Renzis neue Mitte
International In Italien droht eine dauerhafte große Koalition auf der Linie von New Labour
Von Jens Renner
Die für Italiens Eliten wichtigste Neujahrsbotschaft kam aus den USA: Sergio Marchionne, FIAT-Boss mit italienischer und kanadischer Staatsbürgerschaft, hatte sich Ende Dezember in Auburn Hills bei Detroit mal wieder durchgesetzt. Läppische 3,7 Milliarden US-Dollar zahlt sein Unternehmen für die Übernahme von 41,5 Prozent der Chrysler-Aktien. Da der Turiner Konzern bereits über 58,5 Prozent der Anteile verfügte, ist Chrysler nun voll in italienischer Hand. Als »Beweis für die Fähigkeit der italienischen Industrie« werteten italienische RegierungspolitikerInnen den Deal. Darüber hinaus erhoffen sie sich »positive Auswirkungen auch für das System Italien«. Zunächst einmal profitierten die AktionärInnen: Der Kurs der FIAT-Aktie stieg kurzfristig um 15 Prozent. Der Geschäftsklima-Index hatte sich schon vorher leicht nach oben bewegt: Italiens KapitalistInnen erwarten für 2014 einen leichten Aufwärtstrend.
Dass davon auch für die Masse der arbeitenden (bzw. erwerbslosen) Bevölkerung etwas abfällt, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Nach allen seriösen Prognosen dürfte die Erwerbslosigkeit noch einmal zunehmen. Die offizielle Quote liegt bei 12,5 Prozent. Mit 41 Prozent Jugendarbeitslosigkeit rangiert Italien europaweit auf dem drittletzten Platz, kurz vor Griechenland und Spanien. Mehr als ein Drittel der RentnerInnen muss mit weniger als 1.000 Euro im Monat auskommen; das Durchschnittseinkommen der Männer liegt bei 1.120 Euro, das der Frauen bei 793 Euro.
Offensichtlich haben die seit Jahren beschworenen Maßnahmen zur Förderung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen so gut wie nichts gebracht. Weniger als ein Fünftel der versprochenen 100.000 neuen Arbeitsplätze wurde in diesem Bereich neu geschaffen. Vollständig blamiert sind diejenigen, die seit Jahren eine Aufweichung des Kündigungsschutzes als Jobmaschine verkaufen: Unternehmen wären eher zu Neueinstellungen bereit, so ihr Argument, wenn Entlassungen erleichtert würden. Letzteres ist seit der Fornero-Reform (benannt nach Elsa Fornero, der Arbeitsministerin der überparteilichen Regierung Monti) der Fall: Bisher musste ein Unternehmen zu Unrecht (etwa aus rein ökonomischen Gründen) entlassene ArbeiterInnen wieder einstellen; nun kommt es mit Abfindungszahlungen davon.
Die arbeitsmarktpolitische Bilanz dieser »Reform« ist eindeutig negativ. Gleiches gilt für ein Dekret der amtierenden Regierung Letta, demzufolge befristete Arbeitsverträge maximal 24 Monate (statt bisher zwölf) gelten dürfen. Die Hoffnung, aus befristeten könnten massenhaft feste Jobs werden, hat sich vollständig zerschlagen. Die Unternehmen, so der Arbeitsrechtler Piergiovanni Alleva, würden das Geschenk dankend annehmen - und allenfalls die frei werdenden Stellen nach zwei Jahren neu besetzen.
Renzi Superstar
Nichtsdestotrotz besteht für den neuen Hoffnungsträger des Mitte-Links-Bündnisses, den Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi, das Hauptproblem des italienischen Arbeitsmarktes in der (mangelnden) »Freiheit, einzustellen«. GewerkschafterInnen und ArbeitsrechtlerInnen würden immer nur vom Recht auf Arbeit reden, aber nicht davon, »dass Arbeitsplätze von den Firmen geschaffen werden, und nicht von Konferenzen«. So steht es in Renzis neuem Buch, das seine Bewerbung um das Amt des Sekretärs des Partito Democratico (PD) flankierte. Bei den internen Vorwahlen (primarie) des Mitte-Links-Bündnisses 2012 noch deutlich gegen Pierluigi Bersani unterlegen, hat Renzi sein Ziel nun erreicht: 68 Prozent der knapp 2,9 Millionen PD-AnhängerInnen, die sich im Dezember vergangenen Jahres an den Vorwahlen beteiligten, stimmten für ihn.
Wer ist Matteo Renzi? 1975 geboren, in der christdemokratischen Italienischen Volkspartei (PPI) politisch sozialisiert, verdiente er sich wegen seiner rüden Forderung nach »Verschrottung« (»rottamazione«) der alten Politikerkaste den Spitznamen »il rottamatore«, der »Verschrotter«. Inzwischen gibt er sich mit Vorliebe konstruktiv - und selbstironisch: Sein Buch heißt »Oltre la rottamazione«, d.h. seine Vorschläge gehen »über die Verschrottung hinaus« und sind ganz auf Machbarkeit ausgerichtet. Zu den immer wiederkehrenden Schlüsselwörtern gehören Wandel, Innovation und vor allem Öffnung - nicht zuletzt gegenüber den WählerInnen der Rechten. Als betont konstruktiv und »unideologisch« beschreibt Renzi auch seine Kommunalpolitik in Florenz, zu dessen Bürgermeister er 2009 gewählt wurde. Maßnahmen zur Kulturförderung, zur Mülltrennung und für weniger Autoverkehr im Zentrum steht hier das klassische neoliberale Instrumentarium gegenüber: Privatisierung kommunaler Dienste, auch des Nahverkehrs, Sparpolitik, Flexibilisierung der Verwaltung auf Kosten der dort Arbeitenden.
