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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 588 / 19.11.2013

Aufgeblättert

Gramsci-Einstieg

Best of Gramsci, so könnte der vorliegende Band auch betitelt sein. Er bietet »Einblick in die Vielfalt von Gramscis Denken«, seine »thematische Bandbreite und analytische Schärfe«. Ausgewählt wurden Paragraphen aus Gramscis Hauptwerk, den Gefängnisheften, zu seinen wichtigsten Themen: von Hegemonie, über Intellektuelle bis hin zu Betrachtungen über Erziehung, Kunst sowie Fordismus und Krise. Bei der Auswahl der Textstellen sowie dem Aufbau des Bandes griffen die HerausgeberInnen auf ihre Erfahrungen in Lesekursen, Wochenend-Seminaren und Workshops zurück, was die Qualität dieses Bandes gegenüber früheren Textzusammenstellungen deutlich erhöht. Zusammengefasst sind die Originalpassagen in zwölf thematisch gegliederten Abteilungen, denen jeweils ein kurzer erläuternder Abschnitt vorausgeht. Das ersetzt nicht die Lektüre der Gefängnishefte, ermöglicht aber einen wohl überlegten Einstieg in Gramscis Werk. Eine Verkürzung auf »lediglich die berühmtesten Stellen« wird vermieden. Für KennerInnen der Materie wird - ganz im Sinne der Konzeption des Bandes - dementsprechend nichts Neues geboten, aber für Lektürekreise und -kurse sowie für LeserInnen, die sich behutsam mit Gramsci vertraut machen wollen, ohne sich die Gesamtausgabe leisten zu wollen (und zu können), ist der Band eine gelungene Zusammenstellung und Ausgangsbasis für eigene Erkundungen, ohne dass eine spezifische Lesart Gramscis vorgeschrieben wird.

Sebastian Klauke

Florian Becker, Mario Candeias, Janek Niggemann, Anne Steckner (Hg.): Gramsci lesen. Einstiege in die Gefängnishefte. Argument Verlag, Hamburg 2013. 334 Seiten, 17 EUR.

Nahostkonflikte

Glaubt man Micha Brumliks Vorwort, dann ist Peter Ullrich angetreten, jenes »Spiel radikaler Identifikation und geborgter Identitäten« zu beenden, das sich regelmäßig um den Nahostkonflikt entspinnt. Wesentlich bescheidener formuliert der Autor selbst sein Anliegen. Das Buch sei ein »(Zwischen-)Fazit einer mittlerweile 15-jährigen Beschäftigung mit der Thematik«, das zugleich Aspekte beleuchten solle, die in der bisherigen Diskussion zu kurz gekommen seien. So erörtert er jene Makrostrukturen, die das Wissen der einzelnen AkteurInnen und somit ihre Positionierung bedingen. Der Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien dient dabei als Vehikel. Während sich britische Linke in antiimperialistischer Abgrenzung zum Empire formierten, identifizierten sich ihre deutschen Pendants in einem diskursiven Kontext, der vom (Umgang mit dem) Nationalsozialismus geprägt ist. Wenn folglich dort »Völkerrecht« und »Besatzung« die gewichtigsten Deutungsmuster darstellten, so seien dies hier »deutsche Verantwortung« und »Antisemitismus«. Allein, die aus den inkompatiblen Deutungsmustern resultierende »kognitive Dissonanz« führe nicht zu einem differenzierteren Blick, sondern verschärfe die simplifizierend-binären Positionierungen - so Ullrichs These, die er mit Beispielen von innerlinken Konflikten untermauert. Sein Buch ist ein wichtiger Beitrag im »Spiel radikaler Identifikation«, welches so bald nicht enden wird.

Christoph Gollasch

Peter Ullrich: Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 208 Seiten, 19,90 EUR.

Portugal

»Nelkenrevolution reloaded?« hat Ismail Küpeli sein Büchlein über »Krise und soziale Kämpfe in Portugal« genannt. Der Titel ist naheliegend, aber auch leicht irreführend. Naheliegend, weil die Revolution von 1974 das bedeutendste Ereignis der portugiesischen Nachkriegsgeschichte ist. Die gesamte europäische Linke war damals elektrisiert: Sollte es möglich sein, die demokratische Revolution weiter zu treiben - in Richtung auf einen neuen, auch für andere Länder beispielhaften Sozialismus? Warum daraus nichts wurde, erklärt der Autor kenntnisreich und gut nachvollziehbar. Die Kräfte, die sich dem Neoliberalismus entgegenstellten, waren zu schwach - und sie sind es auch in der Krise seit 2007, obwohl es beachtliche Massenmobilisierungen gab und gibt, mit traditionellen Mitteln wie Streiks und Demonstrationen, aber auch mit Versuchen, etwa durch Besetzungen und den Aufbau unabhängiger Zentren, Betriebe und Kommunikationswege Gegenmacht zu schaffen. Darüber berichten AktivistInnen der aktuellen Proteste im Schlusskapitel des Buches. Hier wird allerdings zugleich deutlich, dass eine neue »Nelkenrevolution« nicht zu erwarten ist. Große strategische Entwürfe haben auch die portugiesischen Protestbewegungen nicht zu bieten. Der Gebrauchswert von Ismail Küpelis Buch besteht in den darin gut aufbereiteten Fakten über Politik und Gesellschaft - lesenswert auch für die desillusionierten RevolutionstouristInnen der 1970er Jahre.

Jens Renner

Ismail Küpeli: Nelkenrevolution reloaded? Krise und soziale Kämpfe in Portugal. edition assemblage, Münster 2013. 94 Seiten, 9,80 EUR.

Esther Bejarano

»Als ich in Auschwitz war, habe ich mir immer gesagt, ich muss mich an diesen Schweinen rächen, es kann nicht gehen, dass die einfach so weiterleben. Gott sei Dank hatte ich keine Gelegenheit dazu.« Sie habe sich anders gerächt, sagt Esther Bejarano im Gespräch mit Antonella Romeo, der Herausgeberin ihrer Erinnerungen. Wer Esther Bejarano begegnet, sie auf der Bühne mit ihren Bands Coincidence oder Mikrophone Mafia erlebt, kann nur beeindruckt und ermutigt sein von dieser lebendigen, engagierten, mutigen Frau. Ihr Leben beschreibt sie in einfachen Worten, umso eindringlicher ist die Wirkung. Als Jüdin wurde sie 1941 im Zwangsarbeitslager Fürstenwalde/Spree interniert, im April1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert, dort überlebte sie durch ihre Selektion ins »Mädchenorchester«, im November 1943 wurde sie ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert, Ende April 1945 gelang ihr die Flucht während des Todesmarsches. Ihre Schwester und Eltern waren bereits von den Nationalsozialisten ermordet worden. Esther schildert die Migration nach Israel und ihr dortiges Leben, Familiengründung und Rückkehr nach Deutschland 1960, den Neuanfang in Hamburg. Seit den 1980er Jahren engagiert sich Esther Bejarano gegen das Vergessen, Antisemitismus, Rassismus, alte und neue Nazis, in Schulen, auf Demos, in Konzerten. Am 15. Dezember wird Esther Bejarano 89 Jahre alt. Liebe Esther, danke! und für das 90. Lebensjahr: alles Gute und Liebe!

Raphaela Kula

Esther Bejarano: Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts. Herausgegeben von Antonella Romeo. Laika Verlag, Hamburg 2013. 208 Seiten mit DVD, 21 EUR.