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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 587 / 15.10.2013

Überwachen und Schlafen

Überwachung Das Museum für Kommunikation thematisiert das Leben in einer kontrollierten Welt

Von Bodo Pallmer und Ursula Schmidt

Wer sich Wissen über die Vorläufertechnologien aktueller geheimdienstlicher Schnüffeleien verschaffen möchte, kann das derzeit im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main tun. Die Ausstellung »Außer Kontrolle? Leben in einer überwachten Welt« zeigt zahlreiche Instrumente und Technologien, mit deren Hilfe Informationen über Menschen gesammelt, ausgewertet und genutzt wurden und werden. Überlegungen zur gesellschaftstheoretischen Einordnung der ausgestellten Exponate müssen die BesucherInnen allerdings selbst anstellen. Die Anordnung der Exponate unter den Schlagwörtern »zwischenmenschliche«, »unternehmerische« und »staatliche« Kontrolle scheint eher assoziativ. So stehen Stasikamera, Spielzeugscanner für Kinder zur Einübung des Kontrollrituals am Flughafen und Suchgeräte für Abhörwanzen nebeneinander. Wenn ein Denunziationsbrief von 1942 mit der Aufforderung zur Deportation einer versteckt lebenden Jüdin neben einem Babyphone zur Überwachung des gesunden Kleinkindschlafs präsentiert wird, kommt das Konzept der Ausstellung an seine Grenzen.

Die Ausstellung zeichnet ein skurriles Sittengemälde. Die kurzen Begleittexte weisen darauf hin, dass neben dem herrschaftlichen Interesse an Kontrolle auch die Überwachten mittels Ortungs- und Navigationsdiensten selbst nach Orientierung und alltagspraktischen Hilfestellungen verlangen, was Überwachung mit sich bringe. Eine Verknüpfung der beiden Aspekte bleibt leider aus. Auf dem Büchertisch im Foyer liegt zwar die Studie »Überwachen und Strafen« von Michel Foucault, was nahelegt, dass bei der Konzeption der Ausstellung auch diskurstheoretische Überlegungen eine Rolle gespielt haben, in der Ausstellung werden diese aber nicht deutlich.

Für alle, die sich damit noch nicht beschäftigt haben, wie Kundenbindung bei Amazon funktioniert, ist die Darstellung in der Ausstellung sehr erhellend. Aber auch darüber hinaus kann, wer Interesse an den vielfältigen Details der Überwachungstechnologien hat und etwas Zeit mitbringt, in der Ausstellung durchaus einiges entdecken. Bleibenden Eindruck bei den BesucherInnen hinterlässt vor allem der Vergleich von Technologien aus verschiedenen Zeiten - vor allem aufgrund der Gegenständlichkeit der Exponate. So wirkt etwa die »Kabelmuffe mit für Abhörzwecke dupliziertem Kabel« der Stasi von Größe und Aussehen, wie ein PKW-Auspuff, während daneben die aktuelle Variante zur Ausleitung von Informationen aus einem Glasfaserkabel fast in eine Zigarettenschachtel passt.

Auch bereitet es Vergnügen, einmal einen »Dampfentwickler« zum Öffnen von Briefen oder eine vom Verfassungsschutz genutzte Schaltzentrale zur Erfassung von Verbindungsdaten in ihrer banalen Materialität sehen zu können. Zumal nebenbei zu erfahren ist, dass der Bundesnachrichtendienst bereits 1963 gerne auf Informationen von Geheimdiensten befreundeter Staaten zurückgriff, um zahlreiche BürgerInnen auszuspionieren.

Auch wird schnell klar, dass früher aufgrund von großem Personalaufwand eine mit heute vergleichbare massenhafte Erfassung gar nicht möglich war: Bis 1997 konnte die Polizei Verbindungsdaten von Telefongesprächen nur ermitteln, wenn TechnikerInnen in der Vermittlungsstelle mittels einer »Fangschaltung« das Verbindungskabel bis zu seinem Ursprung verfolgten.

Sehr anschaulich aufbereitet ist eine Darstellung von Überwachungsdaten, die der grüne Netzpolitiker Malte Spitz 2011 von der Telekom eingeklagt hat. Zeitonline zeigt auf einer Landkarte, wann der Überwachte sich wohin bewegte und mit wem er dabei kommunizierte. (1) Dass die neueren NSA-Enthüllungen auch die Ausstellung überholt haben, wird deutlich, wenn direkt neben dem kleinen Abschnitt über »BND und NSA« unter einer plumpen »Geheimkamera« der Stasi zu lesen ist: »Den Stress, der die ständige Furcht vor Kontrolle erzeugt, können wir heute nur noch erahnen.«

Ein Highlight der Ausstellung ist die Installation »Memopol 2«, die BesucherInnen auf wandgroßen Projektionen vorführt, welche Informationen über sie verfügbar sind. Das Kunstwerk visualisiert »persönliche Daten von beruflichem Erfolg über soziale Bindungen, Intelligenz bis zum voraussichtlichen Todesdatum«. Eine andere künstlerische Strategie wählt der Künstler Raul Gschrey. In einer Videoinstallation dokumentiert er, wie er sich an drei verschiedenen öffentlichen mit einer Überwachungskamera ausgestatteten Plätzen vis à vis mit Absperrband selbst fesselt. Vor dem Frankfurter Polizeipräsidium provoziert er damit eine direkte Reaktion: Der herbeigeeilte Uniformierte gibt zu Protokoll, dass er es ja gut verstehen könne, wenn man sich an der Überwachung in der Innenstadt störe, aber hier, »wo es darum geht, Tausende Polizisten zu schützen«, sei eine solche Aktion völlig unangebracht.

Beim Persönlichkeitstest am Ende der Ausstellung erfahren wir, dass wir eher so »Überwachung? Nein, danke«-Typen sind. Das ist ganz gut zu wissen - besonders, nachdem wir gelernt haben, wie wir uns mit wenigen Klicks mit unseren Handy gegenseitig orten und überwachen können.

Bodo Pallmer organisiert mit der Gruppe nitribitt in Frankfurt Veranstaltungen. Ursula Schmidt arbeitet mit Video und ist Teil der feministischen Gruppe faq.

Anmerkung:

1) Im Netz unter www.zeit.de/datenschutz/malte-spitz-vorratsdaten zu finden.

Außer Kontrolle

Die Ausstellung »Außer Kontrolle? Leben in einer überwachten Welt« läuft im Frankfurter Museum für Kommunikation bis zum 23. Februar 2014. Danach ist die Ausstellung im gleichnamigen Berliner Museum ab dem 28. März zu sehen.