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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 586 / 17.9.2013

Jenseits des Mietspiegels

Diskussion Vergesellschaftung als Perspektive für Kämpfe um Wohnraum

Von der Stadt-AG Avanti Berlin

»Die Eigentumsfrage stellen« - mit dieser Aufforderung endete in den letzten Jahren so mancher Artikel zu Abwehrkämpfen aller Art. Doch wie und warum stellt man die Eigentumsfrage? Das Fragen ist Indiz für die Ohnmacht, mit der linke Politik trotz vieler Mobilisierungserfolge der Trägheit des Bestehenden gegenübersteht. Auch nach fünf Jahren Finanzkrise scheinen die Verhältnisse festgefahren, viele Menschen sind ebenso unzufrieden wie hilflos.

Abwehrkämpfe gibt es, doch antikapitalistische Ansätze oder gar Utopien stoßen auf Desinteresse. Doch Utopien sind notwendig. Ging es in den trüben 1990er Jahren darum, politische Gestaltung gegen das Gerede vom »Ende der Geschichte« zu verteidigen, ist die Linke mit der anhaltenden Krise des Neoliberalismus längst in der Verantwortung, konkrete Ziele zu benennen.

Dazu eignet sich kaum eine Debatte so gut wie das Thema Wohnen. Während anderswo die Immobilienblasen längst geplatzt sind, strömt in Deutschland das Kapital weiterhin zum »Betongold«. Doch diese Investitionen in Wohnraum bringen für die Mehrheit keine Verbesserung der Lebensqualität, sondern Kostensteigerung und Vertreibung.

Aus verschiedenen Ecken der radikalen Linken ist hier die Forderung »Wohnraum Vergesellschaften« laut geworden (1) - doch wie soll das konkret aussehen? Anhand von Beispielen auf lokaler und kommunaler Ebene wollen wir Möglichkeiten und Grenzen kollektiver Organisation von Wohnraum betrachten.

Hausprojekte und das Mietshäuser-Syndikat

Lokale Hausprojekte sind der Beweis, dass Wohnraum sinnvoll und kollektiv organisiert werden kann. In den meisten linken Hausprojekten werden Entscheidungen von allen BewohnerInnen gemeinsam getroffen, die Mieten sind langfristig bezahlbar, da keine Rendite erwirtschaftet werden muss. Zum Teil werden Räumlichkeiten an Initiativen vergeben und damit politische Projekte ermöglicht, die keine Marktmieten zahlen können.

Noch spannender wird es, wenn Projekte kooperieren. Im Mietshäuser-Syndikat, in dem zurzeit 74 Hausprojekte aus ganz Deutschland überregional zusammengeschlossen sind, wird Geld von bestehenden und weitestgehend entschuldeten Häusern zu neuen Projekten transferiert - es entsteht eine langfristige Finanzreserve. Wenn es gut läuft, entstehen in diesen Projekten tragbare Beziehungen zwischen den BewohnerInnen; Vereinzelung kann überwunden werden.

Wären so organisierte Projekte in der Lage, ganze Straßenzüge oder Stadtteile zu »übernehmen«, könnte die Kapitalverwertung zumindest in diesem Sektor eingegrenzt werden. Doch hier liegt gleichzeitig das Problem: Viele bestehende Projekte sind besonders zu Beginn auf privates Kapital und Bankkredite angewiesen. Darüber hinaus haben sie oft wenig oder keinen Einfluss auf ihre Umgebung. Gerade bei älteren Projekten weicht zudem der anfängliche Enthusiasmus mitunter einer schleichenden Entpolitisierung.

Eine weitere Problematik der Projekte: Sie neigen, zumindest in der Entstehung, zur Homogenität der BewohnerInnen. Außen vor bleiben viele, die nicht Willens oder in der Lage sind, den anspruchsvollen Prozess eines Hausprojekts, die »Mühen der Selbstverwaltung« auf sich zu nehmen. Hier braucht es eine Weiterentwicklung mit neuen Modellen, die Partizipation, auch aus dem Stadtteil heraus, und Kapitalneutralisierung garantieren, aber mehr sind als die bisherigen Ansätze. Um über das Bestehende hinaus zu weisen, müssen lokale Projekte mit überregionalen Politikformen verbunden werden.

Vom Roten Wien in den Berliner Sumpf

Ein solches überregionales Konzept ist der soziale Wohnungsbau. Er hat in der außerparlamentarischen Linken jedoch kaum Fürsprecher. Die große Welle der Hausbesetzungen im Westberlin Anfang der 1980er Jahre richtete sich gerade gegen einen sozialen Wohnungsbau, der für Flächensanierung und Stadtzerstörung stand und darüber hinaus tief verwurzelt war in einer mafiösen Struktur aus lokaler Politik, Bauwirtschaft und Anlegern.

