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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 585 / 14.8.2013

Nur Mob, noch keine Elite

Deutschland Proteste gegen Flüchtlingsheime häufen sich, in Berlin-Hellersdorf mischt die NPD an vorderster Front mit

Von Antifa AG Avanti Berlin

Die Stimmung bei der Bürgerversammlung am 9. Juli 2013 in Berlin-Hellersdorf werden anwesende AntifaschistInnen nicht so schnell vergessen. Vom »braunen Dienstag« ist danach die Rede, von »Pogromstimmung« und von »Hellersdorf-Lichtenhagen«.

Was war passiert? Etwa 800 Menschen waren an diesem Dienstag zu einer Versammlung gekommen, bei der der Bezirk die AnwohnerInnen über ein neues Heim für Flüchtlinge informieren wollte. Unter dem Applaus Hunderter AnwohnerInnen heizten zahlreiche Nazis von NPD und Kameradschaften die Stimmung an. Anwesende Antifas und FlüchtlingsaktivistInnen waren von der offen rassistischen und aggressiven Atmosphäre sichtlich schockiert.

Die BezirksvertreterInnen ließen die »Wortergreifungsstrategie« der Nazis tatenlos geschehen. Entgegen der Empfehlung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) und den Hinweisen von Antifas wurden auch bekannte Nazis wie Maria Fank vom Ring nationaler Frauen an das Mikro gelassen.

»Brauner Dienstag« in Berlin-Hellersdorf

Im johlenden Mob befanden sich neben NPD-Leuten und Kameradschaftlern auch zahlreiche Nazis, die in den 1990er Jahren in Hellersdorf aktiv waren und sich inzwischen aus der Szene zurückgezogen haben. Einige trugen T-Shirts mit dem Datum »22.-26.8.1992«. Eine unmissverständliche Botschaft: An diesen Tagen fand das rassistische Pogrom von Rostock-Lichtenhagen statt.

Die anwesenden Linken versuchten, durch Sprechchöre der aggressiven Stimmung etwas entgegenzusetzen. Das ließ den Hellersdorfer Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) und einige Medien später in bodenlos dummer »Extremismuslogik« davon sprechen, die Bürgerversammlung sei von »Extremisten von links und rechts« aus anderen Bezirken gestört worden. Dieser Versuch der Weißwaschung der AnwohnerInnen ist so durchsichtig wie einfältig.

Die Situation in Hellersdorf steht nur exemplarisch für eine Vielzahl von Auseinandersetzungen, die um die Einrichtung von neuen Heimen bundesweit geführt werden. In den Berliner Bezirken Charlottenburg, Reinickendorf und Steglitz, aber auch in Bremen-Vegesack oder in Gemeinden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gibt es Anwohnerproteste und rassistische Anfeindungen.

Manchmal kommen sie eher im bieder-konservativen Gewand daher wie in Berlin-Reinickendorf. Hier hatten AnwohnerInnen über einen Anwalt versucht, das Heim wegen »Seuchengefahr« schließen zu lassen, und ihren privaten Kinderspielplatz eingezäunt, damit die geflüchteten Kinder aus dem benachbarten Heim dort nicht mehr spielen können. In Wolgast wollten bereits am 9. November 2012 Nazis mit einem Fackelmarsch gegen eine Unterbringung demonstrieren. Erst in höherer Instanz wurde der Aufmarsch verboten. Diese Zunahme von rechter Hetze gegen Flüchtlingsheime ist kein Zufall. Rassistische Gruppen versuchen, die seit 2012 wieder steigende Zahl von Geflüchteten in eine rassistische Stimmung zu kanalisieren.

Nicht zuletzt dank der antirassistischen Kämpfe in den vergangenen Jahren ist die Lagerunterbringung zunehmend in die Kritik geraten. Es wurden Sammelunterkünfte geschlossen und zunehmend städtische Quartiere gesucht. Allerdings bringen viele Städte und Gemeinden weit weniger Geflüchtete unter, als der Verteilungsschlüssel vorschreibt. Statt der vorhersehbaren Situation verantwortungsvoll zu begegnen, werden jetzt in etlichen Bundesländern hektisch neue Unterkünfte aus dem Boden gestampft.

