Titelseite ak
Linksnet.de
ak bei Diaspora *
ak bei facebook
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 590 / 21.1.2014

Stagnation auf hohem Niveau

Antirassismus Eine Zwischenbetrachtung zu »Lampedusa in Hamburg«

Von Oliver Hansen

Die Flüchtlinge, die als »Lampedusa in Hamburg« seit Mai letzten Jahres öffentlich politisch agieren, haben etwas erreicht, was es seit Jahren in der Hansestadt nicht mehr gegeben hat: eine breite, bis in das bürgerliche Lager hineinreichende Zustimmung zu Flüchtlingsschutz und Solidarität mit Flüchtlingen. Selten zuvor ist das deutsche und europäische Flüchtlingsregime in der öffentlichen Meinung so diskreditiert wie derzeit. Egal wie es in diesem Jahr weitergehen wird: Diesen politischen Erfolg haben die Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen auf jeden Fall erkämpft.

Gerade weil dieser Erfolg so bemerkenswert ist, lohnt sich die Frage nach den Spezifika und Besonderheiten dieses Kampfes. Dabei fällt zum einen das geschickte und souveräne öffentliche Agieren der Flüchtlinge bzw. ihrer SprecherInnen auf. In ihren öffentlichen Äußerungen ist die Gruppe Lampedusa in Hamburg »realpolitisch« und pragmatisch aufgetreten. Sie haben an ihrem Beispiel den humanitären Irrsinn des europäischen Flüchtlingssystems dargestellt, ohne in Verbalradikalismus und antirassistische Floskelhaftigkeit zu verfallen.

Pragmatismus und Höflichkeit

Den Flüchtlingen ist es gelungen, die Absurdität deutlich und begreifbar zu machen, der sie ausgesetzt sind: In Italien anerkannt, aber ohne soziale Absicherung auf die Straße gesetzt; nach Deutschland geschickt, wo sie aber nicht arbeiten dürfen, sondern noch mal ein Anerkennungsverfahren durchlaufen sollen; die politische Verantwortung wird zwischen Italien, Berlin und Hamburg hin- und hergeschoben. Die Stärke der Gruppe Lampedusa in Hamburg besteht somit darin, dass sie ohne jede tiefschürfende Analyse und antirassistische Entlarvungsrhetorik die »Harmonisierung der europäischen Flüchtlingspolitik« gegenüber einer breiten Öffentlichkeit als das demaskiert, was sie ist: ein Euphemismus für »Wir wollen euch hier nicht!«

Diesem politisch-inhaltlichen Pragmatismus entspricht ein expliziter Verzicht auf jede Form von radikaleren Aktionsformen oder Militanz. Die Flüchtlinge haben sich immer wieder sowohl gegen Besetzungen - etwa von Gebäuden oder Plätzen - ausgesprochen als auch gegen militante Aktionen auf den Unterstützungsdemos, bis hin zu deutlichen Distanzierungen. Dazu kommt ein öffentliches Auftreten, das völlig den »bürgerlichen Höflichkeitsregeln« entspricht. Das mag auf den ersten Blick wie eine Fußnote erscheinen, dürfte aber zur breiten Akzeptanz der Flüchtlinge bei Herrn und Frau Hamburg beigetragen haben.

Ein weiterer wesentlicher Grund für den relativen Erfolg ist die außergewöhnliche Geschlossenheit und Selbstorganisierung der Flüchtlinge. Das ist umso bemerkenswerter, als Lampedusa in Hamburg keineswegs eine homogene Gruppe ist. Ethnische und sprachliche Unterschiede bestehen genauso wie Unterschiede in den Aufenthaltstiteln oder den politischen Orientierungen. Zudem war die Gruppe nie als Gesamtgruppe zusammen untergebracht. Dass die Flüchtlinge vor diesem Hintergrund so lange relativ einheitlich aufgetreten sind, ist keineswegs selbstverständlich. Und diese organisatorische Einheitlichkeit ist im Laufe des Prozesses durchaus auch mit Zwang und Gruppendruck hergestellt worden. Flüchtlinge, die bereit waren, sich auf Einzelverfahren einzulassen, sind teilweise erheblich unter Druck gesetzt worden. Vor allem ab Oktober 2013, als der politische Druck deutlich zugenommen hatte, sind die gruppeninternen Differenzen manifest geworden - etwa zwischen denjenigen, die in Kirchengemeinden untergebracht waren, und den anderen.