Die Auswirkungen dieser katastrophalen Verbindung von sozialdemokratischer Wohnungspolitik mit den Interessen von Anlegern und Unternehmen sind noch heute zu spüren. Die aktuellen Proteste der Initiative Kotti & Co in Sozialbauten am Kottbusser Tor in Berlin richten sich gegen explodierende Kosten infolge von Privatisierung gerade in dem Segment der Wohnungswirtschaft, in dem Geringverdienende und MigrantInnen wohnen.

Zum anderen hatte der sozialdemokratisch geprägte Wohnungsbau, seien es die Gartenstädte des Genossenschaftswohnungsbaus oder Projekte wie das Hansa-Viertel in Berlin, seinen Anteil daran, aus ArbeiterInnen konsumierende Angestellte zu machen. Das Ideal war die Kleinfamilie mit geregeltem Einkommen, die Wohnung architektonische Ergänzung des fordistischen Fabriksystems. Der deutsche soziale Wohnungsbau wollte also nicht Segmente der Wohnungswirtschaft aus einer Profitlogik herauszunehmen. Er diente meist dazu, Privatinvestitionen staatlich zu unterstützen - was aber in Zeiten des keynsianistischen Wohlfahrtsstaats durchaus preiswerte Wohnungen brachte.

Zudem führte die Kritik am sozialen Wohnungsbau nicht in eine progressive Überwindung, sondern trug dazu bei, die Privatisierung zu legitimieren. In den Protesten dagegen zeigte sich wiederum, dass es trotz aller Kritik eine solidarische Aneignung der Sozialbauten durch die BewohnerInnen gab. Gerade in Wohnkomplexen, die pauschal als »Bausünde« wahrgenommen wurden, entwickelten sich funktionierende Nachbarschaften, die auch zum Träger sozialer Proteste wurden - wie noch einmal das Beispiel Kotti & Co zeigt.

Eine etwas andere Geschichte hat der soziale Wohnungsbau in Österreich. Er kommt aus Zeiten einer absoluten Mehrheit der Sozialdemokratie, dessen bekanntester Ausdruck das »Rote Wien« der 1920er Jahre ist. Noch heute wohnt dort mehr als jede zweite EinwohnerIn im öffentlich geförderten Wohnungsbau. Auch wenn es zum »Gemeindebau« vergleichbare Kritik wie die oben zitierte gibt, ermöglicht der bis heute starke staatliche Sektor Gegensteuern in der Mietentwicklung.

Finanziert wurde der Wiener Gemeindebau ursprünglich vor allem durch Wohnraumsteuer auf Luxuswohnungen und niedrige Zinsen. Er war bei seiner Einführung nicht nur Ausdruck der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit, sondern auch passförmig für einen Entwicklungspfad, in dem das Industriekapital deutlich das Finanzkapital dominierte und Interesse an niedrigen Mieten hatte, denn diese bedeuteten weniger Lohnkosten.

Dennoch: Heute wird in Österreich ein geringerer Anteil des Bruttosozialprodukts für die Wohnraumversorgung ausgegeben als in Deutschland, gleichzeitig gibt es größere Effektivität und geringere Mitnahmeeffekte der Immobilienwirtschaft. Gründe sind der Fokus auf Objektförderung und eine große städtische Liegenschaftsreserve statt Subjektförderung z.B. durch Wohngeld.

Unter dem Strich war sozialer Wohnungsbau also meist kein Gegenmodell zum Kapitalismus, sondern als produktive Staatsinvestition Teil fordistischer Entwicklungsstrategien. Aber trotzdem hat er die Spielräume einer gesellschaftlichen Gestaltung für die Subalternen vergrößert und das im Frühkapitalismus übliche Wohnungselend deutlich abgemildert. Heute, wo Wohnungsnot und Verdrängung wieder ein Thema geworden ist, gewinnt die Forderung eines staatlichen Wohnungsbaus an Bedeutung, vor allem in den Kämpfen um Rekommunalisierung. Die Idee der Vergesellschaftung kann hier anschließen, als radikale Kritik sowohl an Privatsektor und fordistischem Wohnungsbau.

Die Grenzen bisheriger Modelle

Öffentliches und kollektives Eigentum an Wohnraum sind keine abstrakten Forderungen, sondern konkrete Modelle, mit denen linke Bewegungen versucht haben, ein Recht auf Wohnraum sicherzustellen. Zentral bei der Betrachtung über Erfolge und Scheitern sind insbesondere drei Fragen. Die nach der Reichweite, der Selbstverwaltung und der politischen Aktivierung der BewohnerInnen.

