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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 590 / 21.1.2014

Doch kein Neonazianschlag?

Geschichte Die Wehrsportgruppe Hoffmann hat mit dem Oktoberfest-Attentat nichts zu tun

Von Tomas Lecorte

Ende Januar wird der Spielfilm »Der blinde Fleck« das Attentat beim Münchener Oktoberfest 1980 wieder zum Gegenstand vieler Diskussionen und Vermutungen machen. Ich habe rund eineinhalb Jahre lang Recherchen zu dem Attentat angestellt und will hier ein vorläufiges Fazit ziehen. Die Ergebnisse haben mich selbst überrascht, denn sie widersprechen in wesentlichen Punkten dem bekannten »Kanon« der linken, kritischen Geschichtsschreibung. Ich komme nämlich zu dem Schluss, dass der Anschlag mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in die Serie neonazistischer Anschläge der Jahre 1977 bis 1982 einzuordnen ist. Und zwar vor allem deshalb, weil weder ein explizit neonazistisches Motiv noch eine organisierte Neonazigruppe als Täter erkennbar sind.

Es ist klar, dass das mangels eines positiven Tatbeweises nur eine weitere Theorie zu dem Anschlag ist. Ich kann keine beweisbare Gegengeschichte anbieten, sondern versuche lediglich, Irrtümer und Sackgassen aus dem Gesamtbild zu beseitigen, um der (linken) Legendenbildung entgegenzuarbeiten. Dass dabei en passant auch die rechtsradikale Wehrsportgruppe Hoffmann in dieser Sache entlastet wird, ist nicht zu vermeiden. Die Männer um Karl-Heinz Hoffmann, Anton Pfahler und Bernd Grett werden dadurch nicht nachträglich zu lieben Jungens erklärt. Doch man sollte Neonazis lieber das vorwerfen, was sie tatsächlich zu verantworten haben, anstatt Phantome zu jagen.

Warum kein neonazistischer Anschlag?

Bei der Beurteilung, welchen Hintergrund der Münchener Anschlag hatte, sind verschiedene Ermittlungsstränge auseinanderzuhalten. Öffentlich wird stets die WSG Hoffmann als verdächtig genannt, doch so leichthin diese Beschuldigung gerade in der Linken ausgesprochen wird, so dünn sind die Indizien. Der Verdacht gegen die WSG Hoffmann beruhte ausschließlich auf einer Notiz, die 1979 entstand und auf den damaligen Gauführer der Wiking-Jugend Schwaben, Helmut Dieterle, zurückgeht. Darin war Köhler für 1977 als Mitglied vermerkt, was nach aktuellem Wissensstand vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass Köhler Anfang 1977 bei Dieterles nach kurzer Zeit gescheitertem Versuch, eine WSG in Schwaben zu gründen, einmal anwesend war, danach aber den Kontakt abbrach.

Alle weiteren gegen die WSG Hoffmann vorgebrachten Indizien nach dem Münchener Anschlag 1980 sind nicht haltbar. Das betrifft das Foto von 1979, das angeblich Köhler bei der WSG zeigen soll, was nicht stimmt; die Selbstbeschuldigungen der zeitweiligen WSG-Mitglieder Ulrich Behle im Oktober 1980 und Stefan Wagner im August 1982, die jeweils erfunden waren; die Observation von WSG-Mitgliedern im Herbst 1980, die im Gegenteil entlastende Momente enthalten, und einige weitere Details. Dies zusammengenommen, ist keine tatsächliche Verbindung zwischen der WSG Hoffmann und dem Anschlag herzustellen.

Könnten es auch andere Neonazi-Gruppen gewesen sein? Dabei ist zuerst zu diskutieren, welche ideologische Richtung der damaligen Neonazis überhaupt infrage käme. Die Aktionsform direkter Anschläge mit politischer Botschaft - in Abgrenzung von Gewalttaten, die im Affekt oder direkt gegenüber tatsächlichen oder vermeintlichen Feinden stattfinden - war in der rechten Szene noch nie sehr verbreitet. Sie wurde aber Ende der 1970er Jahren von einigen Neonazis aufgegriffen, die frustriert über den Rückzug der »alten Garde« und das Ausbleiben gesamtgesellschaftlicher Erfolge, zum Teil auch fasziniert von Aktionen der damals sehr aktiven militanten Linken waren. Etliche schossen sich damit zuletzt ganz aus der rechten Szene heraus, sei es sinnbildlich durch »nationalrevolutionäre« Fraktionierung mit Verlust der NS-Identität, oder ganz konkret durch Selbstmord oder Amoklauf. Die Ermittlungen der Polizei 1980 in diese Richtung waren höchst mager: Die Alibis von Mitgliedern der Münchener Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands (VSBD) wurden überprüft, das war offenbar alles.

Allerdings gibt es für die Spekulation, eine besonders fanatisierte Kleingruppe hätte hier jenseits aller Neonazi-Bekundungen, niemals »gegen das Volk« zu handeln, zugeschlagen, keine Indizien. Es müsste eine völlig abgeschottete Kleingruppe - ähnlich dem NSU 20 Jahre später - den Anschlag verübt haben. Es ist aber über die damalige, nicht besonders große Neonaziszene soviel bekannt geworden durch Aussteiger, Prozesse, Ermittlungsakten und antifaschistische Recherche, dass kaum vorstellbar ist, dass eine solche Gruppe bis heute unbekannt bleiben konnte.