Ohne die Bedeutung des linken Spektrums an UnterstützerInnen herunterspielen zu wollen, liegt der zentrale Grund für den bisherigen politischen Erfolg von Lampedusa in Hamburg allerdings beim Engagement der evangelischen Kirche.

Kirchliche Ambivalenzen

Drei Faktoren sind hier zu nennen: Zum einen waren es kirchliche AktivistInnen, die, ausgehend vom Evangelischen Kirchentag 2013, in Hamburg die unmittelbare und direkte Unterstützung der »Lampedusa-Flüchtlinge« zunächst auf die innerkirchliche Agenda gehoben haben. Auf diese Weise sind ab Ende Mai 2013 nahezu 100 Flüchtlinge in Kirchengemeinden - und das heißt im bürgerlich-liberalen Milieu - untergebracht worden.

Zum Zweiten ist es den Aktiven in den Gemeinden, insbesondere in St. Pauli, gelungen, über das unmittelbare Gemeindeumfeld hinaus ganze Stadtteile rund um die Flüchtlingsunterstützung zu organisieren, gewissermaßen die Flüchtlingssolidarität zum integralen Bestandteil von Stadtteilarbeit zu machen: von Geld- und Sachspenden über das ebenso spontane wie anhaltende Engagement vieler auch eher »unpolitischer« Menschen bis hin zu den vielfältigsten Veranstaltungen und Aktionen. Hier sind die öffentlichkeitsmächtigen Bilder produziert worden, die das positive Image von Lampedusa in Hamburg maßgeblich geprägt haben.

Dabei hinterlässt die breite Unterstützung und Sympathie, die den Flüchtlingen entgegengebracht wird, auch einen befremdlichen Eindruck. Es drängt sich schon die Frage auf, warum sich an einer Gruppe von 300 obdachlosen Lampedusa-Flüchtlingen eine so große und breite Solidarität und Hilfsbereitschaft entzünden konnte, während gleichzeitig das inzwischen jahrelange Elend obdachloser MigrantInnen aus Polen, Rumänien und Bulgarien weder in der bürgerlichen Öffentlichkeit noch in der antirassistischen Szene ähnliche Kampagnen hervorgerufen hat.

Der Verdacht liegt nahe, dass es eben leichter fällt, sich für höfliche, disziplinierte und gut organisierte junge Männer zu erwärmen, als für osteuropäische ArmutsmigrantInnen. Ohne die Solidarität diskreditieren zu wollen, wäre es wichtig, sich auch die Ambivalenzen der Unterstützungs- und Solidaritätsarbeit anzuschauen.

Zum Dritten ist über das kirchliche Basisengagement auch die Kirche als Institution zum Player in diesem Politspiel geworden. Dabei hat die Kirche die politische Forderung der Flüchtlinge nach einem Gruppenbleiberecht von Anfang an nicht unterstützt und sich im Gegenteil gegenüber dem Hamburger Senat stets relativ unpolitisch verhalten. Die Kirchenleitung hat die humanitäre Unterstützung der Flüchtlinge betont und politische Forderungen eher an Berlin und Brüssel adressiert. Dennoch ist diese Haltung zumindest bis zum Oktober 2013 faktisch eine massive politische Unterstützung von Lampedusa in Hamburg gewesen.

