Blass, blond, blauäugig
International Der »Fall Maria« ist ein symptomatischer Fall von Antiziganismus
Von Yvonne Robel
Über romafeindliche Geschehnisse wurde in den letzten Jahren immer wieder berichtet. So etwa über die gewaltsamen Räumungen von französischen Romasiedlungen 2010 unter dem Präsidenten Nicolas Sarkozy. Oder über Ausschreitungen gegen Roma in Italien 2007/2008. Hierüber informierten deutsche Medien ebenso wie über die tödlichen Anschläge auf ungarische Roma 2008/2009; erst jüngst gingen Meldungen über die Verurteilung der Täter durch die Presse.
In Deutschland ist zudem seit einiger Zeit die angeblich drohende »Armutseinwanderung« Gegenstand hitziger Debatten. Nahezu einhellig wird dabei auf Roma oder eine diffuse »mobile Minderheit« verwiesen, die angesichts der für Januar 2014 in Aussicht gestellten vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänien und Bulgarien als besondere Gefahr gelten. Anfang Dezember kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) der EU-Kommission an, gegen den »Missbrauch der Freizügigkeit« vorzugehen - notfalls an den EU-Strukturen vorbei. Seine Blockadehaltung gegenüber dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengen-Raum begründete er mit den gleichen Warnungen.
In den Medien lassen sich nicht nur im Zusammenhang mit solchen Äußerungen nahezu täglich Meldungen über antiziganistische Vorfälle in Europa finden. Nicht selten reproduzieren sie dabei selbst antiziganistische Zuschreibungen. Dies zeigte sich im Oktober 2013 auf besonders eindrückliche Weise, als die Geschichte einer fünfjährigen Romnja in Griechenland internationale Aufmerksamkeit erfuhr.
Eltern gesucht für blondes Mädchen
Mitte Oktober 2013 fiel der Polizei bei einer Razzia in einer Romasiedlung in Farsala (Mittelgriechenland) ein blondes, etwa vierjähriges Mädchen auf. Aufgrund des Verdachts, sie könne wegen ihres Aussehens unmöglich das leibliche Kind der Frau und des Mannes sein, bei denen sie lebte, wurden diese verhaftet. Das Mädchen übergab die Polizei einer Athener Kinderhilfsorganisation. Nachdem die Behörden verlautbaren ließen, dass das Paar laut DNA-Test nicht die leiblichen Eltern seien und dass es falsche Papiere für viel zu viele Kinder besitze, starteten Printmedien international Suchaufrufe nach Marias »wahren« Eltern.
Einige Tage darauf tauchten Berichte über ähnliche Verdachtsfälle in Irland auf. PolizistInnen hatten zuvor in Dublin und Athlone die Häuser zweier Romafamilien gestürmt und ihnen ihre Kinder entzogen. Beide Vorgänge wurden mit der auffälligen Blondheit der Kinder begründet. Die Polizeiaktion in Dublin erfolgte infolge eines anonymen Hinweises aus der Bevölkerung. Kurze Zeit später bestätigten DNA-Tests, dass die Kinder sehr wohl zu den Familien gehören. Das siebenjährige Mädchen und der zweijährige Junge wurden zu ihren Eltern zurückgebracht.
Tags darauf ergab ein weiterer DNA-Test, dass eine bulgarische Romnja Marias leibliche Mutter war. Sowohl die biologischen als auch die Zieheltern forderten daraufhin das Erziehungsrecht für Maria; griechische und bulgarische Behörden stellten ebenfalls Forderungen. Das griechische Ehepaar blieb vorerst wegen Dokumentenfälschung in Haft. Höchstwahrscheinlich wird die griechische Justiz darüber entscheiden, ob Maria in einer staatlichen Einrichtung in Griechenland, Bulgarien oder aber in einer Pflegefamilie untergebracht wird.
Bereits die Vorgänge an sich führen uns antiziganistische Praktiken unterschiedlicher Art vor Augen: separierte Siedlungen, Razzien und Kindesentzug. In den Medien problematisiert wurde - mit einiger Verzögerung - nur Letzteres. Die Razzia wurde stattdessen als »Routinekontrolle« oder als »Hausdurchsuchung« ausgegeben. Abgesehen von Stereotypen und diskriminierenden Bezeichnungen, die von SpiegelOnline bis zum britischen Daily Telegraph reproduziert wurden, hinterfragten JournalistInnen den Kontext solcher Polizeirazzien ebenso wenig wie die Separierung einer Gruppe von Menschen von der griechischen Mehrheitsgesellschaft in auch als »Lager« bezeichnete Ansiedlungen.
