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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 587 / 15.10.2013

Linke Literatur mit politischem Rahmenprogramm

Kultur Der Verleger Jörg Sundermeier über den Büchermarkt, künstlerische Avantgarde und E-Books

Jedes Jahr im Oktober findet in Frankfurt die Buchmesse statt. Der Büchermarkt ist in einem Umbruch begriffen - nicht nur, weil sich mit Internet und E-Books das Leseverhalten verändert hat. Auch weil es Zentralisierungsprozesse gibt, was kleineren Verlagen mehr Spielraum gibt und sie zugleich unter Druck setzt. Über den Büchermarkt, kritisches Potenzial von Literatur und dicke Bücher sprach ak mit Jörg Sundermeier vom Berliner Verbrecher Verlag.

Interview: Ingo Stützle

Wenige Wochen vor der Buchmesse in Frankfurt am Main, im Biergarten des Clash im Berliner Mehringhof, ergab sich bei ein paar Bieren folgendes Gespräch.

Friedrich Engels meinte 1877 über die Leipziger Buchmesse, zu seiner Zeit die größte Buchmesse Europas: »Man streitet nicht mit Leuten, die in der Ökonomie unwissend genug sind, den Leipziger Büchermarkt überhaupt für einen Markt im Sinne der modernen Industrie anzusehn.« Stimmt der Satz noch?

Jörg Sundermeier: Ende der 1990er, als ich langsam begriff, wie der Buchmarkt funktioniert, wurde bereits diskutiert, warum Hugendubel, Thalia und Weltbild einen aggressiven Verdrängungswettbewerb fahren. Aus Spaß habe ich damals zu einem Verlegerkollegen gesagt: Den Börsenverein des deutschen Buchhandels gibt es seit über 150 Jahren, und jetzt merken sie, dass Kapitalismus ist.

Von Konrad Adenauer ist der Satz überliefert, dass bei Tarifverhandlungen immer drei Partner am Tisch sitzen: die Gewerkschaften, die Unternehmervertreter und: die DDR. Bis zu einem gewissen Grad galt das auch für den Buchmarkt. Es wurden lange bestimmte ökonomische Gegebenheiten geleugnet bzw. ignoriert, Zwänge, die allerdings in den Vertriebsabteilungen und in der kaufmännischen Geschäftsführung durchaus gesehen wurden. Aber eben nie so, dass auf einen aggressiven Verdrängungswettbewerb gesetzt wurde. Es gab innerhalb der Branche einen Common Sense des gegenseitigen Ausgleichens. Auch wurden Autoren nicht derart aktiv von anderen Verlagen umworben. Mit dem Fall der Mauer gingen dann viele Verschiebungen einher. Auch die Erosion eines sehr patriarchalen Stil der Unternehmensführung wie bei Suhrkamp oder Hanser.

Spielt hierbei die Buchpreisbindung eine Rolle?

Sie hat den Büchermarkt sicherlich zu einem geschützten Markt gemacht, wovon etwa kleinere Buchläden profitierten. Allerdings surft auch Amazon auf der Buchpreisbindung. Sie bekommen ja intern viel höhere Rabattierung als kleine Buchläden und profitieren deshalb von der Buchpreisbindung in besonderem Maße. Gleichzeitig gehen sie auf Konfrontationskurs. Mir ist nicht ganz klar, warum sie sich selbst auf den Teller spucken. Was auch immer da die Idee ist: Amazon will das Ende der Buchpreisbindung herbeiführen, um damit endgültig eine marktbeherrschende Stellung zu erlangen. Jetzt sind sie schon der größte Buchhändler im deutschen Sprachraum, aber sie wollen mehr. Sie wollen mehr als 50 Prozent, und das haben sie noch lange nicht. Engels' Aussage gilt also etwa bis in die 1970er Jahre, gegenwärtig aber nicht mehr.

Du schreibst viel zum Buchmarkt und beschäftigst dich fast wissenschaftlich damit. Warum?

