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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 590 / 21.1.2014

Aufgeblättert

Klassenanalyse

Seit nunmehr einem halben Jahrhundert erscheint das Socialist Register. Hervorgegangen aus Konflikten um die Zukunft der Zeitschrift New Left Review und insbesondere von Ralph Miliband ursprünglich als Diskussionsforum vorangetrieben, erschien die erste Ausgabe 1964. Seit 1984 steht mit jedem Heft ein spezifisches Thema im Mittelpunkt. Das diesjährige Jubiläum wird mit einer Ausgabe zum Thema Klasse und Klassenanalyse begangen. Sie beweist die Lebendigkeit dieser klassisch marxistischen Kategorie. Vor dem Hintergrund der seit 2007 anhaltenden globalen Krise liegt der Fokus in den 13 Beiträgen auf empirischen Untersuchungen und theoretischen Überlegungen gleichermaßen. Ein weiterer Artikel beleuchtet den Entstehungsprozess des Socialist Register, und Leo Panitch, seit 1985 Mitherausgeber, beschließt die Ausgabe mit einem Rückblick auf die inhaltliche Entwicklung der Zeitschrift seit ihren Anfängen. Das übrige Themenspektrum reicht von einer Untersuchung der »Walmart working class« über eine Kritik der Ablehnung universalistischen Denkens im Zuge postkolonialistischer Theorie bis zur Frage von Klasse, Arbeit und Wert im Zeitalter des Digitalen. Kleine Schwerpunkte bilden dabei aktuelle Entwicklungen in Großbritannien und Brasilien. Auch die folgende 51. Ausgabe wird sich mit dem Thema Klasse auseinandersetzen, wobei sich hier der geographische Fokus auf Asien verschieben wird.

Sebastian Klauke

Leo Panitch, Greg Albo, Vivek Chibber (Hg.): Socialist Register 2014. Registering Class. London 2013, 23,80 EUR. Zu beziehen über den VSA-Verlag, Hamburg.

Berliner Geschichte

»Keine Hundesteuer, keine Mietsabgaben, keine neuen Maschinen und im Tiergarten rauchen« - das waren die Forderungen einer Demonstration im Juli 1830, die als Berliner Schneideraufstand in die Geschichte einging. Mit dieser sozialen Bewegung beginnt der Historiker Axel Weipert seine »Geschichte des Roten Berlin«. Es folgen der Kartoffelaufstand am Mehringplatz 1847 und die Blumenstraßenkrawalle gegen Zwangsräumungen in Kreuzberg 1872, die vom Militär blutig unterdrückt wurden. Auch in der Weimarer Zeit legt Weipert das Augenmerk auf die Geschichte sozialer Bewegungen. Die beginnt mit den Revolutionären Obleuten, den eigentlichen Trägern der Novemberrevolution. Der Autor zeigt, wie die Rätebewegung von den Freikorps blutig unterdrückt wurde, die im Auftrag der SPD die Revolution abwürgten. Wenig bekannt sind die starke Erwerbslosenbewegung in der Frühzeit der Weimarer Republik und eine Schöneberger Siedlung, die noch in der Frühphase des Naziregimes als Rote Insel bekannt war. Weipert konzentriert sich auf den Stadtteil und selbstorgansierte Kämpfe. Diese wurden in der sozialdemokratischen Presse oft mit Krawall in Verbindung gebracht, etwa die Demonstrationen junger Erwerbsloser 1892 oder die Proteste von Obdachlosen einige Jahre später. Es ist verdienstvoll, dass Weipert diese von den Parteien und Gewerkschaften oft ignorierten oder gar diffamierten Kämpfe in seinem gut lesbaren Buch einer größeren Öffentlichkeit bekannt macht.

Peter Nowak

Axel Weipert: Das Rote Berlin. Eine Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung 1830 - 1934. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2013. 251 Seiten, 29 EUR.