Aufschlussreich sind auch die Vorgänge in Dublin: Aufgrund der Pressemeldungen über Maria hatte sich offensichtlich jemand bemüßigt gefühlt, auf Facebook Informationen über eine »auffällige« Familie in der Nachbarschaft zu posten. Ein Journalist, der auf die Meldung über die Romafamilie mit blondem Kind aufmerksam wurde, leitete sie an die örtliche Polizei weiter. Solche Denunziationen könnten auch in Deutschland stattfinden. Laut einer an der Universität Bielefeld durchgeführten Langzeitforschung über »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« äußerten 2011 40 Prozent der Befragten ein Unwohlsein, »wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend aufhalten« würden. Bereits 1994 ergab eine Studie von Emnid, dass 64 Prozent der Befragten Roma oder Sinti nicht als NachbarInnen haben wollten. Die Dubliner Denunziation aus der Nachbarschaft verweist somit auf eine grundsätzliche, tief verwurzelte antiziganistische Abneigung, die europäische Gesellschaften durchzieht.
Eine solche Abneigung erhält auch dann fortwährend Futter, wenn Presseberichte, wie die über Maria, antiziganistische Stereotype festschreiben. Allzu schnell wiederholten Meldungen die Vermutungen der griechischen Polizei, es handele sich um einen Entführungsfall. Spekuliert wurde, dass Maria »mutmaßlich schon im Säuglingsalter« und »womöglich aus einer Klinik entführt« worden sei. Bereits am 21. Oktober 2013 titelte die Hamburger Morgenpost »Befreite Maria. Die Spur führt zur Kinderhändler-Mafia« und meldete, sie sei als Baby entführt worden. Nicht nur hier wurde dabei der Verdacht geäußert, bis zu zehn andere Kinder im »Romacamp« seien neben Maria Opfer eines internationalen Kinderhändlerrings. Bestätigung fand diese Lesart in der Verlautbarung der griechischen Polizei, sie ermittle gemeinsam mit Interpol.
Romalager, Entführungen und Kinderhandel
Wen wundert es bei solchen Meldungen, dass zahlreiche Eltern von vermissten Kindern Genproben an die griechische Polizei schickten, in der Hoffnung, bei Maria oder einem der anderen Kinder handele es sich um ihr vermisstes Kind? Bezeichnend auch, dass der britische Daily Star zunächst titelte, »Maddie« sei in Griechenland gefunden worden, einige Tage darauf aber behauptete, sie sei in Irland aufgetaucht. Auch deutsche Medien nutzten den Bezug zu dem seit 2007 vermissten britischen Kind, um Betroffenheit zu schüren. Dass durch solche Analogien voreilige und stereotype Verurteilungen vorgenommen wurden, schien sie wenig zu kümmern. Selbst als sich der Vorwurf der Entführung zerstreute, da die leibliche Mutter Marias gegenteilige Angaben machte, hielten die Presseberichte am Verdacht des Kinderhandels fest.
Im wortwörtlichen Sinne bediente die Presse auch in anderer Hinsicht stereotype Bilder: Geradezu inflationär griffen sie auf ein griechisches Polizeifoto von Maria zurück. Es zeigt das Mädchen, das direkt in die Kamera schaut, vor rotem, signalfarbenem Hintergrund; zu sehen sind ihre vor der Brust zueinander geführten Hände - was allzu schnell als bettelnde Geste interpretiert wurde. Eher selten verwiesen die Berichte dabei auf den Entstehungskontext des Fotos. Das Foto wurde gemacht, nachdem die PolizeibeamtInnen das Kind aus der Familie gerissen hatten. Die Süddeutsche Zeitung (SZ, 21.10.2013) wusste zu berichten, dass Maria »beim Betteln aufgefallen« sei. SpiegelOnline (19.10.2013) resümierte in seinem Suchaufruf nach den »wahren« Eltern: »Das Bild der Vierjährigen ist erschütternd. Mit verunsichertem Blick schaut das Mädchen, das auf den Namen Maria hört, in die Kamera.« Dass eine tiefgreifende Verunsicherung nicht zuletzt durch polizeiliche Präsenz entsteht, davon war nichts zu lesen. Auch nicht davon, dass polizeiliche Ein- und Übergriffe für viele Menschen, die von Antiziganismus betroffen sind, wiederholte und teils auch traumatische Erfahrungen darstellen.
