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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 586 / 17.9.2013

Intervention vertagt, Dilemma bleibt

Diskussion Syrien, der Imperialismus und die politischen Reflexe der deutschen Linken

Von der ak-Redaktion

Der Angriff auf Syrien ist verschoben. Ob und wann er stattfindet, ist offen. Die Atempause ist das Ergebnis einer diplomatischen Panne: US-Außenminister Kerrys »rhetorisches« Ultimatum an Syrien hat Russland clever ausgenutzt. Sollte Assad die syrischen Chemiewaffen innerhalb einer Woche internationaler Kontrolle unterstellen, dann könne Syrien einem Militärschlag entgehen, hatte Kerry gesagt - und war von seinem russischen Amtskollegen Lawrow beim Wort genommen worden. Lawrow leitete das vermeintliche »Angebot« an den syrischen Außenminister Walid Muallem weiter, der sogleich die »Weisheit der russischen Führung« lobte und versprach, die vorhandenen Chemiewaffen zu übergeben und auf die weitere Produktion zu verzichten. Diese Zusage mag ernst gemeint sein oder auch nicht - zunächst einmal hat sie den Kriegsbeginn verschoben.

Obama hält sich derweil die Option eines Militärschlags offen. Seine Rede an die Nation vom 10. September enthielt massive Drohungen: »Das US-Militär macht keine Nadelstiche. Selbst ein eingeschränkter Schlag sendet eine Nachricht, die keine andere Nation liefern kann.« Die Details der Angriffspläne bleiben unverändert. Danach sollen Luftwaffenbomber sowie im Mittelmeer und im Roten Meer stationierte Kriegsschiffe Raketen und Marschflugkörper auf Syrien abfeuern. Natürlich auf »militärische Ziele« - nach jedem Einsatz soll es eine Auswertung geben, welche Ziele verfehlt wurden; darauf folgen weitere Angriffe, und »das alles binnen 72 Stunden«, berichtete die Los Angeles Times unter Berufung auf ExpertInnen des Verteidigungsministeriums. Zudem habe das Weiße Haus beim Pentagon eine Liste mit »vielen weiteren« als den bisher vorgesehenen 50 Angriffszielen angefordert. Dass es bei deren Bombardierung zu »Kollateralschäden« kommen würde, ist offensichtlich. Schon die Drohungen aus Washington haben in Syrien das Elend verschärft und eine weitere massive Fluchtwelle ausgelöst. Ganz »großzügig« will die deutsche Bundesregierung nun 5.000 Flüchtlinge aufnehmen - von insgesamt mehr als sechs Millionen.

Offiziell begründet wird der bevorstehende Militärschlag mit dem Giftgaseinsatz am 21. August, bei dem mehr als 1.000 Menschen getötet wurden. Wer dafür verantwortlich ist, lässt sich nicht eindeutig klären. Die in Syrien tätigen internationalen InspekteurInnen sollen auch lediglich nachweisen, dass Giftgas eingesetzt wurde. Gleichwohl behaupten die CIA und der BND, das Regime sei »zweifelsfrei« für den Massenmord verantwortlich. Während Assad »Terroristen« als Täter sieht, gehen mehr oder weniger gut informierte BeobachterInnen von einem Konflikt innerhalb des Regimes aus; demnach hätte eine Fraktion mit dem Giftgaseinsatz eine Zuspitzung der Situation erreichen wollen. Doch auch wenn vieles für eine Urheberschaft von Assads Militär spricht - letztlich bleiben all diese Szenarien Spekulation.

Eiertanz um die »rote Linie«

In seiner Rede an die Nation erklärte Obama mit viel Pathos, es gehe darum, syrische Kinder vor weiterem Giftgas zu schützen. Und es sei im nationalen Interesse der USA, auf den Giftgaseinsatz »mit einem gezielten Militärschlag zu antworten. Der Zweck dieses Schlags ist, Assad vom Einsatz chemischer Waffen abzuhalten, die Fähigkeit seines Regimes zu mindern, sie einzusetzen und vor der Welt klarzumachen, dass wir ihren Einsatz nicht tolerieren.« Schon rein technisch lassen sich chemische Waffen nicht mit Hilfe von Raketen unschädlich machen. Schwer nachvollziehbar ist auch, dass - nachdem im syrischen Bürgerkrieg mehr als 100.000 Menschen auf »konventionelle« Weise umgebracht wurden - nun hier die »rote Linie« überschritten sein soll. Ein Fall für die USA, die laut Obama zwar »keine Weltpolizei«, aber doch »seit fast sieben Jahrzehnten« der »Anker der globalen Sicherheit« sind?! Die zweifelhaften Verdienste der USA um die »globale Sicherheit« sind bekannt.