Alle, die sich zum Münchener Anschlag äußerten, sei es damals öffentlich oder heute als Aussteiger im Rückblick, bestreiten, dass der Anschlag in die damaligen Überlegungen dieser Szene passte. Die tatsächlich stattgefundenen Anschläge 1977-1982 sprechen ebenfalls eine andere Sprache, denn sie richteten sich stets gegen identifizierbare, bestimmte Ziele. Daraus ist zu schließen, dass der Münchener Anschlag jedenfalls nicht Teil einer politischen »Propaganda der Tat« von organisierten Neonazis gewesen sein dürfte.

Es bleibt das allgemeine Gefühl, Neonazis sei eine solche Tat zuzutrauen bzw. ihnen sei auch eine provokative Aktion zuzutrauen, die dann hinterher anderen in die Schuhe geschoben werden solle. Das ist nach heutigem Kenntnisstand weder beweisbar noch zu widerlegen. Allerdings kamen die tatsächlich militant aktiven Neonazis, soweit bekannt, nie über entsprechende »Man-müsste-mal«-Gespräche hinaus und waren auch logistisch und intellektuell gar nicht in der Lage dazu. Solche politischen Interventionen mit taktischen Hintergedanken überstiegen ihren Horizont, für sie war die unmittelbare Auseinandersetzung mit Gegnern (wozu Linke, aber auch der Staat gehörten) zentral.

Sicherlich gab es Neonazis, die ausreichend handlungsbereit und hinreichend dumm waren, um sich funktionalisieren zu lassen. An wandelnden Zeitbomben gab es in dieser Szene nie Mangel (auch wenn ich Gundolf Köhler eher nicht dazu zählen würde). Personen oder Gruppen, denen eine solche Steuerung, also eine Verschwörung zu einem provokativen Terroranschlag, zuzutrauen ist, sind aber eher in der Grauzone zwischen Rechtsradikalen und Geheimdiensten zu vermuten. Und sie verfolgen machtpolitische Interessen, die mit der Neonaziszene wenig bis nichts zu tun haben. Daher ist zu fragen, ob bei einem solchen Szenario überhaupt noch von einem Anschlag mit neonazistischem Hintergrund zu sprechen wäre.

Who did it?

Wenn der Anfangsverdacht gegen die WSG Hoffmann gestrichen wird und der allgemeine Verdacht gegen Neonazis auf die dahinterstehende Emotion, es sei ihnen zuzutrauen, reduziert wird, verlieren viele der Veröffentlichungen und Spekulationen der letzten dreißig Jahre ihre Relevanz. Es stellt sich die Frage, welche Tathypothesen denn dann noch übrig bleiben. Nach wie vor lässt sich behaupten, dass die Ermittlungen der Polizei fehlerhaft und interessengeleitet waren. Doch längst nicht alle Schlussfolgerungen der Ermittler sind angreifbar. Sie zielten nicht auf Vertuschung ganz anderer Tathintergründe. Die Einflussnahme des bayerischen Innenministeriums hat den Ermittlungen geschadet, doch die Gründe dafür scheinen eher im allgemeinpolitischen Bereich, nicht im Bereich von Verschwörungen mit Tatbezug, gelegen zu haben.

Gundolf Köhler war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tatsächlich der Bombenleger. Er war auch zumindest in der Lage, eine funktionierende Bombe zu bauen, zumal die Münchener Bombe allem Anschein nach nicht besonders professionell gebaut war. Ob er Mittäter hatte, ist den Zeugenaussagen vom Tatort zufolge wahrscheinlich, aber nicht bewiesen. Nur wenige der Zeugenaussagen sind glaubwürdig und verwertbar, und sie sind zu ungenau, um entscheiden zu können, ob es sich um Mittäter, Mitwisser oder noch weniger stark involvierte Personen handelte.

Das Motiv für den Anschlag ist völlig spekulativ. Die Aussagen zu Köhlers angeblichen Motiven stammen von einem einzigen Zeugen und wurden von anderen nicht bestätigt, und dieser eine Zeuge ist nicht besonders glaubwürdig, denn er war wahrscheinlich beeinflusst von Pressemeldungen und Vorgesprächen sowie seinem eigenen Geltungsdrang. Man muss davon ausgehen, dass es keine tatsächlichen Erkenntnisse zum Motiv gibt.

Eine größere Verschwörung, etwa von staatlichen Geheimdiensten oder anderen Interessengruppen, ist vorstellbar, es fehlen jedoch Indizien dafür. Sie bleibt daher spekulativ und stützt sich fast nur auf Überlegungen zum möglichen Motiv (»cui bono«) und auf Zweifel an der (Allein-)Täterschaft Köhlers. Das gilt auch für den Verdacht, das »Stay Behind«-Netzwerk und damit Teile des BND seien möglicherweise verwickelt gewesen. Es gibt keine Hinweise auf eine Verbindung zwischen dem 1981 bei Heinz Lembke entdeckten mutmaßlichen Stay-Behind-Sprengstoff und dem Münchener Anschlag.

