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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 587 / 15.10.2013

Der Krieg frisst sich nach Mexiko-Stadt

International Der mexikanische Drogenkrieg überzieht mittlerweile das ganze Land

Interview: Eva Völpel

Ende 2012 kehrte in Mexiko mit dem Sieg von Enrique Peña Nieto die »Dinosaurier«-Staatspartei PRI zurück an die Regierung, die das Land von 1929 bis 2000 regiert hatte. (Siehe ak 581) Auch wenn vor allem die von 2000 bis 2012 regierende PAN den »Krieg gegen die Drogen« intensivierte, geht dieser unter der PRI unvermindert weiter. ak sprach mit der Menschenrechtsanwältin Alejandra Ancheita über das Ausmaß organisierter Kriminalität, die Verstrickungen mit dem Staatsapparat und die Folgen für die Zivilgesellschaft.

Seit 2006 hat der Krieg gegen die Drogenkartelle in Mexiko nach offiziellen Angaben 70.000 Tote und 25.000 Verschwundene gekostet: Menschen, die zwischen die Fronten gerieten, Mitglieder der Kartelle, aber auch Aktivisten aus sozialen Organisationen, Anwälte oder Journalisten. Beobachter hatten die vage Hoffnung, dass mit der Rückkehr der Partei PRI an die Regierung im Dezember 2012 die schärfsten Gewaltexzesse eingehegt würden. Ist das passiert?

Alejandra Ancheita: Es gab diese Hoffnung, was viel darüber aussagt, in welcher Sackgasse Mexiko steckt. Die Hoffnung gründete darauf, dass die PRI, die Mexiko über 70 Jahre als Staatspartei regiert hat, während dieser Zeit eine Art der Kontrolle über die Kartelle ausübte - auch um den Preis, dass staatliche Institutionen selbst in das Drogengeschäft verstrickt waren. Aber nun ist Peña Nieto von der PRI schon über ein halbes Jahr Präsident und wir sehen keine Einhegung der Gewalt. Man hört, die Regierung sondiere das Terrain, mit welchem Akteur organisierter Kriminalität sie kooperieren, mit welchem sie nur in eine militärische Konfrontation gehen kann. Aber eine wirkliche soziale und politische Strategie, die Ursachen der Kriminalität zu bekämpfen, hat die Regierung nicht.

Es ist also keine Veränderung in der Intensität der Gewalt auszumachen?

Nein. Der Drogenkrieg überzieht mittlerweile das ganze mexikanische Territorium, er hat sich vom Norden in den Tausende Kilometer weit entfernten Süden verschoben. Allein die Halbinsel Yucatán am südöstlichen Zipfel des Landes ist noch etwas ruhiger. Und wir erleben etwas relativ Neues: Der Krieg frisst sich zunehmend auch nach Mexiko-Stadt.

Die Hauptstadt galt lange Zeit als Insel des Friedens. Was merkwürdig klingt, wenn man weiß, wie rau diese Metropole mit rund 20 Millionen Einwohnern in ihrem Einzugsgebiet ist.

Der bewaffnete Konflikt relativiert manch traditionelle Kriminalität. Die Binnenflüchtlinge aus Nordmexiko, die vor dem Drogenkrieg fliehen, gehen entweder in die USA oder kommen nach Mexiko-Stadt. Doch die Hauptstadt scheint sich als sicherer Zufluchtsort vor der barbarischen Gewalt langsam aufzulösen. Vor Kurzem haben sie in der Zona Rosa, einem Ausgehviertel, zwanzig Jugendliche entführt. Es heißt, es gehe dabei um eine Rechnung, die zwei Kartelle miteinander begleichen. Einer der Verschwundenen ist der Sohn des Anführers eines Kartells. Es gibt immer mehr solcher Geschichten, an denen man sieht: Die Frontlinie ist näher gerückt.

