Bildet Provider-Banden!
Überwachung Eine Netzgenossenschaft hat sich zum Ziel gesetzt, eine autonome Netzinfrastruktur aufzubauen
Interview: Susanne Lang und Ingo Stützle
Der NSA-Skandal machte deutlich, dass die Überwachung auch auf einer unheilvollen Kooperation von Überwachungsbehörden und großen Internetkonzernen basiert. Das Internet und den Netzzugang anders und demokratisch zu organisieren, scheint eine Idee aus Wolkenkuckucksheim. Nicht jedoch für einige NetzaktivistInnen. Mit Stephan Urbach, einem Mitinitiator der Netzgenossenschaft, sprach ak über ihre Initiative, das Internet »selber zu machen«.
Warum wollt ihr eine Netzgenossenschaft gründen und was ist das überhaupt?
Stephan Urbach: Als die Telekom ihre Drosselungspläne ankündigte, gab es eine Welle der Empörung. Ich habe damals einen wütend-scherzhaften Blogpost geschrieben. (1) An dessen Ende stand dann die Genossenschaft »Wir haben die schnellen Katzenvideos e.G.«. Dieses Jahr haben wir uns dann auf der Netzkonferenz re:publica in Berlin einfach mal zusammengesetzt, um Nägel mit Köpfen zu machen. Bis dahin war die Netzgenossenschaft noch nicht mehr als eine Idee von Jens Ohlig, Sebastian Vollnhans und mir. Auf dem Treffen wurde die Idee vorgestellt, und es haben sich Mitstreiter gefunden.
Was ist eure Idee?
Die ist eigentlich sehr einfach: Eine Genossenschaft steigt in das Providergeschäft ein - jedoch nicht mit dem Ziel, Gewinne zu machen, sondern ihre Mitglieder mit Internet zu versorgen. Die Genossenschaft ist eine der demokratischsten Unternehmensformen. Denn es ist egal, wie viel Kapital pro Person eingezahlt wird, das Stimmrecht bleibt immer gleich. Wir wollen zudem Elemente der »flüssigen Demokratie«, also die mit den Piraten bekannt gewordenen »Liquid Democracy«, und Onlinebeteiligungsmöglichkeiten etablieren, sodass nicht nur jährlich auf der Generalversammlung der Genossenschaft Entscheidungen gefällt werden können. Die Menschen, die ihren Netzzugang über die Genossenschaft beziehen, sollen ständig an deren Entwicklung teilhaben können.
Warum muss man alles selber machen - sogar das Internet?
Man muss nicht, aber man kann. Wir halten das Internet für eines der wichtigsten Werkzeuge des 21. Jahrhunderts, und nachdem jeder Mensch daran teilhaben konnte, werden die Zugänge wieder beschnitten. Das halten wir für falsch. Wir wollen einen Dienst, wo Internet »aus der Wand« kommt, ohne Eingriffe seitens eines Providers, der zum Beispiel seine eigene Suchseite aufruft, weil eine URL falsch geschrieben wurde, nur um seine Werbeeinnahmen zu erhöhen.
Der Zugang zum Internet ist in den letzten Jahren wie viele andere Bereiche unseres Lebens verkommerzialisiert worden. Ich persönlich sehe hier einen neuen Kampfraum gegen den Turbokapitalismus. Telekommunikationsanbieter schröpfen und verarschen ihre Kunden jetzt schon zur Genüge - wir wollen zeigen, dass es auch anders geht. Mitglieder der Genossenschaft bekommen die Kontrolle über etwas Grundlegendes zurück, nämlich ihre Kommunikation.
Wie stellt ihr euch eure Internet-Infrastruktur vor?
Wir starten leider bei Null. Wir müssen auch erst die Infrastruktur schaffen. Wie diese aussieht, hat auch damit zu tun, wie viele Genossen wir gewinnen können und wie hoch deren Einlagen sein werden. Prinzipiell ist alles drin und vorstellbar. Vermutlich werden wir anfangs bestehende Leitungen anmieten müssen. Das Ziel ist aber, eine selbst kontrollierte Infrastruktur zu schaffen.
Müsste man nicht so konsequent sein und die Glasfaserinfrastruktur vergesellschaften, also große Konzerne enteignen?
Ja, müsste man. Punkt. Wie jede grundlegende Infrastruktur, zu der jeder und jede in einer Gesellschaft Zugang haben muss und bei der aufgrund der physischen Gegebenheiten ein Wettbewerb nicht möglich bzw. kosteneffektiv ist. Wichtig ist, dass keine staatlichen Stellen die Infrastruktur besitzen sollten. Das Bundespostmonopol auf Telefonleitungen war ja bekanntlich nicht das Gelbe vom Ei.
Was passiert, wenn die NSA euer Netz anzapfen will?
Verhindern kann das niemand - dann müssten wir das Netz abschotten, und die Idee vom Internet wäre dahin. Die Frage ist aber, wo es sich für derartige Dienste lohnt, die Daten abzuzapfen. Beim Provider oder vielleicht eher beim Endkunden? Das Problem der Überwachung ist nicht damit gelöst, dass wir immer mehr Provider bekommen. Er wird nur gelöst, wenn die Überwachung aufhört. So blöd das nun auch klingen mag: Es ist die Aufgabe der Parlamente und der Regierungen, härter mit der US-Regierung ins Gericht zu gehen und unmissverständlich klar zu machen, dass die Überwachung zu unterlassen ist. Natürlich müssen auch die europäischen Länder ihre Überwachungsprogramme einstellen.
Wo liegen die Grenzen des genossenschaftlichen Modells?
Natürlich gibt es auch bei einem genossenschaftlichen Dienst Grenzen. Domainverwaltung, IP-Vergabe und auch Peering, das heißt der Zusammenschluss von Computernetzwerken verschiedener Provider zum kostenneutralen Datenaustausch, sind momentan fest in den Händen anderer Akteure. Je größer die Genossenschaft aber wird, desto mehr Einfluss kann sie auf diese Akteure ausüben.
Wie können Leute bei Euch mitmachen oder die Idee unterstützen?
Unterstützen können uns prinzipiell alle. Wie, das steht auf unserer momentan nicht ganz so schön aussehenden Internetseite netzgenossenschaft.org. Aber zusammenfassend: werdet Genossen! Tragt die Idee weiter. Bildet Providerbanden!
Anmerkung:
1) stephanurbach.de, 26.4.2013.