Drei Tathypothesen

Die drei Tathypothesen, die mich am ehesten überzeugen, sind die folgenden:

A) Einzeltäter: Gundolf Köhler handelte allein oder in einem ganz kleinen Umkreis mit ein oder zwei Mithelfern bzw. -wissern; die Tat entstand aus einer unreflektierten Soziophobie ohne klare politische Zielsetzung. Möglicherweise war weder Ort noch Zeitpunkt der Explosion so gewollt, sondern Folge einer Eigendynamik der Ereignisse.

B) Unfall: Es war kein Anschlag geplant, sondern nur die Übergabe einer Bombe, die Köhler im Auftrag einer vermutlich rechtsradikalen Gruppe gebaut hatte. Die Explosion war ein Unfall aufgrund fahrlässiger Handhabung.

C) Verschwörung: Köhler wurde funktionalisiert von unbekannten Dritten - allerdings nicht von Neonazis -, die das Ziel verfolgten, die fast verlorene Bundestagswahl für die CDU/CSU und Franz Josef Strauß noch zu retten. In diesem Fall ist anzunehmen, dass eigentlich eine noch schlimmere Wirkung beabsichtigt war, etwa die Explosion der Bombe in einem Bierzelt. Wenn es also eine Verschwörung gab, ist diese offenbar gescheitert.

Interessanterweise führen alle drei Hypothesen zu der Vermutung, dass die Explosion der Bombe, so wie sie stattfand, nicht geplant war. Das macht es natürlich noch schwieriger, anhand des konkretes Tatablaufs zu ermitteln und Schlüsse zu ziehen.

Und weiter?

Es ist eher unwahrscheinlich, dass es bisher unentdeckte Sachbeweismittel zu dem Anschlag gibt. In den Ermittlungsakten gibt es möglicherweise noch Fehler und nicht zu Ende ermittelte Spuren, aber aller Wahrscheinlichkeit nach keine übersehenen Hinweise zur überraschenden Lösung des Falles. Im Falle einer Verschwörung wäre damit zu rechnen, dass nachverfolgbare Spuren (»paper trails«) längst beseitigt sind. Neue Erkenntnisse könnten sich fast nur aus neuerlichen - aber unwahrscheinlichen - Aussagen von wichtigen Zeugen, etwa Köhlers Freund Erich L. oder den in München beobachteten Kontaktpersonen Köhlers, ergeben.

Dieses Fazit ist unbefriedigend und kann allein schon deshalb nicht abschließend sein. Ich kann jetzt verstehen, warum einige Journalisten das Thema fallen ließen: Wenn man nur schreiben kann, wie es offenbar nicht war, hat man keine interessante Story mehr. Die irgendwann einmal geschriebenen Vermutungen und Spekulationen bleiben aber in der Welt. Und diese Fehlerquellen etwas gerade zu rücken, ist allein schon einige Mühe wert. Der Reichstagsbrand 1933 lässt sich nicht mehr aufklären und wird umstritten bleiben - vielleicht gelingt es in Fall des Münchener Anschlags, das Mosaik einigermaßen zu vervollständigen, bevor zu viel Zeit vergangen ist. Ich hoffe, eine Kleinigkeit zum Auflösen linker Mythen beigetragen zu haben.

Und ich hoffe sehr, dass - wie bereits geschehen - aufgrund von Veröffentlichungen wie dieser weitere Zeitzeugen sich bei mir (oder auch bei Ulrich Chaussy) zu Wort melden. Die Untersuchung des Münchener Anschlags geht weiter.

Tomas Lecorte schrieb in ak 586 über seine Recherchen zur WSG Hoffmann und zu Gundolf Köhler.

Oktoberfest-Attentat 1980. Eine Revision

Der gesamte Text meiner Untersuchung umfasst 160 Seiten und ist als PDF auf www.lecorte.de abrufbar. Der Umfang des Textes macht bereits deutlich, dass es fast unmöglich ist, einzelne Aspekte des Falles isoliert und kurz zu diskutieren. Wenn ich im Folgenden meine wichtigsten Schlussfolgerungen zusammenfasse, muss ich auf eine Beweisführung verzichten und dafür auf die Gesamtuntersuchung verweisen. Ich stütze mich im wesentlichen auf vier Arten von Quellen: Ermittlungsakten von Staatsanwaltschaft und Polizei, Recherchen kritischer Journalisten, Gespräche mit Zeitzeugen (insbesondere mit früheren Neonazis) und Veröffentlichungen der Medien. Sehr wichtig ist aber auch die Interpretation der tatsächlichen oder vermuteten Geschehnisse unter Berücksichtigung ihrer »Lebensnähe« und inneren Logik - ein Aspekt, der in der Berichterstattung oft zu kurz kommt, weil den AutorInnen das nötige Hintergrundwissen über Neonazis, Ermittlungsbehörden, Nachrichtendienste, konspirative Gruppen und so weiter fehlt.