Wenn ich den Büchermarkt besser verstehe, verstehe ich eher, was ich als Verleger mache. Zweitens hat mich immer schon geärgert, dass ökonomische Zusammenhänge im Feuilleton meist ignoriert werden. Drittens brauche ich ein Thema, mit dem ich mich gut auskenne und über das ich schreiben kann, denn ich kann vom Verlag nicht alleine leben.

Liest du E-Books?

Ich besitze keinen E-Book-Reader, habe aber natürlich schon mit einem gelesen. Wir experimentieren auch damit, aber bisher wird nur das gedruckte Buch umgesetzt. Wir bearbeiten die E-Books durchaus noch, um die zwei gängigen Formate, ebub und mobi, zur Verfügung zu stellen, und natürlich bemühen wir uns, dass die Bücher im Satzbild gut aussehen. Aber auf diesem Feld steht uns noch einiges bevor.

Stimmt der Eindruck, dass linke Verlage mit E-Books noch ziemliche Schwierigkeiten haben?

Ich glaube, alle Verlage haben zunächst abgewartet. Das gängige epub-Format ist eben noch lange nicht der Weisheit letzter Schluss. Derzeit wird die Version Epub 2 verwendet, und entwickelt wird gerade Epub 4, das ganz anders laufen soll.

Ist die Frage nach komfortablen Bezahlmöglichkeiten, nach Micropay der springende Punkt, warum sich das alles noch nicht etabliert hat?

Nein, ich glaube nicht, dass das das größte Manko ist. Die Leute sind immer noch bereit, für ein gut gemachtes Buch oder E-Book zu bezahlen. Die Aura eines gedruckten Buches ist eben unschlagbar - das ist ähnlich wie die Vinylplatte. Aber: Auch das Vinyl rettet die Musikindustrie nicht. Der Marktanteil des Vinyls steigt in letzter Zeit in den USA und auch Deutschland kontinuierlich. Alle loben das immer und behaupten, das Vinyl sei zurück. In Deutschland macht es aber im Musikbetrieb nur einen Umsatz von drei Prozent aus. Da wird man dann ganz schnell wieder realistisch.

Beim E-Book ist es etwas schwieriger. Man erwirbt mit viel Geld bei einigen Anbietern E-Books und ist dann an sie gebunden, denn: Wenn man sein Konto bei einem Anbieter löscht, sind alle deine E-Books weg. Viele wissen nicht, dass sie die Bücher nur pachten. Das ist ein fieses geschlossenes System. Davon sind sicher viele irritiert.

Mit den Tagebüchern von Erich Mühsam fahrt ihr jetzt zweigleisig. Ihr verlegt sie mit Lesebändchen und stellt sie ins Netz. Das wundert mich. 2007 hast du mal hinsichtlich des fortschrittlichen Charakters des Internets gesagt, dass man etwa die von Karl Kraus ab 1899 herausgegebene Zeitschrift Die Fackel nicht auf Papier nachdrucken müsse - warum jetzt trotzdem Mühsam?

Die Mühsam-Tagebücher sind ein Liebhaberprojekt, es lohnt sich aber auch für den Verlag. Mühsam hat viele ältere Fans, die nicht unbedingt im Netz lesen wollen, wenn sie überhaupt Internet haben. Es gibt sogar Leute, die uns 70 Euro anbieten, wenn wir ihnen das Register, das nur im Netz steht, ausdrucken und schicken. Was wir nicht machen, weil ich das verrückt finde. Wir schreiben dann, dass sie sicher jemanden kennen, der ihnen das ausdruckt.

Die vollständige Mühsam-Ausgabe steht im Netz - und umsonst. Im Verbrecherverlag bekommst du das Lesebuch. Es ist beim Lesen eben nicht nötig, genau zu wissen, um welche Fritzi oder welchen Hubert es sich gerade handelt. Das Besondere bei Mühsam ist, dass er flüssig, süffig und durchgeschrieben hat. Deshalb sind sie auch sehr gut auf Papier lesbar - wie ein Roman. Das geht mit vielen anderen Tagebüchern nicht.

