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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 587 / 15.10.2013

Volksentscheid erfolgreich - kein Profit mit Energie

Aktion Hamburg hat es vorgemacht, jetzt muss Berlin es gleichtun

Von Gilbert Siegler

Die HamburgerInnen entschieden am 22. September: »Senat und Bürgerschaft unternehmen unverzüglich alle notwendigen Schritte, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasnetze wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.« Damit wurde sowohl die Rekommunalisierung der Strom- und Gasnetze sowie der kompletten Fernwärmeversorgung (inklusive Heizkraftwerke) beschlossen als auch die Ziele, mit denen die neuen städtischen Unternehmen arbeiten sollen.

Vorausgegangen war eine gewaltige Propagandaschlacht von Vattenfall, SPD-CDU-FDP, Handelskammer, Unternehmerverbänden und Springerpresse gegen den Volksentscheid. Die HamburgerInnen haben sich aber mehrheitlich nicht beirren lassen. Trotz massiver Unterstützung durch die meisten Medien, offener Lügen (»nur Rohre und Kabel«, »2 Mrd. aus dem Haushalt« usw.) der Freunde von Vattenfall und E.on hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Fernwärmeversorgung und die Strom- und Gasnetze in die Hand der Stadt gehören, denn

- sie müssen dem Gemeinwohl dienen und nicht dem Profit der Energiekonzerne

- eine wirkliche Energiewende, weg von Kohle und Atom, hin zu einer sozial gerechten, klimaverträglichen Energieversorgung aus erneuerbaren Energien ist mit Vattenfall, E.on & Co. nicht möglich

- die Stadt muss endlich wieder Einfluss auf die Entwicklung der Energieversorgung Hamburgs bekommen und die beträchtlichen Gewinne aus Fernwärmeversorgung, Strom- und Gasnetzen sollen der Stadt zur Verfügung stehen, statt in die Taschen der Aktionäre zu fliessen.

Neoliberaler Energiepolitik die rote Karte gezeigt

460.000 HamburgerInnen haben gezeigt, dass »die da oben« doch nicht machen können, was sie wollen. Sie haben mit dem erfolgreichen Volksentscheid die Tür aufgestoßen zu einer neuen Energiepolitik Hamburgs, die Klimaschutz ermöglicht und Energiearmut verhindert. Ein wichtiger Schritt neoliberaler Privatisierung wird rückgängig gemacht. Jetzt gilt es, den SPD-Senat, der »in vertrauensvoller Zusammenarbeit« mit dem Atom- und Braunkohlekonzern Vattenfall alles versucht hat, dieses Votum zu verhindern, zur vollständigen Umsetzung zu bewegen. Die Volksinitiative und zahlreiche HamburgerInnen und auch die unterstützenden Parteien (DIE LINKE und Bündnis90/Die Grünen) werden sehr genau darauf achten, ob der Senat und die SPD-Fraktion »unverzüglich alle notwendigen Schritte« unternehmen, um den Volkswillen umzusetzen.

Der Erfolg in Hamburg ist auch eine große Unterstützung für den Volksentscheid in Berlin, bei dem die BürgerInnen am 3.11.2013 über die Re-Kommunalisierung des Stromnetzes abstimmen werden. Die Unterstützung des Berliner Energietischs, des dortigen Bündnisses, reicht weit in die regierende SPD hinein; selbst deren Landesvorstand sprach sich für die 100%ige Rekommunalisierung aus. Ist auch der Volksentscheid in Berlin erfolgreich, dann werden zentrale neoliberale Privatisierungsprojekte im Energiebereich in den beiden größten deutschen Städten rückgängig gemacht. Diese Beispiele werden Menschen in anderen Städten und Gemeinden anregen, gleiches zu versuchen.

Die Volksinitiative Unser Hamburg - unser Netz (UhuN) wurde 2010 von BUND, Verbraucherzentrale, Evangelischer Kirche, Robin Wood, Attac und der örtlichen Bürgerinitiative »Moorburgtrasse stoppen!« ins Leben gerufen. Zum Schluss wurde sie von über 50 Organisationen unterstützt. Parteien konnten nicht Mitglied des Bündnisses sein, aber DIE LINKE und Bündnis90/Die Grünen unterstützten es von Anfang an. Die Volksinitiative ist ein Paradebeispiel für die mögliche Wirksamkeit breiter Bündnisse. Das in der Bevölkerung inzwischen weit verbreitete Unbehagen an der Privatisierung gesellschaftlicher Daseinvorsorge und der außerordentlich schlechte Ruf des Energiekonzerns Vattenfall führten trotz massivem Gegendruck zum Erfolg.