Erhöht die Zivilgesellschaft vor diesem Szenario erneut den Druck auf die Regierung? Es gab die Märsche für den Frieden, die Javier Sicilia, ein bekannter mexikanischer Poet und Autor, ab 2011 anführte, nachdem sein Sohne ermordet worden war. Und es gab die studentische Protestbewegung Yó Soy 132, die während Peña Nietos Präsidentschaftskampagne 2012 ausbrach (siehe ak 573).

Nein, im Moment gibt es keine Bewegung von solch großer Intensität. Es passieren vielmehr seltsame Dinge. Seitdem Peña Nieto an der Macht ist, erleben wir, wie sich über bestimmte, regierungsnahe Presseorgane ein Schweigen legt, wenn es um die Toten und die Konflikte der organisierten Kriminalität geht, die ja längst nicht mehr nur den Drogenhandel umfassen. Als gäbe es eine unausgesprochene Übereinkunft, so zu tun, als wäre es ruhiger geworden. Wir an der Front, Anwälte, Menschen von sozialen, kommunalen oder indigenen Organisationen, unabhängige Journalisten, hören aber aus allen Teilen des Landes, dass die Gewalt weiterhin zunimmt. Vielleicht ist das ja eine Auswirkung der Rückkehr der PRI an die Regierung: Sie hegt bisher nicht die Gewalt an sich ein, erhöht aber die Kontrolle und den Einfluss auf wichtige Akteure der mexikanischen Gesellschaft. So, wie sie das jahrzehntelang getan hat.

Als Peña Nietos Vorgänger, Felipe Calderón, die Armee 2006 aus den Kasernen holte und in den Drogenkrieg schickte, haben Experten gesagt, jetzt wird auch noch diese Institution korrumpiert, wenn sie in den täglichen Kontakt mit den Kartellen kommt. Hat sich das bewahrheitet?

Es gibt immer wieder gut recherchierte Artikel darüber, wie höchste Ränge der Armee korrumpiert werden. Aber das Problem beginnt viel früher. Die Armee macht sich schuldig, weil sie Menschen dem Tod preisgibt. Familien berichten immer wieder davon, dass Angehörige entführt wurden, um Geld zu erpressen. Die mexikanische Durchschnittsfamilie ist aber arm und hat dieses Geld nicht. Die Angehörigen suchen dann teilweise Unterstützung beim Innenministerium ihres Bundesstaats. Dort schickt man sie zu den Militärs. Und das weiß manchmal haargenau über den Fall Bescheid. Wo der Mensch festgehalten wird, welche Gruppe ihn entführt hat. Aber es heißt: »Wir können da nichts machen, die Region ist von dieser Gruppe oder dieser kontrolliert.« Das ist für viele das Todesurteil.

Die organisierte Kriminalität überlagert mittlerweile viele Konflikte in Mexiko. Das hat auch Auswirkungen auf das Verhalten internationaler Unternehmen, die in Mexiko investieren. Sie sagen, mehr Unternehmen nutzen einen rechtsfreien Raum.

Ja. Meine Organisation verteidigt im nördlichen Bundesstaat Durango eine Gemeinde, die sich gegen das kanadische Bergbauunternehmen Excellon Ressources Inc. wehrt. Excellon baut dort Silber, Blei und Zink ab und hält Klauseln in den Verträgen über das gepachtete Land nicht ein. Hochgradig verschmutztes Wasser wird beispielsweise ungefiltert einfach in die Gegend gekippt, soziale Projekte für die Gemeinde werden nicht verwirklicht. Als die Bauern aus Protest dagegen 2012 drei Monate vor der Firma campierten, wurden sie in dieser Zeit nicht nur vom privaten Sicherheitsdienst der Firma sowie von der Polizei bedroht, sondern auch von anderen lokalen Gruppen, deren Akteure wir nicht genau zuordnen konnten. Soziale Proteste werden in Mexiko immer gefährlicher. Und wenn jemand entführt, gefoltert oder ermordet wird, dann weiß man oft nicht, wer es war. Sind es private Akteure der organisierten Kriminalität, sind es staatliche Akteure wie Polizisten?

Wie ist der Konflikt in Durango ausgegangen?

