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Gefährdet der Shutdown den Weltmarkt?
Anfang Oktober 2013. Die Freiheitsstatue, Parks und Museen sind geschlossen - die USA pleite? Nur noch elementare staatliche Dienstleistungen werden garantiert. Selbst die Geheimdienste leiden unter dem zugedrehten Geldhahn. Der Finanzsoziologe Rudolf Goldscheid erklärte das Budget als das »aller verbrämenden Ideologie entkleidete Gerippe des Staates«. Die Medien interessierte jedoch weniger das aufklärerische Moment des Shutdown - nämlich dass offensichtlich wurde, was den Staat im Innersten zusammenhält: die organisierte Gewalt -, als vielmehr, ob die Weltwirtschaft am Abgrund stehe.
Dass es zum Shutdown, dem »Herunterfahren« des Staates kommen kann, liegt daran, dass das staatliche Geldausgeben besonderen Regeln unterliegt, weil es auf der Besteuerung beruht. Als Herrschaftsakt, als fortlaufende Enteignung der Bevölkerung, unterliegt die Besteuerung einer besonderen Legitimationsnotwendigkeit. Dazu gehören: Monopolisierung von Abgaben durch den Staat, rationale, d.h. bürokratische Organisation des Steuerwesens, Mitsprache, Mitbestimmungs- und Kontrollrechte, umfassendes Steuer- und Ausgabenbewilligungsrecht in den Parlamenten. Für die Verabschiedung des US-Haushalts bedarf es der Zustimmung beider Kammern (Repräsentantenhaus und Senat) und des Präsidenten. Erst wenn nach einem Beratungsprozess alle dem Bewilligungsgesetz zugestimmt haben, kann es der Präsident unterschreiben. Auch eine gesetzliche Schuldenobergrenze muss im Rahmen des jährlichen Haushaltplans genehmigt werden.
Anfang Oktober weigerten die Republikaner sich, dem Budget zuzustimmen. Dass es schließlich zu einem Shutdown kommt, geht auf den sogenannten Antideficiency Act von 1870 zurück. Ziel des Gesetzes ist es zu verhindern, dass staatliche Institutionen Geld ausgeben, bevor darüber politisch abgestimmt wurde. Eine wichtige Verschärfung wurde 1980 eingeleitet, also bevor Ronald Reagan das neoliberale Ruder in den USA übernahm. Unter demokratischer Präsidentschaft sorgte der Justizminister Benjamin Civiletti für eine Verschärfung, die bis heute gilt: Wenn es keine Rechtsgrundlage für Staatsausgaben gebe, so ließ er in einem Rechtsgutachten feststellen, kein Haushalt verabschiedet wurde, dürfe niemand umsonst oder in der Hoffnung arbeiten, einmal dafür bezahlt zu werden.
Warum aber hat der US-Haushalt einen derartigen Einfluss auf die Weltwirtschaft? Der Grund ist u.a., dass das globale Weltfinanzsystem, die Kreditgeldschöpfung und der Weltmarkt nicht ohne Staatsverschuldung bzw. Staatspapiere funktionieren. Die Steuern ermöglichen als gesetzlich gesicherter, dauerhafter Zugriff auf den Reichtum der Gesellschaft, dass die Verschuldung zu einer normalen Finanzierungsquelle des Staates wird. Als Steuerstaat ist er kreditwürdig, der öffentliche Kredit die Vorwegnahme zukünftiger Steuereinnahmen. Während der Staat mit Steuern der Privatwirtschaft und den BürgerInnen liquide Mittel entzieht, die Nachfrage oder Investitionen bedeuten könnten, bieten die Staatsschulden als Wertpapiere für das Finanzkapital eine sichere Geldanlage.
Die Staatsanleihen können zudem von den Geschäftsbanken bei den Zentralbanken als Sicherheiten gegen frisches Geld hinterlegt werden. Staatsschulden sind derart das elementare Moment der Kreditgeldschöpfung. Aber nicht nur das. Staatsanleihen sind eine tragende Säule der Weltfinanzmärkte. Denn bei all ihrer riskanten Spekulation mit Derivaten, Rohstoffen und Aktien kennen die Finanzanleger einen »sicheren Hafen«: Staatsanleihen, auf deren Wertbeständigkeit sie sich verlassen. Das sind natürlich nicht Staatsanleihen von jedem beliebigen Staat, sondern von einem Staat, der über das Weltgeld verfügt, den US-Dollar. Hinzu kommen deutsche, japanische und britische Anleihen.
»Moderne Finanzsysteme sind auf Staatsanleihen angewiesen.«, so der DIW-Wochenbericht (44/2011). Das zeigt ein Beispiel: Anfang August 2011 stufte die Ratingagentur Standard & Poor's die USA erstmals seit 1941 von der Spitzenbonitätsnote AAA auf AA+ herab. Auch damals wurde über die US-Schuldenobergrenze gestritten. Der Grund für das Downgrade war jedoch nicht, dass die USA nicht mehr kreditwürdig waren, sondern, dass die Anhebung der Schuldengrenze von den RepublikanerInnen politisch verzögert wurde. Die Folge war jedoch keine Flucht aus US-Staatspapieren, sondern ein Run auf die sicheren Wertpapiere, weil Turbulenzen auf den Aktienmärkten erwartet wurden. Derzeit liegt die Schuldenobergrenze bei 16,7 Billionen US-Dollar und wird am 17. Oktober erreicht. 2013 ist es die Ratingagentur Moody's, die vor einer Zahlungsunfähigkeit warnt, und vielleicht ist sie dieses Mal an der Reihe, der mächtigsten Volkswirtschaft der Welt ein Downgrade zu verpassen.
Ingo Stützle