Nachdem es vor dem Irakkrieg 2003 innerhalb des westlichen Staatenbündnisses immerhin noch rhetorische Scharmützel um dessen Berechtigung gab, herrscht diesmal Einmütigkeit: Der Schurke Assad muss bestraft werden! Zwar will die deutsche Regierung - insbesondere kurz vor den Bundestagswahlen - mal wieder den Eindruck der Friedfertigkeit erwecken. Nach einigem Zögern hat sie sich dann doch der westlichen Führungsmacht angeschlossen, und mit ihr alle 28 EU-Staaten. »Eine klare und starke Antwort ist wichtig, um klarzustellen, dass solche Verbrechen (wie der Giftgaseinsatz vom 21. August; Anm. ak) inakzeptabel sind und sie nicht ungestraft bleiben können«, heißt es in der Erklärung der EU-AußenministerInnen von Vilnius. Dass militärische Strafmaßnahmen gegen das sonst so gern bemühte Völkerrecht verstoßen - wen kümmert's? Unterm Strich bleibt ein Freibrief für jene Koalition der Willigen, die Syrien früher oder später die »starke internationale Antwort auf diesen Verstoß gegen weltweit gültige Normen« geben wird; so steht es in derG20-Erklärung von St. Petersburg. Auch diese gewollt vage Formulierung hat die Bundesregierung schließlich unterschrieben. Es verwundert nicht, dass US-Außenminister Kerry auch die EU-Erklärung als wichtige Unterstützung der eigenen Politik gewürdigt hat.

Betrachtet man die geopolitischen Interessen des Westens, dann ist dessen Vorgehen nur logisch und keineswegs hilflos: Obama hatte schon vor einem Jahr den Einsatz von Giftgas als »rote Linie« definiert, deren Überschreiten eine militärische Antwort erfordern würde. Man kann darüber streiten, ob er sich damit leichtfertig oder ganz bewusst unter Zugzwang gesetzt hat. Um nicht als Papiertiger zu erscheinen, müssen die USA, unterstützt von der westlichen »Wertegemeinschaft«, den Worten Taten folgen lassen. Ein Militärschlag gegen Syrien wäre eine unmissverständliche Warnung vor allem an den Iran.

Linke Reaktionen auf einen möglichen Militärschlag

Können Linke in Deutschland mehr tun, als das zu analysieren, am Tag X auf die Straße zu gehen, die Heuchelei der staatstragenden Parteien zu kritisieren und eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen zu fordern? Die ak-Redaktion kooperiert seit längerem mit humanitären Organisationen wie Adopt a Revolution (AaR) oder medico international. AaR versucht in Syrien, den zivilen, nichtmilitärischen Widerstand gegen das Regime zu fördern, und stellt sich klar gegen jedes militärische Eingreifen von außen. Dass einige ihrer syrischen BündnispartnerInnen das mittlerweile anders sehen, ist angesichts der Eskalation des Bürgerkrieges nicht verwunderlich. In einer Pressemitteilung »Stimmen aus Syrien zur Militärintervention« hat AaR dieser Position Raum gegeben. Und wir haben in ak 585 ein Interview dokumentiert, in dem Ghayath Naissé eine Bewaffnung des Widerstands fordert.

Das Dilemma von AaR und anderen Organisationen, die die demokratische Opposition unterstützen, ist auch unseres: Die syrische Opposition gegen Assad ist heterogen, in ihr haben islamistische Gruppierungen großen Einfluss, aber auch demokratische und linke. Wir halten daran fest, letztere publizistisch zu unterstützen. Wer das - wie Christian Stache in seinem nebenstehenden Leserbrief - als »Menschenrechtsimperialismus« geißelt, offenbart ein erschreckend simples Weltbild: AaR - und mittelbar dann wohl auch die ak-Redaktion - sei »maßgeblich daran beteiligt, eine Hegemonie für die imperialistische Politik Deutschlands und der USA in der Bundesrepublik herzustellen«. Eine solche Position leugnet jede Möglichkeit, in einem Konflikt mit politisch und militärisch starken Interessen Partei für subalterne Kräfte zu ergreifen - ein Feldherrenblick, der an das Denken des Kalten Krieges erinnert. Schlimmer aber ist: Wer nur den Imperialismus und die syrische Opposition kritisiert und dem demokratischen Aufbruch jede Solidarität verweigert, betreibt kostenlose PR-Arbeit für das Assad-Regime, das den Großteil der syrischen Bürgerkriegsopfer zu verantworten hat.

