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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 587 / 15.10.2013

Aufgeblättert

Austeritätspolitik

Steffen Vogel nimmt Angela Merkels Forderung einer »marktkonformen Demokratie«, die sie 2011 auf einer Pressekonferenz formulierte, als Ausgangspunkt, die letzten Jahre Austeriätpolitik Revue passieren zu lassen. In fünf Kapiteln zeichnet Vogel die Krise nach, die spezifischen Bedingungen in Spanien und Griechenland, wie die Troika in der Eurozone agierte und schließlich Deutschland die EU nach seinem Sparbilde formte: Schuldenbremse für alle. Vogel schließt mit einer solidarischen Referenz auf die Proteste der letzten Jahre: »Die Zukunft Europas wird heute in Sitzungssälen geschrieben. Ab morgen sollte sie auf den Straßen und Plätzen geschrieben werden.« Das Buch ist mit heißer Nadel gestrickt, will es doch am Puls der Zeit linken AktivistInnen und kritischen Köpfen eine Handreichung zur Eurokrise geben. Wer Details und wichtige Weichenstellungen der letzten Jahre Zeitungslektüre vergessen hat, wird für das Buch dankbar sein. Leider fehlt etwas analytischer Tiefgang. Nicht diskutiert wird, was ein Staat und was die EU als politisches Gebilde ist und wie sich Privatinteressen gesellschaftlich verallgemeinern. Für Vogel wird eine falsche Politik verfolgt bzw. eine, die bestimmten Interessen nützt. Wichtig für linke Gegenmacht ist jedoch zu verstehen, wie sich deutsche Interessen und die spezifischen Kapitalfraktionen als Allgemeininteressen europäisch verallgemeinern konnten und welche Rolle europäische Staatlichkeit dabei spielte.

Ingo Stützle

Steffen Vogel: Europas Revolution von oben. Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise. Laika Verlag, Hamburg. 165 Seiten, 19,80 EUR.

NS-Polizei

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat in ihrer Reihe »Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland« einen weiteren wichtigen Sammelband veröffentlicht. Thema ist die Polizei, ein integraler Bestandteil des Terrorsystems. Sie setzte nicht nur 1933 bruchlos ihre traditionelle Arbeit fort, sondern funktionierte auch im Interesse der NS-Diktatur und ihres Führers, dessen mutmaßlicher »Wille« oberstes Gesetz war. Die Zusammenarbeit mit der SS war geprägt durch »gutes Einvernehmen«, wie Stefan Hördler zeigt. Christian Kretschmer schildert, mit welchem Einsatz die Polizei bei der Fahndung nach geflohenen Kriegsgefangenen zu Werke ging. Bedrückend ist auch Herbert Diercks' Beitrag über den Einsatz von V-Leuten im »Sachgebiet Kommunismus« der Hamburger Gestapo 1943 bis 1945. Fielen der Gestapo AntifaschistInnen in die Hände, dann waren ihr buchstäblich alle Mittel recht, um Denunziationen zu erreichen. Ein tragischer Fall ist der des Hamburger Kommunisten Alfons Pannek, der nach schweren Misshandlungen durch die Gestapo »umgedreht« wurde. Sein Verrat trug zur Verhaftung vieler AntifaschistInnen bei. 1949 wurde Pannek wegen »Verbrechens gegen die Menschlichkeit« zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, zwei Jahre später stellte das Landgericht Hamburg das Verfahren gegen ihn ein, weil er nur »strafbare Handlungen zur Anzeige gebracht« und bei der »Wiederergreifung entflohener Häftlinge« mitgewirkt habe.

Jens Renner

KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 15. Polizei, Verfolgung und Gesellschaft im Nationalsozialismus. Edition Temmen, Bremen 2013. 251 Seiten, 14,90 EUR.

Christian Geissler

Vor fünf Jahren, am 26. August 2008, starb der Kommunist und Schriftsteller Christian Geissler im Alter von 79 Jahren. (Nachruf in ak 531) Sein Kollege Jürgen Lodemann nannte ihn »einen der meist unterschätzten« unter den deutschsprachigen Schriftstellern. Die im vergangenen Jahr gegründete Christian-Geissler-Gesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, seine überwiegend nicht mehr lieferbaren Romane und Gedichtbände für die literarische und die politische Debatte wieder zugänglich zu machen. Mit Erfolg: Seit Juni gibt es eine neue Ausgabe seines Romans »Wird Zeit, dass wir leben« aus dem Jahr 1976. Über die auf realen Ereignissen beruhende Handlung schrieb Geissler: »Die Geschichte geht aus von einem Hamburger Polizisten, der 1933/34 eine bewaffnete Gruppe gebildet hat, um politische Gefangene zu befreien. Mitten aus der Geschichte einer Straße, einer Stadt, eines Landes, aus der Wirklichkeit von Arbeitsplätzen und Arbeitslosigkeit, Mietskasernen und Kasernen, revolutionären und reaktionären Organisationen entwickelt sich die Geschichte eines jungen Mädchens und zweier junger Männer. Es ist die abenteuerliche Geschichte von Erfahrungen unter einer Herrschaft, die aus der Niederhaltung und Zerstörung des Menschen ihre Kraft holt. Es ist die leidenschaftliche Geschichte vom Entstehen einer Entscheidung zum organisierten Handeln gegen diese Herrschaft.« Kurzum: die spannend erzählte »Geschichte einer exemplarischen Aktion«.

Daniel Ernst

Christian Geissler: Wird Zeit, dass wir leben. Roman. Verbrecher-Verlag, Berlin 2013. 358 Seiten, 22 EUR.

Marx' Philosophie

Rund 20 Jahre nach der französischen Erstveröffentlichung hat Frieder Otto Wolf erstmals Étienne Balibars kleine Schrift Marx' Philosophie dem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Das Hauptanliegen Balibars ist es, »Marx' Aktualität für die Gegenwart des 21. Jahrhunderts zu zeigen«. In Abgrenzung zu der Konstruktion des historisch-dialektischen Materialismus geht er in seinen Überlegungen davon aus, dass es »keine marxistische Philosophie« gibt. Damit seien wir befreit von »Illusionen und Hochstapelei« und gleichermaßen befähigt, »ein ganzes Universum der Theorie« zu gewinnen. Balibar wird seinem eingangs selbstgestellten Ziel gerecht, den LeserInnen »Mittel dafür an die Hand zu geben, sich selbst in den Schriften von Marx zurechtzufinden«. Er macht auf Brüche im Marxschen Werk aufmerksam, zeichnet »Verlagerungen und Verschiebungen« sowie »Weggabelungen« nach und charakterisiert Marx überzeugend als einen »Nicht-« bzw. »Antiphilosophen«. Dem Haupttext folgt ein aktuelles Nachwort des Autors. Frieder Otto Wolf hat nicht nur eine sprachlich gelungene Übersetzung vorgelegt, er rundet den Band auch ab mit einer Vielzahl erläuternder Kommentierungen sowie einer überaus nützlichen bibliographischen Einführung zu Marx' Leben, Werk und Denken. Hierbei geht er nicht nur ausführlich auf internationale Beiträge ein, sondern macht auch auf verschiedene Debatten, etwa zur Neuen Marx Lektüre, aufmerksam.

Sebastian Klauke

Étienne Balibar: Marx' Philosophie. Mit einem Nachwort des Autors zur deutschsprachigen Ausgabe. Eingeführt und übersetzt von Frieder Otto Wolf. b_books Verlag, Berlin 2013. 240 Seiten, 14,80 EUR.