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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 588 / 19.11.2013

Weg zu den Sternen

International Nicaraguas Feministinnen erkämpfen Erfolge

Von Evelyn Linde

»Wir haben zwei große Monster in Nicaragua, die uns festhalten - das Patriarchat und die Religion.« Im neu errichteten Seminarraum der Vereinigung für integrale kommunale Entwicklung ADIC spricht Maria Teresa Castilblanco gegen den Lärm der Bauarbeiten im Innenhof an. Maria sieht in diesen »Monstern« die Hauptfeinde ihrer jahrelangen Arbeit für die Rechte und die Gleichberechtigung der Frauen. Bei der Stadtteilarbeit von ADIC liegt der Fokus auf der Gleichstellung und dem Empowerment von Frauen.

Das größte Problem der Frauen in Nicaragua sei die Gewalt, meint Blanca A. Herrera González, die Koordinatorin von ADIC. Dieste sei das Produkt des vorherrschenden Patriarchats und des Machismo. Die Täter bleiben meist ungestraft. Das Frauenkollektiv Matagalpa CMM will das ändern. In großen Lettern prangen Männernamen an der Wand des Zentrums, das das Frauenkollektiv im Stadtzentrum Matagalpas im Nord-Westen Nicaraguas eingerichtet hat. Neben den Namen der Männer steht »Vergewaltiger«, »unverantwortlicher Vater« oder »freigesprochener Femizid«. Verbrechen, für die die Täter nicht bestraft wurden. Mit dieser »Mauer der Anklage« will das Kollektiv auf das Ausmaß ungestrafter Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen. In der Frauenbewegung wird immer wieder auf die Vergangenheit des Präsidenten Daniel Ortega hingewiesen: Seine Stieftochter Zoila América Narváez Murillo klagte ihn 1998 wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs an. Politische Immunität und Verjährung führten dazu, dass Ortega nicht verurteilt wurde.

Als großen Schritt vorwärts sieht ein Großteil der Frauenbewegung das im Januar 2012 verabschiedete Gesetz 779 zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Langjährige Forderungen wurden darin endlich festgeschrieben. »Das Gesetz 779 ist mit Abstand das beste Gesetz in Zentralamerika«, urteilt Luz Marina Tórrez Velasquez, die Koordinatorin vom Frauenkollektiv 8. März in der Hauptstadt Managua. Das nach dem Internationalen Frauenkampftag benannte Kollektiv bemängelt aber zugleich, dass zur Umsetzung des Gesetzes kein ausreichender Etat eingerichtet wurde: »Sie geben uns das Gesetz, aber es taugt nichts«. Zudem fürchtet Luz Marina, dass auf Druck konservativer Männer wichtige Teile des Gesetzes wieder gestrichen werden und die Mediation als Schlichtungsmöglichkeit wieder eingeführt wird.

Das neue Familiengesetz: ein Rückschritt

Zwei Monate nach dem Gesetz 779 wurde das neue Familiengesetz verabschiedet, das die eigentliche Geschlechter- und Familienpolitik des Präsidenten Daniel Ortega von der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront FSLN widerspiegele, so Luz Marina. Das Gesetz stelle unter anderem die zahlreichen alleinerziehenden Mütter schlechter und werde den diversen Familienverhältnissen im Land nicht gerecht. Vielmehr propagiere es ein klassisches Familienbild und stelle einen deutlichen Rückschritt in Bezug auf die Anerkennung sexueller Diversität dar. Dies trifft bei den Frauenkollektiven auf wenig Verwunderung. Denn bereits 2006 sicherte sich die FSLN durch einen Pakt mit der Katholischen Kirche die Wiederwahl nach 16 Jahren neoliberaler Regierung. Der Pakt stellte den bis dahin legalen Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation unter Strafe. Viele in der Frauenbewegung kämpfen seitdem gegen das rigide Verbot. »Wir sind für das Recht auf Abtreibung aus medizinischer Indikation«, erklärt Irma Ortega Sequeira, die Präsidentin von CIPRES, dem Zentrum für die Erforschung und soziale Entwicklung der ländlichen Regionen.

CIPRES ist eine wichtige Institution für viele Kooperativen im Land, da sie diese bei ihrer Gründung und Arbeit unterstützt. Teile der Regierungsprogramme zur ländlichen Entwicklung, wie das Null-Hunger-Programm, wurden von CIPRES entwickelt. Die Organisation verbindet in ihren Projekten materielle Ausstattung mit fachlichen wie ideellen Fortbildungen. Dabei geben sie Frauen in ihren Programmen die Priorität, arbeiten jedoch gleichzeitig mit Männern. »Die Leute sagen: Gebt den Frauen Hühner, aber die Kuh? Das ist doch Angelegenheit der Männer«, erzählt Irma. »Wir befähigen Frauen dazu, die Kühe zu impfen, und lehren Männer, Hühner zu halten.« In ihren Fortbildungen und durch die ökonomische Absicherung im Rahmen der Kooperativen fördert CIPRES das Selbstwertgefühl von Frauen und Männern: »Ein Mann mit hohem Selbstwertgefühl kauft seiner Frau Schminke, statt ihr die Augen mit der Faust zu färben«. CIPRES will erreichen, dass Männer die Erziehungs- und Hausarbeit als gemeinsame Verantwortung begreifen. Die Gleichstellung der Geschlechter soll sich nicht auf die Kooperativen beschränken, sondern auch im privaten Rahmen fortgesetzt werden.

