Neutraler als neutral
Diskussion Das neue EZB-Gebäude soll 2014 in Frankfurt eröffnet werden - Proteste sind angekündigt
Von Ingo Stützle
Die Kartons sind fast gepackt. In der zweiten Jahreshälfte 2014 sollen in Frankfurt am Main die neuen Räumlichkeiten der Europäischen Zentralbank (EZB) bezogen werden. Anlässlich der Einweihung des über eine Milliarde Euro teuren Baus hat sich schon Protest angekündigt. Während Blockupy in den letzten zwei Jahren immer im Mai die Frankfurter City unsicher machte, ist geplant, die Eröffnung der neuen EZB-Baulichkeiten zu stören. Was und warum sollte man die EZB kritisieren und sogar auf der Straße mobilisieren?
Die EZB ist keine Bank wie jede andere. Sie ist eine Zentralbank. Was aber unterscheidet eine Zentralbank von Geschäftsbanken, und was verbindet sie? Zentralbanken und Geschäftsbanken bilden das moderne zweistufige Bankensystem, wobei die Zentralbank als Notenbank an der Spitze steht. Geschäftsbanken sind kapitalistische Unternehmen und können in Depositen- und Investmentbanken unterschieden werden, d.h. nach den Geschäftsfeldern, denen sie maßgeblich nachgehen. Depositenbanken sammeln das Geld von KundInnen ein, das sie im Rahmen ihres Kreditgeschäfts verleihen. Das wichtigste Betätigungsfeld des sogenannten Investmentbankings ist hingegen der Kapitalmarkt. Hier werden keine Kredite vergeben, sondern KundInnen bei der Anlage von Vermögen, der Ausgabe von Aktien oder der Emission von Anleihen beraten und unterstützt. Ein zentrales Geschäftsfeld ist jedoch der Eigenhandel, d.h. der eigene Handel mit Wertpapieren. Wie Industrieunternehmen nehmen die Banken hierfür Kredit auf. Der Kundenstamm ist im Vergleich zu »normalen« Banken kleiner, dafür vermögender, da zu den KundInnenen Unternehmen und Regierungen gehören.
Euro im Konzert der Weltwährungen
Zentralbanken wie die EZB sind staatliche Institutionen und verfolgen kein Profitinteresse im engeren Sinn, sondern geben das Geld aus, mit dem die kapitalistische Wirtschaft läuft, Banken Geschäfte machen, Unternehmen Kredite aufnehmen und Lohnabhängige ihr Girokonto und vielleicht ein Tagesgeldkonto führen. Zentralbanken garantieren damit das Mittel, das Warentausch und Kapitalakkumulation überhaupt erst ermöglicht - Geld. Weil der Kapitalismus alles andere als eine stabile Angelegenheit ist, muss das Geld, in dem die selbstreferenzielle Bewegung G-G' vonstatten geht, möglichst so garantiert werden, dass für Banken und Unternehmen profitable Rahmenbedingungen geschaffen werden - dafür bedarf es eines stabilen Geldes und einer attraktiven Währung auf dem Weltmarkt.
Letzteres war schließlich auch das Interesse Deutschlands an einer europäischen Währung: »Die gemeinsame Währung wird im Konzert der Weltwährungen zusammen mit Dollar und Yen einen wichtigen Part spielen«, so 1995 der ehemalige Finanzminister Theo Waigel (CSU). In diesem Sinne schafft die Zentralbank eine »allgemeine Produktionsbedingung« (Marx) der kapitalistischen Produktionsweise und ist damit, wie der Staat, alles andere als eine neutrale, unpolitische Institution. Der Klassencharakter des Geldes zeigt sich allerdings gerade dadurch, dass es sich neutral gegenüber Lohnarbeit und Kapital verhält, es ist das Band, das die Klassen im Rahmen der Akkumulation aneinander kettet, den ausbeuterischen Normalbetrieb garantiert.
In einer Krise wird der Normalbetrieb gestört. Die EZB agiert in der Krise ab 2007 aber in besonderer Art und Weise, denn sie ist keine Zentralbank wie jede andere. Sie »verwaltet« den Euro, eine Währung vieler Nationalstaaten. Die historische und politische Entstehung des Euro brachte es mit sich, dass die EZB wie keine andere Zentralbank allein auf Geldwertstabilität verpflichtet wurde. Zudem ist die EZB von den Regierungen formal unabhängig - das war etwa die Banque de France bis 1993 nicht.
Die D-Mark wird europäisch
Aber Deutschland reichte diese institutionelle Absicherung der neuen Gemeinschaftswährung durch die EZB nicht. Es brachte ein System des organisierten gegenseitigen Misstrauens auf den Weg: die Verträge von Maastricht, den Stabilitäts- und schließlich in der Krise den sogenannten Fiskalpakt - damit wurde die deutsche Schuldenbremse von 2009 europäisiert. Die ökonomische Dominanz Deutschlands wurde zu einer politischen. Auch das kündigte Waigel an: »Wir bringen die D-Mark nach Europa ... Der vereinbarte Vertrag (von Maastricht) über die Wirtschafts- und Währungsunion trägt in allen entscheidenden Punkten die deutsche Handschrift. Unsere bewährte Stabilitätspolitik ist zum Leitmotiv für die zukünftige europäische Währungsordnung geworden.«
Die deutsche »Stabiliätskultur« ist jedoch Ausdruck eines spezifischen Klassenverhältnisses, eines institutionellen Arrangements zwischen Kapital und Lohnarbeit. In Deutschland herrscht die Tradition einer stabilitätsorientierten Geldpolitik, begleitet von einem Korporatismus, der moderate Lohnabschlüsse garantiert. Im Zuge des Austeritätskurses wird gegenüber der Europeripherie genau das durchgesetzt, nur dass für die »moderaten« Lohnabschlüsse die Gewerkschaften geschwächt, öffentliche Güter privatisiert und der Sozialstaat demontiert sowie der Arbeitsmarkt dereguliert wird - alles unter Aufsicht der Troika aus EZB, dem IWF und der EU-Kommission, die die Gegenleistungen für Hilfen kontrollieren.