Bereits 1994 erschien bei dtv eine Ausgabe der Tagebücher, da fehlen jedoch viele Passagen, und es ist nicht runterzulesen...

Genau. Es sind auch nur fünf Prozent von dem, was wir uns jetzt vorgenommen haben. Viele Hefte sind verschollen. Zenzl Mühsam hatte sie im Exil dem Gorki-Archiv übergeben. Dort wurden sie durchnummeriert und archiviert. Das ist, was wir wissen. Aus Auszügen der 1919-Hefte, in denen er über die Münchner Räterepublik schreibt, wurde bei den Moskauer Schauprozessen zitiert. In der Zeit muss er unglaublich viel geschrieben haben. Es sind über vier Hefte. Alle fehlen.

Ihr bemüht euch um linke Literatur, ihr seid ein politischer Verlag. Das Verhältnis von Kultur und Politik ist ein widersprüchliches. Was sagt es über eine Linke aus, die bei Veranstaltungen immer zwischen einem inhaltlichen Teil und einem kulturellen Rahmenprogramm unterscheidet?

In einem schönen Text bringt der Schriftsteller Ronald M. Schernikau seine Fassungslosigkeit darüber zum Ausdruck, dass ihn die Volksstimme aus der DDR um ein Gedicht zu Mietkämpfen bittet. Anhand einer Reihe von Gedichten, die er interpretiert, versucht er zu erklären, wie Gedichte funktionieren, etwas, was der Redaktion wohl nicht bekannt war. Teilweise sind sie auch in der Volksstimme erschienen, auch wenn die wohl davon ausging, man könne politische Auftragslyrik herstellen - zum Beispiel zum Thema Mietkämpfe.

Kunst ist für Linke eben oft entweder nur Instrument, Mittel zum Zweck oder Unterhaltung, wie das kulturelle Rahmenprogramm bei politischen Konferenzen oder Veranstaltungen. Die Leute müssen etwas erleben, während sie ihre Würstchen essen und ihre Biere trinken. Die sind ja oft sogar der eigentliche Grund, warum sie kommen. Sie können danach sagen: Geil, ich war auf einer linken Veranstaltung.

Es findet keine fächerübergreifende Diskussion über das kritische Potenzial des Schönen statt. Warum?

Ich kann sie selbst auch kaum mehr führen. Wenn du heute im bürgerlichen Feuilleton oder auch im linken Kulturteil mal eine Avantgardedebatte einforderst, dann fallen alle tot um und haben Angst. Dabei lohnt sich die Diskussion - auch wenn ich nicht weiß, was dabei herauskommt. Genau deshalb würde ich sie gerne mal führen. Dann könnte ich auch eine eigene Position dazu formulieren.

Ziemlich viele Leute, die mal bereit waren, über linke Ästhetik und Literatur zu diskutieren, sind aufgrund der ökonomischen Zuspitzung in den 1980er Jahren und mit der von Helmut Kohl beschworenen »geistig-moralischen Wende« - von Heiner Geißler, der heute attac-Mitglied ist, vorangetrieben - ins Hintertreffen geraten. Es wurden viele diskreditiert, die sich öffentlich geäußert haben, Leute wie Peter O. Chotjewitz, Erasmus Schöfer, Ingrid Bachér. Oder Elfriede Jelinek, die, als sie den Nobelpreis bekam, auch über jeden klassisch-bürgerlichen Common Sense hinausgehende persönliche Beschimpfungen abbekam, die jenseits auch nur jeder ästhetischen Debatte waren. Angesichts derartiger Zustände will und kann niemand mehr derartige Debatten führen.

Es gibt also auch keine linken Schriftsteller mehr?

Christian Hippe und Ulla Vogel vom Literaturforum Brecht in Berlin hatten für das linke Literaturforum Writing [Left] Tage letztes Jahr wirklich Probleme, Schriftsteller zu bekommen. Es gibt zwar durchaus Leute, wie etwa die hervorragende Kathrin Röggla, die sich klar als linke Autorin positioniert. Aber interessant war, dass sich etwa Raul Zelik auf dem Forum einerseits dafür verteidigte, dass er jetzt in der Linkspartei ist, sich aber andererseits nicht als linker Autor versteht.