Während auf der einen Seite der ausschließlich »antiimperialistische« Blickwinkel die Wahrnehmung verzerrt, agieren auf der anderen die links-bellizistischen Kreise wie gewohnt. In der Jungle World (5.9.2013) kritisieren Oliver M. Piecha und Thomas von der Osten-Sacken »Obamas Tatenlosigkeit«. Ihr Artikel trägt die Überschrift »Das süße Nichtstun«: Anstatt offen den Sturz Assads zu betreiben, starre der Westen »wie hypnotisiert auf die Jihadisten ..., die die politische und militärische Leerstelle, die der Westen hinterlassen hat, eingenommen haben.« Daran würden auch »ein paar Cruise Missiles Richtung Syrien« nichts ändern. Diese Klagen über den Abschied der USA von der Rolle des Weltpolizisten laufen im Umkehrschluss auf die Forderung hinaus, die USA mögen doch wieder die Polizeiuniform überziehen, endlich in Syrien einmarschieren und die Dinge »in Ordnung bringen«. Wie sich ein solcher Glaube an die Omnipotenz der »Supermacht USA« mit der Hoffnung auf Emanzipation vertragen soll, für die auch der demokratische Aufbruch in Syrien steht, ist schleierhaft.

Wir bleiben dabei: »Die Revolution in Syrien braucht Unterstützung« - auch wenn offen ist, »wohin Syrien nach einem Ende des Assad-Regimes steuern würde«. So haben wir es in unserer Redaktionserklärung von Februar 2012 geschrieben, ähnlich argumentierten wir im Januar dieses Jahres. Die Dinge sind seitdem nicht einfacher geworden. Eine Militärintervention der USA und ihrer etwaigen Partner fällt nicht unter diese Unterstützung. Doch wer die Solidarität mit Menschen im Aufstand geopolitischen Machtkalkülen opfert, argumentiert zynisch und torpediert die eigene Glaubwürdigkeit als emanzipative Kraft. Aber seien wir ehrlich: Verglichen mit den Problemen der syrischen Revolution erscheinen die der deutschen Linken läppisch.

Der linke Feldherrenblick

»Angesichts einer Politik, die zum symbolischen Handlungsersatz wird, und einer Kriegsdrohung, die als Fortsetzung letztlich absichtsloser Handlung erscheint, hätte der Westen vielleicht einfach besser weiter nichts getan. Dann nämlich hätte sich die Gegenseite immerhin noch gefragt, was geschehen würde, gäbe der Westen sein Nichtstun auf. Nun weiß sie es. Diese Art von Kriegführung ist das Nichtstun mit anderen Mitteln. Damit dürfte in Teheran, Damaskus und Moskau auch klar geworden sein: Man kann einfach so weitermachen wie bisher. Und sich zwischenzeitlich in aller Ruhe darauf vorbereiten, dass irgendwann zur Strafe vielleicht doch noch ein paar Cruise Missiles Richtung Syrien abgeschossen werden.« (Oliver M. Piecha und Thomas von der Osten-Sacken, Jungle World, 5.9.2013)

»Die US-Ziele in der Region sind nicht nur von zionistischen Interessen geprägt, sie entsprechen auch dem Selbstbild Washingtons, die alleinige Weltmacht zu sein und bleiben zu wollen. Der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber und US-General Wesley Clark hatte bereits zehn Tage nach dem Anschlag auf das Welthandelszentrum in New York vom 11. September 2001 im Pentagon von Angriffsplänen auf sieben Staaten in fünf Jahren erfahren. Angegriffen und zerstört werden sollten demnach die Regierungen im Irak, Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und Iran, so General Clark. Die Strategie, die diesen Angriffen zugrunde läge, sei es, die Kontrolle der Öl- und Gasressourcen der Region für die USA zu sichern.« (Karin Leukefeld, junge Welt, 7.9.2013)