Schon unmittelbar nach seiner Wahl zum PD-Sekretär startete Renzi den Versuch, die Regierungspolitik von außen zu steuern. Als großen Sprung nach vorn präsentierte er sein »Jobs Act« genanntes Programm zur Reformierung des Arbeitsmarktes. Es wird zunächst im Internet zur Diskussion gestellt, die grobe Richtung steht aber bereits fest: »Ziel ist es, Arbeitsplätze zu schaffen, indem die Regeln vereinfacht werden und die Investitionsbereitschaft unserer Unternehmer gefördert und ausländisches Kapital angezogen wird.« Zu diesem Zweck soll nicht nur die - in der Tat oft extrem schwerfällige - Bürokratie zurückgedrängt werden. Helfen sollen vor allem materielle Anreize durch Steuererleichterungen. Zwar wird die Summe der italienischen Privatvermögen auf 3,8 Billionen Euro geschätzt. Die EigentümerInnen würden aber nicht investieren, weil sie Angst um ihr Geld hätten und Sicherheit verlangten. Sicherheit auch vor »überzogenen« Forderungen der Beschäftigten: Hier stellt Renzi neue arbeitsvertragliche Normen in Aussicht sowie eine Neuregelung gewerkschaftlicher Betätigung in den Betrieben.
Das dürfte auf die Kombination von Zuckerbrot und Peitsche hinauslaufen - wie auch bei der versprochenen Einführung einheitlicher Leistungen für Erwerbslose. Davon würden auch Menschen profitieren, die bislang keinen Anspruch auf staatliche Zahlungen haben, verspricht Renzi; andererseits wären Erwerbslose verpflichtet, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen - und sie dürften nur höchstens ein Mal eine angebotene Stelle ablehnen. Das erinnert an die Hartz-Gesetze der rotgrünen Agenda 2010 in Deutschland, während Renzis Rhetorik zum Teil wörtlich mit den bekannten Glaubenssätzen des legendären »Blair-Schröder-Papiers« identisch ist. Einige Kernsätze zur Erinnerung: »Fragen ohne ideologische Vorbedingungen angehen« bedeutete für Blair und Schröder: »Bedingungen schaffen, in denen bestehende Unternehmen prosperieren«; »ein positives Klima für unternehmerische Selbstständigkeit und Initiative« schaffen; »die traditionellen Konflikte am Arbeitsplatz überwinden«; »das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln« - denn »allzu oft wurden Rechte höher bewertet als Pflichten« usw.
Regierbarkeit ist alles
Dieses Programm der sozialdemokratischen »neuen Mitte« wird im Juni 15 Jahre alt. Ob Renzi es umsetzen kann, hängt davon ab, ob er BündnispartnerInnen findet. Berlusconi ist grundsätzlich nicht abgeneigt, seine im Herbst wiederbelebte Partei Forza Italia (FI) in eine dauerhafte große Koalition zu führen. Aktuelle Umfragen lassen auch kaum eine Alternative zu: Danach kommt Renzis PD auf 31 Prozent und FI auf 21 Prozent. Berlusconis ehemalige AnhängerInnen um den Innenminister und Vizepremier Angelino Alfano dümpeln mit ihrer Neugründung Nuovo Centrodestra (Neue rechte Mitte) bei gut vier Prozent. Einzige parlamentarische Opposition bleibt Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento cinque stelle - M5S), die bei 22 Prozent liegt. Alle anderen, die Lega Nord ebenso wie die Reste der Linken und des bürgerlichen »dritten Pols«, würden sich nach Neuwahlen außerhalb des Parlaments wiederfinden.
Wenn es nach Renzi - und Berlusconi - geht, kann diese Umgruppierung des Parteiensystems gar nicht schnell genug kommen. Voraussetzungen dafür allerdings wären Neuwahlen, und die wiederum scheinen erst möglich, wenn das bestehende Wahlrecht geändert ist. Das zumindest haben alle relevanten politischen Kräfte bislang erklärt. Die Vorstellungen, nach welchem Verfahren künftige gewählt werden soll, gehen allerdings weit auseinander. Berlusconi will eine Orientierung am spanischen Modell, Renzi möchte das Verfahren der Bürgermeisterwahlen auf die nationale Ebene übertragen: mit einer Persönlichkeitswahl in zwei Wahlgängen. Beide Modelle begünstigen die großen Parteien, die kleineren spielen keine Rolle - wenn sie es überhaupt ins Parlament schaffen: Regierbarkeit ist alles, Opposition verzichtbar. Auch das gehört zu den »Werten«, die Berlusconi seit seinem Einstieg in die Politik vor 20 Jahren verankert hat.
Matteo Renzi
Jahrgang 1975, zunächst Christdemokrat, seit 2009 Bürgermeister von Florenz, wurde im Dezember 2013 neuer Sekretär des Partito Democratico (PD). Als Hoffnungsträger des Mitte-Links-Bündnisses könnte er Italien in eine dauerhafte große Koalition führen - mit dem unvermeidlichen Silvio Berlusconi als Partner.