Die rechte Partei PRO NRW hat bereits im März zu einer »Volksinitiative gegen Asylmissbrauch« aufgerufen. Die NPD versucht ihrerseits, sich als »Speerspitze« des Protests zu profilieren - wie etwa bei der Bürgerversammlung in Hellersdorf. Dabei legt die Partei viel Wert auf ein modernes, bewegungsförmiges Vorgehen. Hauptsächlich agiert sie in Form der von einem NPD-Kandidaten mitgegründeten Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf (BMH). Die BMH setzt ihrerseits vor allem auf eine auf Mitwirkung ausgerichtete Facebook-Kampagne. Gleichzeitig organisiert sie niedrigschwellige Angebote. So tauchen z.B. rund um das Heim immer wieder großflächige Kreidegraffitis mit Sprüchen wie »Nein zum Heim« auf.

Offene Gewaltaufrufe sind auf der Facebookseite der BMH nicht zu finden, zu eindeutige Kommentare werden in der Regel schnell gelöscht. Allerdings wird Antifas subtil mit Gewalt gedroht, in dem z.B. Fotos veröffentlicht werden, die Antifas zeigen, wie sie die rassistischen Kreidezeichnungen entfernen. Diese Einschüchterungsstrategie traf auch eine im lokalen Gegenbündnis aktive Politikerin der Grünen, die massiv bedroht und deren E-Mail-Postfach gehackt wurde.

Offensichtlich versucht die BMH, eine Scharnierfunktion zwischen organisierter Naziszene und ansprechbaren AnwohnerInnen auszufüllen. Dazu bedient sie sich einer gewissen Mimikrystrategie und ist tatsächlich lokal recht gut verankert. Ein entscheidender Unterschied zu den Anwohnerprotesten anderswo liegt in Hellersdorf in der Akzeptanz der Nazis als »Lautsprecher«. Ein Grund hierfür ist sicherlich auch, dass im Bezirk noch viele VertreterInnen der »Nazigeneration« der 1990er Jahren leben, die zwar nicht mehr organisiert sind, aber ein sympathisierendes Umfeld bilden. Die Berliner Zeitung schätzte die Zahl der BI-Aktiven auf ca. 100, die Kerngruppe wird kaum mehr als zehn Personen umfassen. Inzwischen wurde eine zentrale Figur im Gefüge der BI, ein IT-Techniker aus Hellersdorf, von der Antifa geoutet.

Die Situation heute ist (noch) nicht wie 1992

Trotz der von Antifas befürchteten und von den Nazis beschworenen Parallelität zu der Pogromstimmung zu Beginn der 1990er Jahre liegt ein wesentlicher Unterschied darin, dass das politische Establishment aktuell kein Interesse an einer gewaltförmigen rassistischen Mobilisierung hat. Zwar beklagt Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den Anstieg der Flüchtlingszahlen und fordert, den Aufenthalt derer, »die nur aus missbräuchlichen oder asylfremden Gründen zu uns kommen«, schnell zu beenden. Allerdings suchen die Konservativen momentan nicht das »Bündnis von Mob und Elite« (Hannah Arendt), sondern bedienen sich der kalten Instrumentarien bürgerlichen Verwaltungshandelns.

Das bedeutet aber nicht, dass - um rechte Milieus weiterhin an sich zu binden - von konservativer CDU-Seite auf markige Sprüche verzichtet wird. So hetzt der Berliner Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) im Einklang mit zahlreichen Medien von Springer bis zum Tagesspiegel seit Wochen gegen das Flüchtlingscamp am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg.

In der Eigenlogik des heraufziehenden, aber themenlosen Wahlkampfes scheint es denkbar, dass sich in diesem Umfeld eine rechte Mobilisierung entfalten könnte. Es wird viel davon abhängen, ob sich für die rechten Kräfte erfolgreiche »Präzedenzfälle« schaffen lassen und damit der rassistische Protest gegen ein Heim Früchte trägt. Deshalb ist es für Menschen aus der Antifa- und Antirabewegung unbedingt notwendig, in diese lokalen Konflikte zu intervenieren und für ein Scheitern der rechten Mobilisierung zu sorgen.

Die Stärkung von lokalen linken Akteuren und die Unterstützung von breiten Bündnissen sind dabei essenziell. Im Gegensatz zu vielen Antifa-Interventionen der 1990er Jahre kommt es dabei jedoch darauf an, dass Handlungsstrategien dem Stand der lokalen Kämpfe angepasst sind und gemeinsam auch von den linken lokalen Akteuren getragen werden und nicht im Nachhinein deren Position schwächen.

Avanti - Projekt undogmatische Linke ist Teil der Interventionistischen Linken. Neben Berlin gibt es Avanti in Bremen, Hamburg, Hannover, Kiel, Lübeck und Norderstedt.