Sowohl Hausprojekte als auch Genossenschaften waren sehr erfolgreich darin, günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen - allerdings stets nur für ein begrenztes Kollektiv an Mitgliedern. Eingebettet in breitere kommunale Strategien kann es jedoch gelingen, den Aufbau eines nicht-privaten Wohneigentums voranzutreiben, wie die historische Genossenschaftsbewegung gezeigt hat. Die Schaffung eines öffentlichen Wohnungsbestandes milderte den Druck des privaten Immobiliensektors - durchbrach jedoch nicht dessen Logik, sondern stabilisierte durch Investitionsförderung die bestehenden Eigentumsverhältnisse.

Immer wieder war deshalb zu beobachten, wie privatkapitalistische Mechanismen auf die Gegenmodelle überschwappten. Bewusster Zerstörung und Privatisierung ging dabei oft ein Prozess von Entpolitisierung, innerer Korruption und Anpassung an private Akteure voraus. Für solche Korruption ist insbesondere der Berliner Baufilz berüchtigt, doch die Anpassung machte auch vor Genossenschaften und Hausprojekten nicht halt. Schon 1896 formulierte der Soziologe Franz Oppenheimer sein »Transformationsgesetz« und sagte voraus, dass im kapitalistischen Umfeld Genossenschaften stets nur eine begrenzte Aufnahmefähigkeit hätten und sich »am Markt« langfristig wie private Unternehmen verhalten müssten.

Das Problem ist also der Markt und zugleich der Staat. Vergesellschaftung ist eine gesamtgesellschaftliche Perspektive, die mit der warenförmigen Organisation von Wohnen und Bauen bricht: Wohnungen sollen nicht mehr am Markt gehandelt werden. Nicht nur einige, sondern alle größeren Wohnungsbestände müssen dauerhaft in öffentliche und demokratisch kontrollierbare Eigentumsformen überführt werden. Nur so kann verhindert werden, dass in Krisenzeiten wieder privatisiert oder nach Renditeerwägungen verwaltet wird.

Wohnraum, der nicht als Eigenheim von den BewohnerInnen genutzt wird, muss schlicht enteignet werden. Auch dies keine Utopie - großflächig enteignet wurde etwa im Staatssozialismus der DDR und Osteuropas. Doch hier wie auch im sozialen Wohnungsbau fehlten genau jene Mitbestimmungsebenen, die kleinere Projekte innerhalb des Kapitalismus auszeichneten. Ein Plattenbausozialismus, in dem Wohnungspolitik über die Köpfe der Bevölkerung hinweg geplant wird, ist alles andere als die Verwirklichung des »Recht auf Stadt«.

Der Zentralstaat kann nicht alleiniger Akteur von Wohnungspolitik sein, selbst wenn er real oder dem Namen nach von sozialistischen Kräften dominiert wird. Die abstrakte Forderung nach Vergesellschaftung von Wohnraum braucht Konkretisierung in kleineren Einheiten, von der Genossenschaft bis zum Hausprojekt, aber auch ein politisches kollektives Handeln der BewohnerInnen. Ziel wäre eine Verbindung aus überschaubaren demokratischen Kollektiven und einer gesamtgesellschaftlichen Planung auf kommunaler und staatlicher Ebene.

Die Widerstände dabei dürfen nicht kleingeredet werden. Die Warenform zu durchbrechen bedeutet einen Klassenkampf gegen mächtige Interessen und einen Kampf mit der eigenen Courage: Allzu nahe liegt es, durch Teilforderungen oder abstrakte Formeln von »öffentlichem Eigentum«, die Brötchen kleiner zu backen.

Forderungen wie Privatisierungsstopp, Mietobergrenzen, nach sozialem Wohnungsbau, Rekommunalisierung und Abkehr vom neoliberalen Dogma der Markthörigkeit sind als Übergangsforderungen wichtig. Doch nur mit einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive ist es möglich, über Abwehrkämpfe hinauszukommen. Mietobergrenzen sind Selbstverteidigung - die Forderung nach Vergesellschaftung ist der Gegenangriff. Als antikapitalistische Linke ist es unsere Aufgabe, diese Perspektive in Kiezinitiativen, Mieterproteste und die »Recht auf Stadt«-Bewegung hineinzutragen.

Avanti - Projekt undogmatische Linke ist Teil der Interventionistischen Linken (IL). Im Bündnis mit vielen anderen Gruppen organisiert Avanti für den 28. September einen bundesweiten Aktionstag gegen Mietsteigerungen und Verdrängung: www.keineprofitemitdermiete.org.

Anmerkung:

1) Vgl. die Broschüre Vergesellschaftung der Interventionistischen Linken, www.dazwischengehen.org