Stattdessen dominierten Darstellungen, welche bestehende Stereotype wiederholten. Bilder und Sprachmuster transportieren immer zugleich »Marker«, die aus Menschen »Zigeuner« machen. Die Darstellung einer vermeintlich »typischen« Erwerbstätigkeit wie Betteln knüpft an Stereotype um Kriminalität und fehlenden Arbeitswillen an. Der gedankliche Schritt zur organisierten Kriminalität ist schnell gemacht. Die kontextlose Darstellung eines Lebens in »Lagern« rekurriert auf das Stereotyp der fehlenden Sesshaftigkeit. Das Sprechen von »umherwuselnden« Kindern (SZ, 21.10.2013) verweist auf das Klischee der Großfamilien und des Kinderreichtums.
Hate speech
Auch Motive wie das des unrechtmäßigen Waffenbesitzes oder des primitiven Lebensstils, bei gleichzeitig punktuellem Prunk, gehören zu einem jahrhundertealten Bestand antiziganistischer Zuschreibungen. In der SZ erfährt man etwa von einem »riesigen Flachbildfernseher« in einem »äußerst karg möblierten Zimmer«. Zum antiziganistischen Motiv gehört auch der Kinderdiebstahl. Dass Berichte über Maria und die irischen Vorfälle zudem immer wieder die Hellhäutigkeit, Blondheit und Blauäugigkeit der Kinder betonten, tat ein Übriges. Als Skandal wurde es auch nicht empfunden, als vermeldet wurde, ein Anthropologe solle Marias vermutlich nord- oder osteuropäische Herkunft näher bestimmen.
Antiziganismus ist kein »neues« Phänomen, sondern erfreut sich einer erstaunlichen historischen Kontinuität. Antiziganismus speist sich aus kulturell vermittelten Bildern, aus Sinngehalten und aus gesellschaftlich vorhandenem Wissen. Das Phänomen hat nur sehr indirekt etwas mit denjenigen Menschen zu tun, die von Antiziganismus betroffen sind. Vielmehr verweist es auf eine normierte und auf Differenzen beruhende Vorstellungswelt der Mehrheitsgesellschaft. Antiziganismus ist somit mehr als Rassismus gegen Sinti und Roma. Der Begriff bezeichnet sowohl eine gruppenbezogene Feindschaft als auch die Identifizierung von Menschen als »Zigeuner«. Antiziganismus kann sich potenziell gegen alle Menschen richten, die als »Zigeuner« stigmatisiert werden, teils auch gegen Menschen, die z.B. sozial deklassiert oder als »Nomaden« oder »Müßiggänger« kategorisiert werden. Wesentlich sind die zum Einsatz kommenden oben genannten »Marker«.
Werden solche Marker angewandt, um aus Menschen »Zigeuner« zu machen, hat das nicht selten verheerende Konsequenzen. Hierin liegt die Wirksamkeit antiziganistischen Sprechens und Schreibens. Auch die Ereignisse und Berichte zum »Fall Maria« zogen weitere Folgen nach sich. Die griechische Regierung etwa ordnete an, alle Geburtenregister grundlegend nach Auffälligkeiten zu überprüfen. Mitte November vermeldete die Presse, dass sieben entsprechende Fälle derzeit geprüft würden. Mindestens in einem Fall wurde ein Kind aus einer Roma-Familie den griechischen Behörden übergeben. In Novi Sad versuchten Skindheads, einem Rom seinen blonden Sohn zu entreißen. Erst als der Vater die Polizei rufen wollte, zogen sie sich zurück. PolitikerInnen der Lega Nord forderten, Romalager in Italien präventiv nach blonden Kindern abzusuchen.
All diese Vorgänge führen in komprimierter Form vor, wie sich Antiziganismus tagtäglich äußert: in Polizei- und Behördenpraktiken, in tätlichen Übergriffen, in Kategorisierungen und Stigmatisierungen nach jahrhundertealten Mustern, in nachbarschaftlichem Misstrauen bis hin zur Verachtung und in medialer Stimmungsmache.
Yvonne Robel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Oldenburg und Mitherausgeberin des Sammelbandes »Antiziganistische Zustände« (Münster 2009).