Das ist ja wohl ein Reflex darauf, dass Linke selbst auch ein sehr instrumentelles Kunstverständnis haben.

Ja, das glaube ich auch. Trotzdem war es in diesem Setting eine verwunderliche Aussage.

Du würdest aber doch auch sagen, dass der sehr instrumentalistische Zugang der Linken auch dazu beigetragen hat, dass sich zunehmende Sprachlosigkeit zwischen der Linken und Kulturschaffenden breitgemacht hat, oder?

Natürlich!

Wie geht ihr intern mit der Frage um?

Wir sitzen im Verlag immer zusammen und reden, was wir machen. Wir haben eine gewisse Autorentreue und unsere internen Kriterien, was gute Belletristik angeht, natürlich nicht ausschließlich politische. Wir haben mit Chaim Noll oder Giwi Margwelaschwili, die ich beide sehr liebe, zwei Autoren im Programm, die den sozialistischen Ideen nicht zugeneigt sind. Sie sind nicht die größten Kommunistenfresser, und auch angesichts ihrer jeweiligen persönlichen Erfahrungen kann ich verstehen, dass da ein wenig Abneigung herrscht. Aber das, was sie literarisch machen und wie sie die Möglichkeiten von Literatur begreifen, auch im Sinne einer Wirkung auf ihre Leserinnen und Leser, ist toll. Deshalb gehören sie zu uns. Wir verlangen keinen Parteiausweis an der Verlagstür.

Würdest du der These zustimmen, dass die abflauende Diskussion über das kritische Potenzial auch mit dem Ende von experimenteller Literatur einherging? Experimentell war in letzter Zeit vielleicht noch Jan Brandts »Gegen die Welt« und Wolf Haas mit seiner »Verteidigung der Missionarsstellung«, aber beides sind Bücher, wo das Experimentelle eher etwas Spielerisches hat.

Ja, eben, das Experiment, was sie da machen, kenne ich aus den 1920ern. Andererseits leben wir auch in Zeiten, in denen das Magazin Der Spiegel Daniel Kehlmann vorwirft, dass es in dem sonst hervorragenden Buch »Ruhm« eine Geschichte gebe, in der sich eine Figur völlig unrealistisch mit dem Autor unterhält. Also Entschuldigung, das sind ja wohl recht einfache Formen von fiktionaler Literatur, die bereits Paul Scheerbart um etwa 1900 ausprobiert hat.

Haas und Brandt sind also für das Feuilleton schon zu viel des Guten?

Nun ja, man muss sich ja aber auch fragen, was experimentelle Literatur ist. Chotjewitz hat sich davon abgewandt und ist ja auch zu realistischen Formen übergegangen. Auch um der Wiener Gruppe, der er sehr zugetan war, vorzuwerfen, dass am Ende ihr Experiment nur noch ein Zeichensystem ist, das auf nichts mehr verpflichtet, sondern nur noch sich selbst genügt - l'art pour l'art.

Wenn Autoren auf linken Lesebühnen neodadaistische Sachen präsentieren, ist das auch nur selten progressiv. Die Formenattacke bei Dada konnte ja nur deshalb wirken, weil es noch Formen gab. Da sich die Formen aber aufgelöst haben, ist die Revolte gegen die Formen nicht nur billig zu haben, sondern auch lächerlich.

Man muss sich dann umgekehrt aber auch fragen, ob die Verpflichtung auf eine inhaltliche Beschreibung von gesellschaftlichen und ökonomischen Zusammenhängen genug sein kann. Ist es das, was ein Buch politisch oder links macht? Oder gibt es nicht vielmehr auch eine ästhetische Dimension dieser Frage? Andererseits, und das sage ich ohne Frust: Wer lässt sich noch durch Experimente und Formenattacken infrage stellen, irritieren oder aufwühlen? Selbst Linke vermissen die Avantgarde nicht. Vielleicht war sie auch nicht die Lösung. Auch das ist eine Frage, die ich mit mir herumtrage und die ich gerne mal diskutieren würde.