Seit Anfang der 1990er Jahre ist auf Grundlage neoliberaler Vorstellungen in großem Umfang öffentliches Eigentum privatisiert und damit dem Profitstreben großer Konzerne unterworfen worden. Nach dem Motto »schlanker Staat«, »der Markt regelt schon alles«und »Private können es besser und billiger« wurden Wohnungen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Stadtreinigung, Post und Telekommunikation und vieles mehr verkauft.

Hintergrund dieser Privatisierungs- und Deregulierungswelle war und ist die Absicht, lukrative Anlagemöglichkeiten für das große Kapital zu schaffen. Durch die Politik der Lohnsenkung bei immer intensiverer Ausbeutung, der Niedriglöhne in prekären Arbeitsverhältnissen, der Senkung von Renten und Transfereinkommen und der skrupellosen Ausbeutung der Naturreichtümer insbesondere der armen Länder des Südens entstanden Hunderte von Milliarden zusätzlicher Profite. Deren Anlage war in den bestehenden Produktions- und Dienstleistungsbereichen kaum mehr möglich. Diese Profite sollten gleichwohl mit hoher Rendite investiert werden. Die (Teil-)Privatisierung von Renten und Gesundheitsversorgung und anderer Bereiche gesellschaftlicher Daseinvorsorge wie der oben genannten gehörten und gehören dazu. Dieser Prozess wurde erheblich beschleunigt durch die Politik der Steuersenkungen für große Unternehmen und Vermögen durch die Schröder-Fischer-Regierung. Damit einher ging die finanzielle Austrocknung der meisten Kommunen, die nicht selten der Meinung waren, sie könnten sich mit den Verkauf Öffentlichen Eigentums sanieren.

Die Erfahrungen mit den Privatisierungen sind überall denkbar schlecht. Steigende Preise und sinkende Qualität waren die Folgen, viele tausend Arbeitsplätze wurden vernichtet, ökologische und soziale Gesichtspunkte wurden und werden nicht berücksichtigt. Im Mittelpunkt steht die höchstmögliche Rendite, der maximale Profit.

In den letzten Jahren sind in nahezu 200 Kommunen Stromverteilnetze und andere Teile der Energieversorgung rekommunalisiert worden. Der erfolgreiche Volksentscheid in Hamburg und ein möglicher Erfolg in Berlin markieren zumindest in der Energiewirtschaft einen Wendepunkt.

Gilbert Siegler ist langjähriges Mitglied im BUND und bei Attac und energie- und umweltpolitischer Sprecher von DIE LINKE Hamburg.

Alles wird gut - am 3. November auch in Berlin?

In Berlin ist der Volksentscheid über die Re-Kommunalisierung des Stromnetzes auf den 3. November 2013 terminiert. An diesem Tag können die BerlinerInnen darüber entscheiden, ob sie den Energiekonzern Vattenfall enteignen und die Stromversorgung demokratisieren und sozial und ökologisch neu gestalten wollen. Das Datum könnte trotz des großen Rückhalts, den die Re-Kommunalisierung laut Umfragen in der Berliner Bevölkerung hat, zum Problem für die Initiative werden. Denn der Berliner Senat hat dafür gesorgt, dass die Abstimmung nicht zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfindet. So hoffen die GegnerInnen eines Rückkaufs zu verhindern, dass sich ausreichend BerlinerInnen beteiligen. Für einen Erfolg der Initiative zum Rückkauf der Stromnetze und zum Aufbau eines berlineigenen Stadtwerks müssen mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten sich am 3. November dafür aussprechen, es sind also mindestens 620.000 Ja-Stimmen nötig. Anderenfalls sieht es schlecht für die Re-Kommunalisierung aus: Die Verträge mit Vattenfall laufen jetzt oder erst wieder in 20 Jahren aus.

-> Informationen zur Abstimmung: berliner-energietisch.net