Krisendiagnosen

In der aktuellen Krisendiskussion werden feministische Positionen nur am Rande aufgegriffen. So bleibe das im Diskurs »Randständige, gesellschaftlich aber Grundlegende« - Natur, Sorge, Verschränkung von Herrschaftsdimensionen und Ungleichheitsverhältnissen - weitgehend im Dunklen, befinden die HerausgeberInnen. Einleitend bündeln sie die feministischen Krisendiagnosen in einer theoretischen Perspektive: Das kapitalistische System schaffe es, fundamentale wie reformistische Kritik zu vereinnahmen und für seine Re-Stabilisierung zu nutzen. Das gelte für marktförmige Nachhaltigkeit, das Gender Mainstreaming oder das Diversity Management. In dieser Perspektive weisen die Krisendiagnosen dieses Bandes auf eine »Konsolidierung der Herrschaftsverhältnisse bei ihrer gleichzeitigen Veränderung« hin. Wobei Veränderung sich vor allem auf eine »verschärfte Vorrangstellung des Marktes« bezieht. Die Vereinnahmungsperspektive wird nicht von allen ForscherInnen gleichermaßen aufgegriffen. Dennoch meint Krisendiagnose vor allem Analyse struktureller Veränderungen und weniger kollektiven und individuellen Handelns von Subjekten. Nur Birgit Sauer erwähnt die Proteste gegen Stuttgart 21, die Indignados und die Occupy-Bewegung. Die Forderung von Sabine Hark und Mike Laufenberg, »die inneren Risse und Inkonsistenzen im Neoliberalismus selbst aufzusuchen«, bleibt in diesem Band unerfüllt.

Stefan Kerber-Clasen

Erna Appelt, Brigitte Aulenbacher, Angelika Wetterer (Hg.): Gesellschaft. Feministische Krisendiagnosen. Westfälisches Dampfboot, Münster 2013. 268 Seiten, 27,90 EUR.

Larissa Reisner

Kurt Tucholsky war einer ihre größten Fans, und Leo Trotzki schwärmte geradezu für die »herrliche junge Frau«: »Mit dem Äußeren einer olympischen Göttin verband sie einen feinen ironischen Verstand und die Tapferkeit eines Kriegers.« Ob sie diesen Schmus goutiert hätte, ist fraglich: Larissa Reisner (1895-1926) ging als revolutionäre Publizistin dahin, wo historische Entscheidungen anstanden: ins revolutionäre Russland, wo sie von den Fronten des Bürgerkriegs berichtete; und nach Deutschland, wo Anfang der 1920er Jahre ebenfalls eine revolutionäre Lösung möglich schien. Reisners Reportage über den Hamburger Aufstand von Oktober 1923, ihr bekanntestes Werk, ist packend geschrieben, allerdings auch von Pathos und Siegeszuversicht geprägt - ein Zeitdokument, das den Nachgeborenen, die den weiteren Verlauf der Geschichte kennen, in Teilen realitätsfern erscheinen muss. Nun ist es wieder zugänglich für die kritische Lektüre. Das Bändchen der »Reprint-Buchreihe Natur & Mythos« des Verlags Haag + Herchen enthält - neben dem titelgebenden »Hamburg auf den Barrikaden« - zwei weitere Arbeiten: »Berlin im Oktober 1923« und »Im Lande Hindenburgs«. Hier fasziniert vor allem, wie Reisner die sozialen Gegensätze schildert - das Leben der Krupps auf der einen, das der Erwerbslosen auf der anderen Seite. Abgerundet wird das Buch von Jörn Schütrumpfs Nachwort. »Viel ist es nicht, was wir über diese junge Frau wissen«, schreibt er: »Geblieben sind ihre Schriften ...«

Daniel Ernst

Larissa Reisner: Hamburg auf den Barrikaden und andere Reportagen. Edition Natur & Mythos, Verlag Haag + Herchen, Hanau 2013. 181 Seiten, 18 EUR.