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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 588 / 19.11.2013

Still loving Bleiberecht

Aktion Die Gruppe Lampedusa in Hamburg kämpft seit Wochen gegen die Politik des SPD-Senats

Von Björn Rosteck

Fahrräder versperren die Fahrbahn. Durch die verbliebene schmale Spur auf dem Platz am Grünen Jäger im Hamburger Schanzenviertel schlängelt sich mühsam ein Taxi. Dort, wo sich am Wochenende das Partyvolk trifft, haben sich am frühen Abend des 23. Oktober spontan Hunderte FahrradfahrerInnen versammelt. Ihr Ziel: Eine Bürgersprechstunde von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in Hamburg-Lokstedt. Normalerweise würden sich wohl nur die treuesten AnhängerInnen des Bürgermeisters dorthin verirren. Aber in Hamburg ticken die Uhren derzeit anders. Es ist der erste öffentliche Auftritt des Bürgermeisters seit Beginn der Kontrollen der Lampedusa-Flüchtlinge durch die Polizei. Hunderte protestieren deswegen am Abend im und vor dem Veranstaltungsgebäude für ein Bleiberecht der Geflüchteten und ein Ende der rassistischen Kontrollen.

Am 11. Oktober hatte die Hamburger Innenbehörde überraschend polizeiliche Kontrollen der sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge angeordnet. Die Behörde wollte die Personalien der Geflüchteten überprüfen. Doch Geflüchtete und UnterstützerInnen befürchten, dass die Maßnahme einer Abschiebung dienen würde. Und das nur wenige Tage nach dem Schiffsunglück vor Lampedusa, bei dem 366 Geflüchtete ihr Leben verloren. Der rassistische Polizeieinsatz sorgte für einen Proteststurm der Unterstützerszene und hat den Konflikt um ein Bleiberecht auf die politische Agenda gehoben. Zwei Wochen lang kam es fast täglich zu Demonstrationen mit mehreren Hundert UnterstützerInnen. Im Anschluss an ein Spiel des FC St. Pauli, dem zahlreiche Geflüchtete beiwohnten, zogen bis zu 10.000 Fußballfans, UnterstützerInnen und Geflüchtete in einem Protestmarsch zur St. Paulikirche. Wenige Tage später, am 2. November, fand darüber hinaus eine Demonstration mit mehr als 15.000 Menschen statt. Solch einen großen Protestzug hatte es in Hamburg schon lange nicht mehr gegeben.

Bis die Proteste im Oktober aufflammten, hatte der Senat die Forderung der Flüchtlinge nach einem Bleiberecht weitgehend ignoriert. Die etwa 300 Afrikaner, die Anfang des Jahres nach Hamburg kamen, waren vor dem Bürgerkrieg in Libyen auf die italienische Insel Lampedusa geflohen. (ak 584) Doch Italien stellte die Hilfeleistungen ein, und so landeten die Geflüchteten auf der Straße. Am Ende erhielten sie pro Person 500 Euro von den Behörden und wurden weiter gen Norden geschickt, erzählen die Flüchtlinge.

In Hamburg fand die Lampedusa-Gruppe zuerst Platz im städtischen Winternotprogramm. Als sie im April wieder auf der Straße landeten, machten die Flüchtlinge erstmals mit kleinen Demonstrationen und einem Go-In beim Rathaus auf sich aufmerksam. Seit dem ist viel passiert: Die Kirche auf St. Pauli, weitere Gemeinden, Moscheen und linke Stadtteilzentren boten den Geflüchteten Obdach. Die Unterstützung, speziell auf St. Pauli, ist überwältigend. AnwohnerInnen helfen, wo es nötig ist: Sie waschen die Wäsche, bieten Sprachkurse an und unterstützen die Arbeit mit Sach- und Geldspenden.

Olaf Scholz bleibt bei sozialer Härte

Nur der Senat sah lange Zeit tatenlos zu. Dabei war spätestens Ende des Sommers klar, dass die Geflüchteten nicht in der Kirche und weiteren unbeheizten Unterkünften würden überwintern können. Mit einem Antrag beim zuständigen Bezirksamt wollte die Kirche Containerplätze auf ihrem Gelände durchsetzen. Offenbar ein deutlicher Affront aus Sicht des Senats. Staatsrat Michael Sachs (SPD) erklärte in einem Brief an die Nordkirche, dass sich die afrikanischen Flüchtlinge bereits strafbar gemacht hätten, weil sie sich illegal in Hamburg aufhalten: »Auch die Hilfeleistung dazu ist strafbar.« Inzwischen wurde die Aufstellung der Container beschlossen. Der Senat pocht allerdings darauf, dass die Geflüchteten ihre Personalien abgeben.