In der Krise reagierte die EZB jedoch auch wie eine normale Zentralbank in einer Krise - wie eine Krisenfeuerwehr. Aber mehr noch: Zusammen mit den wichtigsten Zentralbanken der Welt koordinierten die Notenbanken ihre Geldpolitik und sorgten so dafür, dass die Weltwirtschaftskrise sich nicht weiter verschärfte. Eine Praxis, die die EZB im Gegensatz zur FED oder der Bank von England zunächst nicht verfolgte, war der Aufkauf von Staatsanleihen, um so die Papiere zu stützen und den Staaten einen größeren Finanzspielraum zu geben, weil eine Zentralbank der wohl kreditwürdigste Schuldner ist.
Als die peripheren Eurostaaten durch steigende Zinsen verstärkt unter Druck gerieten und es der EZB deshalb auch nicht mehr möglich war, eine einheitliche Geld- und Zinspolitik für alle Eurostaaten gleichermaßen zu machen (in Deutschland herrscht ein sehr niedriges, in Griechenland oder Spanien ein hohes Zinsniveau), begann die EZB doch damit, erst zögerlich dann durchaus offensiv, Staatsanleihen krisengebeutelter Staaten aufzukaufen. Allerdings - und das ist ihrer besonderen Konstruktion geschuldet - nicht ohne Auflagen: Die EZB kauft nur Anleihen derjenigen Länder, die dem Fiskalpakt beigetreten sind, d.h. einen neoliberalen Kurs der Privatisierung, Deregulierung und Austerität verfolgen.
EZB als autoritärer Krisenakteur
Noch in einer anderen Form griff die EZB in der Krise zugunsten des Bankensystems ein. Normalerweise geben sich die Banken tagtäglich gegenseitig Kredit in Milliardenhöhe. In der Krise nicht; keine Bank traut der anderen noch über den Weg. Hier springt die Zentralbank ein. Geschäftsbanken »arbeiten« nicht nur mit ihren Einlagen und ihrem eigenen Geld, sondern können sich bei den Zentralbanken selbst verschulden. Das ist auch der normale Weg, wie Zentralbanken Geld in die Wirtschaft bringen, Geld drucken. Sie drucken es nämlich nicht real, sondern geben den Banken Kredit. In Krisenzeiten ist die Zentralbank somit einerseits die einzige Quelle, wie Banken an frisches Geld kommen, aber auch eine nahezu unerschöpfliche Quelle. Schließlich kann die Zentralbank Geld aus dem Nichts schaffen.
Bleibt die Frage, was mit dem Geld passiert. In der Krise wenig. Die Banken trauen sich nicht, das Geld als Kredit zu vergeben, und legen es lieber bei der EZB zurück. Unternehmen haben schlechte Profitaussichten und wollen und bekommen keinen billigen Kredit. Das Geld kommt also erst gar nicht in die Zirkulation. Inflationsgefahr droht also nicht - ganz im Gegenteil. Oder die Banken kauften lukrative Staatsanleihen von krisengebeutelten Staaten, die sie aber schon bald der EZB verkauften, nachdem die Preise für diese Papiere wieder stiegen.
Während die EZB also auf der einen Seite den Banken zur Seite steht, gut durch die Krise zu kommen, wieder Profit zu machen, ist sie als Teil der Troika mit dafür verantwortlich, dass die europäische Arbeiterklasse verarmt und im Namen der Wettbewerbsfähigkeit für das Kapital produktiv eingespannt wird. Gute Gründe, auf die Straße zu gehen.
Zum Weiterlesen: Thomas Sablowski und Etienne Schneider: Verarmung made in Frankfurt/M. Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Mai 2013.
Blockupy-Aktionskonferenz, 22.-24. November 2013
»Blockupy wird 2014 wieder da sein, um gegen die Eröffnung der neuen EZB-Zentrale zu protestieren« heißt es im Aufruf für die Blockupy-Aktionskonferenz in Frankfurt am Main. Gemeinsam soll dort über die nächsten Schritte beraten werden. »Ein Kern der Blockupy-Idee und -Praxis seit 2012 ist der Versuch, Bündnisarbeit mit ungehorsamen, konfrontativen Aktionen, die auf Massenbeteiligung zielen, zu verbinden, um so in den Skandal der Krisen- und Verarmungspolitik einzugreifen. Mit der Konferenz wollen wir einen Raum schaffen, Blockupy und andere Kämpfe weiter zu diskutieren, Möglichkeiten in der Zukunft auszuloten und ein europäisches, transnationales Blockupy 2014 in Angriff zu nehmen.« Mehr unter: blockupy-frankfurt.org.