Die Frauen von Komitee der Landfrauen CMR in León sehen ebenfalls die Notwendigkeit, das Thema der Reproduktionsarbeit zu bearbeiten. »Oft hören wir die Frauen sagen: Früher bin ich um drei Uhr in der Frühe aufgestanden, um zu euren Workshops gehen zu können«, berichtet Paty Siles, die seit 14 Jahren beim CMR arbeitet. Heute würden die Männer den Frauen vermehrt im Haushalt helfen, meint Olga Maria Espinoza, die das CMR vor 20 Jahren gegründet hat. Aber zu oft werde das von den Männern immer noch nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als ein Gefallen angesehen. »Es ist gar nicht einfach, die Geschlechterverhältnisse zu verändern, aber es ist jeden Tag ein Tropfen Wasser, der den Stein höhlt«, sagt Olga.

Fortschritte vor allem im öffentlichen Raum

Schwieriger ist es, einen Wandel in Hinblick auf Sexualität und die Bestimmung über den eigenen Körper zu erzielen, fährt Olga fort. »Es gibt so viele Mythen über den Körper«. Fortschritte sieht sie in der Familienplanung, da die Frauen inzwischen im Durchschnitt drei Kinder bekämen, statt fünf bis sieben. Olga findet, es reiche nicht, die Frauen mit ökonomischer Macht auszustatten. Wenn die Frau geschlagen wird und die gesamte Reproduktionsarbeit macht, kann sie kein Geschäft führen. Ähnliche Erfahrungen macht Irma von CIPRES: »Die Frauen gehen raus, um sich fortzubilden. Früher hieß es dann: Wer wird auf meine Kinder aufpassen?« Allerdings kämen immer noch selten Männer mit ihren Kindern.

Fortschritte konnten vor allem im öffentlichen Raum erzielt werden. Im Privaten sehen sie eher bei den Kindern einen Mentalitätswandel. Es ist viel mehr Arbeit im Privaten von Nöten. Wenn es mehr Geld gäbe, würde Irma gerne mehr Fortbildungen mit Männern machen. So haben die Frauen Vorrang. Dies spiegelt ein generelles Problem der Frauenbewegung wider: den Mangel an finanziellen Mitteln. Keine der erwähnten Organisationen erhält Geld vom Staat. Projekte, die wenigen bezahlten Stellen und auch die Frauenhäuser des Kollektivs 8. März finanzieren sich über internationale GeldgeberInnen.

Diese Abhängigkeit könnte für die Arbeit der Bewegungen das Ende bedeuten, sobald die Mittel wegfallen. So bekommen auch die sozialen Bewegungen die weltweite Wirtschaftskrise zu spüren. Daher fordern die Frauen vom Kollektiv 8. März, dass der Staat Mittel für Frauenhäuser bereitstellt. Auch Blanca von ADIC meint, dass eigentlich der Staat die Aufgaben übernehmen müsste, die ADIC erfüllt: die Menschen über ihre Rechte aufklären, Projekte zur kommunalen Entwicklung durchführen. Dennoch: ADIC will mit ihrer Arbeit diejenigen erreichen, die an den Programmen der Regierung nicht teilhaben.

Andere Organisationen setzen ihren Schwerpunkt auf die politische Einflussnahme. Janett Castillo von der Kommunalen Bewegung Matagalpa MCM will, dass sich Menschen organisieren, damit sie für ihre Rechte einstehen und auf diesem Weg ihre Lebenssituation verbessern. In Matagalpa ist die Frauenbewegung besonders vielfältig und groß. Um bei öffentlichen Kampagnen geschlossener und geschützter aufzutreten, haben sich die verschiedenen Organisationen zu einem feministischen Netzwerk zusammengeschlossen.

