisationen des bundesweiten Bündnisses UmFAIRteilen formuliert werden.

Lange Gesichter nach der Wahl

Die Forderungen des Bundesbündnisses - Vermögenssteuer, Vermögensabgabe und Bekämpfung der Steuerflucht - sind der gesellschaftlichen Breite, der Tragfähigkeit einzelner Bündnisorganisationen und dem Blick auf mögliche AnsprechpartnerInnen nach der Wahl geschuldet. Was nicht heißt, dass andere Steuerarten wie Erbschaftssteuer, Einkommenssteuer oder Kapitalertragssteuer nicht Gegenstand der öffentlichen Debatte sind.

Mit UmFAIRteilen gibt es ein bundesweites politisch-soziales Bündnis bar jeder Parteibindung, das sich in vielfältiger Form an der Verteilungsfrage zu schaffen macht und der Gerechtigkeitsdebatte eine Diskussions- und Aktionsplattform bietet. Wenn sich in über 60 Städten Bündnisse und Initiativen gefunden haben, die über die Koordination in Berlin und die Bündnistreffen im Austausch stehen, ist das zunächst eine hervorragende Ausgangssituation für eine wirksame Kampagne. Fast 70 Prozent der BundesbürgerInnen, denen die unfaire Verteilung des Reichtums und die Gerechtigkeitsfrage auf den Nägeln brennen, sind ein gutes Argument, das Bündnis in die Zukunft zu führen. Die Wahlen am 22. September 2013 werden auch im Bündnis lange Gesichter zur Folge haben, denn parlamentarisch wird es keinen einflussreichen Ausdruck der Kampagne geben.

Rolf Stein arbeitet im Kulturzentrum Bahnhof Langendreer und ist im Bochumer Bündnis UmFAIRteilen aktiv.

Anmerkung:

1) Im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes wurde 2009 die Umsatzsteuer für Hoteliers gesenkt. Der von der FDP eingebrachten Initiative gingen Spenden der Substantia AG in Höhe von über einer Million Euro an die Liberalen voraus - zu der Unternehmensgruppe gehört auch Mövenpick.

Zugegeben, Bochum ist ein Dorf: kurz und knackig durchs Revier

Drei Demonstrationszüge werden ab 11.30 Uhr durch die Bochumer Innenstadt ziehen. Und das Schönste ist, dass zwei Demos aneinander vorbeiziehen und die Dritte treffen - das gibt ein großes Hallo. An drei Orten gibt es Auftaktkundgebungen mit Roman Denter (attac), Daniel Kreutz (Sozialverband Deutschland e.V.) und Eric Schley (DGB-Jugend NRW). Die Blaskapelle Schwarz/Rot-Atemgold 09, die Sambagruppe Até Logo und Hardy & die Occupy-Singers geben den Ton an und begleiten die Demos. Lautsprecherwagen werden in den Demos mitfahren - es werden rollende Reden gehalten und weitere kulturelle Beitrage schwirren durch die Luft. Gegen 13 Uhr treffen die drei Demos auf dem Platz vor dem Bergbaumuseum ein. Um die Füße zu lockern, spielt die Band Chupacabras. Es folgen Reden von Frank Bsirske (ver.di), Ulrich Schneider (Paritätischer Gesamtverband) und Özlem Alev Demirel (DIDF). Das sprechende Flugblatt Wilfried Schmickler macht den Abschluss. Um 15 Uhr ist der Spuk vorbei, und das Dorf hat wieder Ruh.

Weitere Infos: www.pott-umfairteilen.de

UmFAIRteilen-Demonstration in Berlin

Auch in Berlin wird am 14.9. erneut die Forderung »UmFAIRteilen - Reichtum besteuern!« lautstark und unübersehbar in die Öffentlichkeit getragen: Um 11 Uhr beginnen am Hackeschen Markt die Auftaktreden von Andrea Kocsis (ver.di), Friedhelm Hengsbach (Sozialethiker) und Ursula Engelen-Kefer (Sozialverband Deutschland). Von dort führt die Demonstrationsroute zum Regierungsviertel und geht in eine UmFAIRteilen-Kette über. Kreative Aktionen werden den gesellschaftlichen Reichtum symbolisch umverteilen. Für Bildung von der Kita bis zur Hochschule; faire Arbeit und Löhne in Gesundheit, Sozialer Arbeit und Pflege; bezahlbare Preise für Wohnung, Energie und Wasser; für eine angemessene Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Freizeit- und Kultureinrichtungen. Die zentrale Forderung: Umverteilen für den Ausbau öffentlicher Infrastruktur. Zum Abschluss werden Berliner Initiativen die sozialen Brennpunkte der Stadt aufzeigen, musikalisch begleitet von der Kleingeldprinzessin.

Mehr Infos: www.umfairteilen.de/berlin