Vielleicht ist die Idee einer Avantgarde in der Kultur auch selbst nicht progressiv. Man darf ja nicht vergessen, dass die von sehr vielen Reaktionären getragen worden ist - der Futurismus, das waren Halbfaschisten. Gleichzeitig war aber auch der Kommunist und Dichter Wladimir Majakowski Futurist. Aber mit seiner doch manchmal all zu großen Parteientreue ja doch auch wieder etwas daneben. Ich finde, die Diskussion muss geführt werden. Es gibt viele offene Fragen, die ungelöst im Raum stehen.

Wir versuchen mit »Diskurspogo« von Enno Stahl nochmals einen Aufschlag. Stahl schwingt ordentlich den Holzhammer und will realistische Literatur dazu zwingen, wieder die Ökonomie bei der Zeichnung der Figuren zu beachten.

Die Krise wäre doch ein guter Anlass, die Frage aufs Tapet zu bringen. Allein der Vergleich von Enno Stahls »Winkler, Werber«, Rainald Götz' »Johann Holtrop«, John Lancasters »Das Kapital« oder Elfriede Jelineks Stück »Die Kontrakte des Kaufmanns« zeigt doch, was machbar ist und was nicht.

Ja, und alle sind ja durchaus mit der Postmoderne gewaschen und lassen das in ihre Texte einfließen. Vielleicht beklagen wir derzeit das Fehlen von Texten, die bereits im Entstehen oder schon erschienen sind.

Einem linken Feuilleton werden Experimente schnell zu komplex. Das ist ein Problem. So hat es die wunderbare Elfriede Czurda ganz schwer. Sie hat eine sehr klar feministische Position, schreibt sehr viel über die Rolle der Frau in der Dichtkunst, beim Dichten und reflektiert ständig ihre eigene Rolle. Sie wird kaum wahrgenommen. Und das, obwohl sie durchaus anerkannt ist und Preise bekam. Das Gleiche gilt für viele andere Autoren.

Es finden kaum Auseinandersetzungen statt, weil niemand die Zeit hat - innerhalb und außerhalb der Kulturredaktionen. Will man sich mit komplex arrangierten Büchern auseinandersetzen, braucht man einfach Wochen, und in der Zeit kann man nichts anderes schreiben und lesen. Und am Ende springen ein paar Cent Zeilengeld heraus. Das kann sich eben niemand mehr leisten, und das ist auch ein Grund, warum in den Kulturteilen der Vorwurf, dass etwas zu komplex ist, recht schnell und gerne formuliert wird. Das ist ein großes Problem, wird aber nicht als das diskutiert, was es eben auch ist: eine ökonomische Frage.

Ist das den Schriftstellern selbst bewusst?

Es gab mal eine sehr schöne Antwort von Dietmar Dath auf die Frage, warum in seinen Büchern immer so viele Menschen zwischen 15 und 25 vorkommen. Ob das eine rückwärtsgewandte Jugendsehnsucht sei. Nein, so Dath, in dem Alter sei man eben noch in der Lage, die Brotarbeit zu machen, raven zu gehen, das Sexualleben zu sortieren und 100 Seiten am Tag zu lesen. Das schaffe man alles und sei noch nicht doof gemacht. Und mit Mitte, Ende 20 wird man durch Arbeit und Unibetrieb so zugerichtet, dass man nicht mehr in der Lage ist, das aufzunehmen - zumindest nicht in den Mengen. Deshalb denke ich mir oft: Geil, bald kommt die Rente, dann kann ich den ganzen heißen Scheiß lesen.

Jörg Sundermeier

1970 in Gütersloh geboren, gründete 1995 gemeinsam mit Werner Labisch den Verbrecher Verlag, den er seit 2011 allein führt. Heute publiziert er unter anderem in der taz, der Berliner Zeitung und der Jungle World, wo seine Glossen »Der letzte linke Student« erschienen.