Mittelfinger-Style
Kultur Mit hybridem Sound sorgt M.I.A. schon seit knapp zehn Jahren für Aufregung. Nun ist sie mit ihrem vierten Album »Matangi« zurück
Von Liz Weidinger
»Brown Girl, Brown Girl \ Turn your shit down \ You know America \ Don't wanna hear your sound \ Boom Boom jungle music \ go back to India.« So heißt es im Song »Boom Skit«, der sich auf dem Anfang November endlich veröffentlichten vierten Album »Matangi« der britischen Musikerin M.I.A. findet.
M.I.A. kommt häufiger nicht so gut an. Sie provoziert den popmusikalischen westlichen Mainstream in zuverlässiger Regelmäßigkeit. Matangi »Maya« Arulpragasam alias M.I.A. ist aber auch eine der wenigen sichtbaren südasiatischen Musikerinnen, die deswegen in ihrer Inszenierung immer auch verhandeln muss, was es heißt, »das Andere« zu sein. Dass sie sich dann mal hinreißen lässt, einem Riesenpublikum den Mittelfinger zu zeigen, ist nur verständlich - so geschehen beim live übertragenen Super-Bowl-Auftritt 2012, den sie gemeinsam mit Madonna und Nicki Minaj absolvierte. Deswegen verklagt die National Football League (NFL) Arulpragasam jetzt auf 1,5 Millionen US-Dollar Schadensersatz.
Ähnlich Anti-Anti, aber mit deutlich mehr Stirnrunzelpotenzial, erscheint ihre Zusammenarbeit mit dem mutmaßlichen Vergewaltiger und WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Am 31. Dezember 2010 veröffentlichte M.I.A. ein Mixtape mit dem Namen »Vicki Leekx«; Assange unterstützte sie angeblich beim Schreiben der Lyrics zu »aTENTion« und eröffnete ihr Konzert in New York Anfang November mit einer Skype-Schalte aus der ecuadorianischen Botschaft in London.
Popsongs postkolonial
Der provozierende Mittelfinger-Style und ein Hang zu Verschwörungstheorien ziehen sich durch das Schaffen der 38-jährigen Musikerin, Produzentin, Künstlerin und Modedesignerin. Trotzdem soll es hier nicht um eine detaillierte Diskussion aller möglichen Äußerungen M.I.A.s gehen, sondern um das weite Feld an Bedeutungen, das ihre Musik und Inszenierung bietet. Außerdem ist es wunderbar, eine Frau im Pop zu sehen, die globale Ungerechtigkeiten einer postkolonialen Welt in ihrer Musik benennt.
Es war Mitte der Nullerjahre, als M.I.A. zum ersten Mal größere Aufmerksamkeit erlangte. Der Durchbruch gelang mit dem Song »Galang«, der allein sprachlich wegweisend für ihre Kombination unterschiedlichster asiatischer und nicht-westlicher Zeichen mit denen urbaner Subkulturen sein sollte. Schließlich ist das Wort »Galang« nicht nur eine tamilische Vokabel - M.I.A.s Eltern sind Angehörige der tamilischen Minderheit auf Sri Lanka -, sondern als Verkürzung von »go along« auch ein Ausdruck aus dem jamaikanischen Rasta-Slang. Der Song fand sich auf dem fantastischen Debütalbum »Arular«, das einen neuen Sound zwischen Grime, HipHop, Dancehall, Baile Funk und DIY-Ästhetik mitten in der westlichen Popwelt platzierte. Ihr sollten einige spannende MusikerInnen wie Santigold, CSS oder Ebony Bones folgen. Der Song »Paper Planes« von ihrem zweiten Album »Kala« wurde in den Soundtrack des oscarprämierten Films »Slumdog Millionaire« aufgenommen und schaffte es so im Jahr 2008 sogar auf Platz vier der US-Charts.