Denn der Hamburger Senat will weiterhin nicht auf die Forderung der Geflüchteten nach einer Gruppenlösung eingehen. Nach §23 des Aufenthaltsgesetzes könnte einer Gruppe aus zu definierenden Gründen ein Bleiberecht zugestanden werden kann. Den syrischen Flüchtlingen, die derzeit in der Bundesrepublik aufgenommen werden, wurde solch ein Bleiberecht zugesprochen. In einem Offenen Brief an den Senat erklärten die Geflüchteten: »In unserer verzweifelten Lage müssen wir wissen, was passieren wird, wenn wir unser Leben den Behörden anvertrauen.«

Der Hamburger Senat hingegen besteht weiterhin auf einer individuellen Lösung: Jeder Flüchtling soll sich einem Einzelfallverfahren stellen. Ausgang offen, wie Innensenator Michael Neumann (SPD) in seinem privaten Blog betont: »Nach allem, was wir wissen, ist unwahrscheinlich, dass die Männer in Deutschland bleiben können, weil sie bereits in Italien Zuflucht gefunden und dort humanitäre Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis erhalten haben.«

Dabei belegen zahlreiche Fernsehdokumentationen inzwischen, dass die Situation für die Flüchtlinge in Italien katastrophal ist und ihnen dort ein Leben auf der Straße droht. Hanning Voigts, Redakteur der Frankfurter Rundschau, schrieb am 18. Oktober zu Recht: »Anstatt im Bewusstsein der Krise des europäischen Projekts auf mehr Demokratie, mehr Menschenrechte zu setzen und dafür das Bündnis mit der Zivilgesellschaft zu suchen, bleibt Olaf Scholz, einer der kommenden starken Männer der deutschen Sozialdemokratie, bei sozialer Härte.«

Die Proteste der letzten Wochen haben allerdings den Druck auf den Senat deutlich erhöht. Inzwischen bietet die Innenbehörde den Geflüchteten eine Duldung mit einer Besonderheit an: Für die Dauer des Verfahrens würde von einer Abschiebung abgesehen werden. Die bislang kompromisslose Abschiebepolitik des Hamburger Senats hat erste Risse bekommen. Eine Wende ist dies allerdings nicht. Denn es gibt weiterhin keinerlei Garantien für die Geflüchteten. Trotzdem gab Nordkirchensprecher Mathias Benckert Ende Oktober bekannt: »Zu den Angeboten des Innensenators, die auch die Unterbringung in Hamburg und sogar die Chance auf eine Arbeitserlaubnis beinhalten, gibt es aus unserer Sicht in absehbarer Zeit keine bessere Alternative.«

Bis dahin wurde die Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge als fester Block wahrgenommen. Plötzlich war in den Medien von einer Spaltung der Gruppe die Rede. Immerhin hatten Anfang November 24 Geflüchtete das »Angebot« des Senats bereits angenommen. Eine Spaltung der Gruppe würde sich dadurch allerdings nicht vollziehen, so Asuquo Udo, einer der Sprecher der Gruppe: »Unter dem übermächtigen Druck und Drohungen mögen einige das Angebot des Senats annehmen, aber die Gruppe bleibt weiter stark und vereint. Schlechter Rat, der auf eine Spaltung der Gruppe abzielt, wird nicht akzeptiert.«

Die Besonderheit der Hamburger Flüchtlingsgruppe ist und bleibt, dass sie vereint für ihre Bleiberecht gestritten hat und dies auch weiterhin tut. Sie rüttelt mit ihrer Forderung nach einem kollektiven Bleiberecht derzeit gewaltig an den Grundfesten der bundesrepublikanischen Asylpolitik und hat das Thema sogar europaweit in den Fokus gerückt.

Inzwischen wurden die Polizeikontrollen in Hamburg gestoppt. Eine Lösung für die Geflüchteten ist allerdings noch nicht in Sicht. Aber nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Städten bilden sich Flüchtlingsgruppen, die für ihr Bleiberecht streiten. Seit Anfang November gibt es in Frankfurt ein erstes Kirchenasyl für Lampedusa-Flüchtlinge. Die Unterstützung für die Flüchtlinge reicht inzwischen über die Stadtgrenzen hinaus: In Düsseldorf störten 150 Menschen einen Auftritt von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. In Bremen, Leipzig und Frankfurt kam es darüber hinaus zu kurzfristigen Besetzungen den lokalen SPD-Zentralen. Auch in Hamburg sind weitere Proteste geplant: Für die Adventssamstage haben die UnterstützerInnen bereits Solidaritätsdemonstrationen durch die Innenstadt angekündigt.

Björn Rosteck lebt in Hamburg. Im Frühjahr lernte er die ersten Flüchtlinge der Lampedusa-Gruppe kennen. Seitdem verfolgt und begleitet er ihren Kampf für ein Bleiberecht.

We are here to stay!

Die Gruppe Lampedusa in Hamburg informiert online unter www.lampedusa-in-hamburg.tk.