Die Politik Ortegas brachte auf institutioneller Ebene einige Fortschritte. So wurden beispielsweise Frauenkommissariate eingerichtet. Grundsätzlich würden die Probleme jedoch nicht angegangen, weshalb die Institutionen ihre Wirkung oft nicht entfalten, kritisiert Janett. Und die Regierung trage zur Spaltung der feministischen Bewegung bei. Blanca ist dennoch optimistisch. Denn der Grad der Organisierung nimmt zu: »Es ist ein wenig voran gegangen, aber wir sind kämpfen weiter.«

In Estelí trifft Diana Martinez, Gründerin der Fundation zwischen Frauen FEM, mit einigen Kleinbäuerinnen der Organisation zusammen. Der Regen prasselt auf das Dach, unter dem die Bäuerinnen stolz von ihren Erfahrungen mit der FEM erzählen. Estelí liegt in der Kaffeeanbauregion im bergigen Norden des Landes. Der Pilz Kaffeerost, der sich in ganz Mittelamerika ausgebreitet hat, hat den Kleinbäuerinnen dieses Jahr die Hälfte der Ernte zerstört. Aber es gebe hier noch einen anderen Pilz als den, der ihre Kaffeeernten zerstört. »Den politischen Pilz«, schimpft Diana: Daniel Ortega und seine Ehefrau Rosario Murillo, die als Nachfolgerin gehandelt wird, seien der Pilz.

Kirche, Staat und Ehemänner - das »Dreieck des Bösen«

Auch Diana teilt die in der Frauenbewegung verbreitete kritische Haltung gegenüber der Regierung, die auf ihren rosa Wahlplakaten mit den Slogan »Cristiana, Socialista, Solidaria!« (»Christlich, Sozialistisch, Solidarisch!«) wirbt. Die FEM ist ein seit 1996 existierender Zusammenschluss von rund 250 Kleinproduzentinnen in sechs Kooperativen in der Region um Estelí. Vor einem Jahr haben sie die »Zentrale der multisektoralen Kooperativen von ländlichen feministischen umweltbewussten Frauen Die Göttinnen«, kurz Las Diosas, gegründet. Die FEM stärkt ihre Frauen auf ideologischer, ökonomischer und organisatorischer Ebene.

Die in der FEM organisierten Kleinproduzentinnen stehen für eine Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts, in der sie ihre sexuellen und reproduktiven Rechte ausüben und frei am öffentlichen Leben teilnehmen können, erklärt die Aktivistin Isabella Mesa. »Aus dieser Perspektive gehört zur Ernährungssouveränität, dass wir über eigene ökonomische Mittel verfügen und auch über große Dinge entscheiden können. Auch, dass wir ein politisches Bewusstsein haben und an wichtigen Entscheidungen teilhaben können.«

Im Frühjahr dieses Jahres hat die FEM eine »Abteilung für Maskulinität« ins Leben gerufen, um im Kampf gegen das Patriarchat und den Machismo gemeinsam mit Männern eine neue Maskulinität zu konstruieren. »Eine Bewusstmachung und Sensibilisierung dafür, wie die machistische Männlichkeit konstruiert wird, ist wichtig für einen Wandel«, meint der für die Abteilung verantwortliche Hamlet Ramírez. Im Rahmen einer Workshopreihe arbeitete er mit jungen Männern die eigenen Rollenvorstellungen auf. Er selbst habe bis zu seinem 30. Lebensjahr nicht darüber nachgedacht, was es bedeute, im Patriarchat Macht zu haben. Genauso müsse über Homophobie gesprochen werden.

Sehen die Frauen bei ADIC zwei »Monster« in Nicaragua am Werk, so identifizieren die Frauen von FEM drei: die Kirche, den Staat und die Ehemänner - dies sei das »Dreieck des Bösen«. Dagegen setzen die Frauen ihren Kampf. »Wir spürten, dass wir mit den Füßen nicht voran kamen, bis wir entdeckt haben, dass wir Flügel haben, und versucht haben, sie zu öffnen«, erklärt Diana. Die verschiedenen Organisationen eint dabei vor allem der Wille und die Tatkraft, die Bedingungen emanzipatorisch zu verändern. Irma sagt: »Wir haben die Sterne nicht erobert, aber wir sind auf dem Weg.«

Evelyn Linde war im Sommer im Rahmen einer Solidaritätsbrigade für zwei Monate in Nicaragua unterwegs.

Kollektive und Aktivistinnen

ADIC: Asociación para el Desarrollo Integral Comunitario: Vereinigung für integrale kommunale Entwicklung. Maria Teresa Castilblanco, Blanca A. Herrera González.

CMM Collectivo de Mujeres Matagalpa: Frauenkollektiv Matagalpa.

CMR Comité de Mujeres Rurales: Komitee der Landfrauen. Olga Maria Espinoza, Paty Siles.

Colectivo de Mujeres 8 de Marzo: Frauenkollektiv 8. März/ Kollektiv 8. März. Luz Marina Tórrez Velasquez.

MCM Movimiento Communal Nicaragüense - Matagalpa: Kommunale Bewegung Matagalpa. Janett Castillo.

CIPRES Centro para la Promoción, la Investigación y el Desarollo Rural Social: Zentrum für die Erforschung und soziale Entwicklung der ländlichen Regionen. Präsidentin der Organisation: Irma Ortega Sequeira.

FEM Fundación Entre Mujeres: Fundation zwischen Frauen. Isabella Mesa, Diana Martinez (Gründerin), Hamlet Ramírez (Verantwortlicher der Abteilung für Männlichkeit).