Arulpragasam hat es also von ihrer Kindheit während des Bürgerkriegs auf Sri Lanka, ihrem Leben als Flüchtling in London, als Kind eines Vaters, der im Untergrund für die Unabhängigkeit der TamilInnen kämpft, über ein Filmstudium am Londoner Central Saint Martins College of Art and Design, über Begegnungen mit Justine Frischman, Peaches und Diplo bis zum gemeinsamen Auftritt mit vier männlichen Größen des US-HipHop-Business geschafft. Das war 2009, damals rappte M.I.A. hochschwanger in einem halbdurchsichtigen Outfit neben Jay Z, Lil Wayne, T.I. und Kanye West bei der Grammy-Verleihung.
Mit der im Juli 2010 folgenden Veröffentlichung ihres dritten Albums »/\/\ /\ Y /\« (Maya) kam sie ganz oben an im Popbusiness. Auf ihrer Website steht dazu: »... and suddenly there she was onstage at the Grammys a few days before giving birth, all of it made wild sense when previously it had been impossible to imagine.« (... und plötzlich stand sie auf der Grammy-Bühne, wenige Tage vor der Geburt ihres Kindes, und das war völlig selbstverständlich, obwohl es vor kurzem noch unvorstellbar gewesen wäre.)
M.I.A. mixt Autostunts, Ommms und Harfenklänge
Mit M.I.A.s wachsender Popularität wurde auch die Kritik lauter. So schrieb die Journalistin Lynn Hirschberg in einem Porträt in der New York Times, M.I.A. sei naiv, heuchlerisch und nutze ihre leeren Polit-Parolen nur für den eigenen kommerziellen Erfolg. Die Frage nach Arulpragasams Glaubwürdigkeit bestimmte aber nicht nur diesen Artikel. Schon 2005 hatte sich der renommierte Musikkritiker Simon Reynolds in der Besprechung des Debütalbums in The Village Voice dazu genötigt gefühlt, seinen Expertenstatus mit folgenden Worten zu verteidigen: »Don't let M.I.A.'s brown skin throw you off: She's got no more real connection with the favela funksters than Prince Harry.« (Lasst euch von M.I.A.s Hautfarbe nicht hinters Licht führen: Sie hat nicht mehr mit den Favela Funksters gemeinsam als Prinz Harry.) Weiße, privilegierte, westliche KünstlerInnen und JournalistInnen können doch mindestens genauso gut über Repression und die Folgen des Kolonialismus sprechen, eh klar.
Außerdem: Wer mischt so gekonnt überdrehten Bollywoodkitsch mit HipHop-Realness? Wer disst den Rapper Drake und geldgierige Banker mit gleich viel Wut auf einem Album? Und wer rappt so lässig auf einem driftenden Auto mitten im marokkanischen Nirgendwo und feilt sich die Fingernägel wie M.I.A. im Video zu »Bad Girls«, dem bereits vor knapp zwei Jahren veröffentlichten Hit von »Matangi«? Arulpragasams eigenwilliger Pop mit all seiner Mash-up-Symbolik bietet einen weit aufgespannten, mit Paradoxien durchzogenen Repräsentationsraum für Nicht-Weiße - der eben nicht in der gern eurozentristisch als Weltmusik bezeichneten Nische sein Dasein fristet.
Für alle, denen M.I.A.s Erfolg suspekt ist, ist auf dem neuen Album ihre Position als Immigrantin der zweiten Generation, zwischen westlichen Subkulturen und südasiatischer Herkunft, ihre Position als Andere deutlicher markiert als auf »/\/\ /\ Y /\«. Sie spricht von der Hindugöttin Matangi als Inspirationsquelle, schmückt die Songs mit Ommms und Harfenklängen und fragt in etwas lahmer Anlehnung an das zum Generationenmeme gewordene YOLO (You Only Live Once) am Ende der Single »Y.A.L.A.«: »YOLO? I don't know anymore, what that even mean tho, if you only live once why we keep doing the same shit, back home where I come from we keep being born again and again that's why they invented karma.«
Zum Glück ist es mit ihrer Kompromissbereitschaft aber nicht weit her. Dem exotisierenden Blick widerspricht sie mit dem gewohnten Maß an Militanz und Selbstüberschätzung. Zum Glück.
Liz Weidinger schreibt am liebsten über Feminismus und Popkultur, unter anderem für das Missy Magazine.