Zum einen, weil die basisgemeindlichen Aktivitäten damit durch die Institution legitimiert und abgesichert worden sind; zum anderen, weil sich mit der Institution Kirche eine bedeutsame bürgerlich-zivilgesellschaftliche Kraft öffentlich an die Seite der Flüchtlinge gestellt hat, die der Hamburger Senat sehr viel schwerer disziplinieren konnte als etwa die eigenen sozialdemokratischen Reihen oder die Gewerkschaften. Und schließlich: Auch wenn der Senat und einzelne Behörden sich stets geweigert haben, direkt mit den Flüchtlingen zu verhandeln, hat das kirchliche Engagement den Senat dennoch gezwungen, die Gesprächs- und Verhandlungsebene zu suchen.

Zurzeit deutet eigentlich alles darauf hin, dass der Prozess von Lampedusa in Hamburg stagniert und langsam auseinanderfällt. Die Strategie des Aussitzens, die der Senat von Anfang an verfolgt hat, fängt jetzt an zu greifen, wenn auch deutlich später, als sich das Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und Co vermutlich erhofft hatten. Es ist nicht gelungen, so viel Druck aufzubauen, dass sich der Hamburger Senat zu einer Gruppenlösung gezwungen sehen könnte. Eine positive öffentliche Meinung, eine Vielzahl von Resolutionen, Demonstrationen und sonstigen Aktionen - all das scheint am Senat abzuperlen.

The future is unwritten

Ein wesentliches Problem besteht darin, dass die zentrale politische Forderung der Flüchtlinge - ein Gruppenbleiberecht nach Paragraf 23 Aufenthaltsgesetz - von keiner nennenswerten institutionellen Kraft in Hamburg unterstützt wird. Überhaupt ist es nicht gelungen, neben der evangelischen Kirche weitere institutionelle BündnispartnerInnen zu gewinnen, die sich öffentlich positioniert hätten. Die einzige Ausnahme war die Unterstützung aus ver.di, und die hatte massive innerorganisatorische Repressalien zur Folge. (1)

Und spätestens zu dem Zeitpunkt, als deutlich geworden ist, dass die von der Hamburger Innenbehörde zugesagte »wohlwollende Einzelfallprüfung« eben keine gesichtswahrende Formel gewesen ist, hat auch die kirchliche Haltung der strikt humanitären Unterstützung ihren politisch unterstützenden Effekt verloren: In dem Moment, wo eine dezidiert politische Positionierung gegenüber dem Senat notwendig gewesen wäre, hat sich die Hamburger Kirchenleitung auf Verhandlungen zur Gestaltung der Einzelfallprüfungen eingelassen - ohne dafür von den Flüchtlingen legitimiert worden zu sein.

In einer öffentlichen Erklärung der Bischöfin Kirsten Fehrs vom 22.10.2013 forderte die Kirche einseitig die Flüchtlinge auf, sich auf Einzelfallprüfungen einzulassen. Die zwischen Kirche und Innenbehörde getroffenen Vereinbarungen seien »alternativlos«. Diese Erklärung ist vielfach als Perspektivwechsel und Entsolidarisierung wahrgenommen worden. In einem »offenen Brief an die Nordkirche und die christlichen Gemeinden« kritisieren die Flüchtlinge denn auch das unmandatierte Agieren der Kirche und sprechen von einem »Bruch mit der Solidarität.«

Zurzeit konzentrieren sich die Aktivitäten darauf, die Flüchtlinge über die Wintermonate unterzubringen, Versorgung und Kommunikationsstrukturen aufrechtzuerhalten und diejenigen, die sich jetzt in die Einzelfallprüfung begeben, möglichst gut rechtlich zu begleiten und zu unterstützen. Ob es gelingt, über diese Zeit ein Auseinanderfallen der Gruppe zu verhindern, ist unsicher. Genauso wie die Frage, ob es gelingen kann, dem ganzen Prozess eine neue politische Dynamik zu verleihen.

Oliver Hansen lebt in Hamburg und beschäftigt sich seit langem mit der Dynamik sozialer Bewegungen.

Anmerkung:

1) Vgl. Nadja Rakowitz: Vom Elend und Nutzen der Schutzbefohlenen - über Lampedusa in Hamburg und ver.di. In: express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10/2013.