Die Bauern wollen den Pachtvertrag annullieren. Wir hatten deswegen Klage beim nationalen Kontaktpunkt der OECD in Mexiko eingereicht, denn Excellon verstößt gegen die Leitlinien der OECD. Doch in Mexiko wollte sich das OECD-Büro unter fadenscheinigen Gründen nicht mit dem Fall beschäftigen. Wir haben schließlich beim Hauptsitz der OECD in Paris dagegen protestiert und konnten einen kleinen Erfolg erringen: Zum ersten Mal durften Vertreter der Zivilgesellschaft, Repräsentanten aus der Gemeinde, vor Kurzem in Paris vor der OECD und der Versammlung aller internationalen Büros sprechen. Jetzt soll solch eine Anhörung jedes Jahr stattfinden. Das ist wichtig, so kann mehr Druck und Transparenz entwickelt werden. Nun warten wir darauf, dass das OECD-Büro in Mexiko den Fall eröffnet.

Sie sagen auch, dass Windenergieprojekte in Mexiko gar nicht mehr toll aussehen, wenn man darauf schaut, wie die Parks errichtet werden.

Wir verteidigten eine indigene Gemeinde im südlichen Bundesstaat Oaxaca, auf deren Land Windparks gebaut werden. Die spanische Firma Renovalia Energy sowie das mexikanische Partnerunternehmen DEMEX haben die Anwohner dabei nie so, wie es nötig gewesen wäre, um Erlaubnis gefragt. Denn das Land, auf dem sie die Windräder bauen, ist in Gemeinschaftsbesitz - wie das in Mexiko, zumal in indigenen Gemeinden, eben häufig noch der Fall ist. Nur eine Vollversammlung hätte darüber entscheiden können, ob das Land verkauft oder verpachtet werden darf. Stattdessen haben die Firmen an einzelne Türen geklopft, haben einige wenige Leute überredet, Verträge zu unterzeichnen, die noch dazu nur auf Spanisch waren. Doch viele Anwohner sprechen nur Zapotekisch. Allein das sind schon mehrere Gesetzesverstöße.

Was passierte noch?

Noch dazu zäunten die Firmen Land ein, das den Bauern gehört, auf dem sie ihre Tiere halten oder etwas anbauen. Private Sicherheitsfirmen verwehren ihnen jetzt den Zutritt. Das ist schlicht und einfach Landraub.

Sind auch deutsche Firmen in solche Projekte involviert?

Nicht direkt. Aber Siemens liefert für etliche Windparks die Turbinen, so auch in Oaxaca. Es gibt also eine Art von moralischer Verantwortung, würde ich sagen.

In Mexiko bricht Gewalt in besonderer Form über Frauen herein, man denke nur an die »femicidios«, das Phänomen der Massenmorde an Frauen, für das es mittlerweile einen eigenen Begriff gibt. Wie erleben speziell Anwältinnen oder Journalistinnen die Gewalt?

Wir erfahren die Aggression nicht nur als Entführung oder Folter, sondern explizit immer auch als sexuelle Gewalt. Die meisten entführten Aktivistinnen werden vergewaltigt. Unsere Familien werden häufiger als bei männlichen Aktivisten zur Zielscheibe, weil die Angreifer sich denken, dort sind wir besonders verwundbar. Und ein großes Problem ist, dass offizielle Stellen den Zusammenhang zwischen unserer Arbeit und der Repression gegen uns oft systematisch bestreiten. Es heißt dann, ach, da ging es um eine Beziehungstat.

Eva Völpel ist Journalistin. In ak 586 schrieb sie über Studentenproteste in Chile.

Alejandra Ancheita

Die 37-Jährige arbeitet seit über 15 Jahren in Mexiko als Menschenrechtsanwältin. 2006 gründete sie ihre eigene Organisation, die NGO Proyecto de Derechos Económicos, Sociales y Culturales (ProDESC, www.prodesc.org.mx). In diesem Jahr erhielt Ancheita das renommierte Wasserstein-Stipendium der Harvard-Universität.