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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 590 / 21.1.2014

Patt im Stellungskrieg auf dem Maidan in Kiew

International Der Ausgang der Proteste in der Ukraine bleibt ungewiss, ebenso, ob es überhaupt gelingen kann, der Oligarchie des Landes Grenzen zu setzen

Von Ute Weinmann

Der Maidan in Kiew, der zentrale Platz in der ukrainischen Hauptstadt schlechthin und Symbol für entschlossenen Protest gegen das Herrschaftsmodell von Präsident Viktor Janukowitsch, wird immer mehr zum Ort eines Stellungskriegs. Seit zwei Monaten harren GegnerInnen der ukrainischen Regierung dort aus und rüsten sich mit Stöcken und Helmen für einen Angriff der Sondereinheit Berkut. In regelmäßigen Abständen machen Gerüchte die Runde, dass den Protesten mit einem Großaufgebot von Polizei und Wasserwerfern ein Ende bereitet werden soll, aber bislang bleibt es relativ ruhig. Beide Seiten verhalten sich passiv, es ist eine Pattsituation eingetreten, Kompromisse sind nicht in Sicht.

Die Opposition hat es bislang nicht geschafft, ausreichend Druck aufzubauen, um die Regierung zu Zugeständnissen zu bewegen oder gar ihren Rücktritt zu erzwingen. Die Regierung wiederum sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass bisherige Versuche, den Dauerprotest auf dem Maidan mit Polizeigewalt zu stoppen, nicht erfolgreich waren und im Gegenteil dazu geführt haben, die Stimmung gegen das Regime von Präsident Janukowitsch weiter anzuheizen.

Proteste bis zur Präsidentschaftswahl 2015?

Vor einer gewaltsamen Auflösung schreckt die Regierung bisher noch zurück. Gleichzeitig haben sich deren Erwartungen, dass die Motivation der Protestierenden während der Weihnachts- und Neujahrsfeiertage schwindet und der Protest allmählich abflaut, nicht bestätigt. In einer Blitzaktion setzte die politische Führung allerdings zum gezielten Gegenschlag an. Mitte Januar stimmte der Großteil der ukrainischen Parlamentsabgeordneten für ein Gesetzespaket, durch das jegliche Kritik am Staatsapparat und Protestaktivitäten kriminalisiert wird. Janukowitsch setzte seine Unterschrift noch am selben Tag darunter.

Oppositionelle müssen nun mit Vergeltungsaktionen rechnen. Denkbar ist aber auch eine Eskalation der Verhältnisse, denn eine Verhandlungsbasis mit der jetzigen Führung scheint nunmehr gänzlich ausgeschlossen. Oppositionelle Abgeordnete der Partei der in Haft befindlichen ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko Batkiwschtschina (»Vaterland«) ließen zuvor verlauten, dass der Protest auf dem Maidan wenn nötig bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015 andauern wird.

In Kiew hat sich in den vergangenen Wochen eine gewisse Routine eingespielt. Aktive AutofahrerInnen vom sogenannten Automaidan blockieren nach Möglichkeit die Residenzen von BeamtInnen, Polizeiangehörigen und RichterInnen, die sich durch hartes Vorgehen gegen Demonstrierende hervorgetan haben. Die Polizei reagiert mit verstärkten Straßenkontrollen gegenüber AutofahrerInnen mit oppositioneller Symbolik am Wagen und verhängt gegen sie Ordnungsstrafen, auch wenn kein Vergehen vorliegt. Ein Klassiker im Umgang des in so mancher Hinsicht feudal geprägten Staates mit seinen BürgerInnen.

Die Einhaltung von Recht und Gesetz gehört zu den zentralen Forderungen der Protestierenden, wenngleich der eigentliche Auslöser der Proteste im November der Rückzieher der ukrainischen Regierung vor der geplanten Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union war. Von einer Annäherung an die EU versprechen sich die Protestierenden positive Impulse zugunsten einer rechtsstaatlichen Entwicklung. Oder besser gesagt: Jede Maßnahme scheint gerechtfertigt, die das Versprechen birgt, den oligarchischen Herrschaftsverhältnissen in der Ukraine Grenzen zu setzen, und Wege aus der seit 2008 andauernden ökonomischen Krise aufzeigt.

In den nicht abflauenden Protesten spielt allerdings die Frage nach den politischen und sozioökonomischen Folgen eines Assoziierungsabkommens mit der EU praktisch keine Rolle. Dabei könnte beispielsweise die geplante Schaffung einer Freihandelszone zwischen EU und der Ukraine innerhalb weniger Monate zu einer gravierenden Verschlechterung der ukrainischen Außenhandelsbilanz führen, was die Währungsreserven schmelzen ließ und sich zweifellos auf die ohnehin instabilen Lebensbedingungen vieler UkrainerInnen auswirken würde.

Ungeklärtes Verhältnis zum großen Nachbarn Russland

Herrscht in Richtung EU bezeichnendes Schweigen, spielt das benachbarte Russland im Oppositionsdiskurs eine umso größere Rolle und gilt als Schreckensszenario schlechthin. Eine eingehende Analyse der Abhängigkeitsbeziehungen zu Russland fehlt allerdings, ebenso ist völlig unklar, was die Ukraine der Abhängigkeit von Russland entgegenzusetzen hätte außer einer Annäherung an die EU. Der russische Präsident Wladimir Putin honorierte jedenfalls die Absage der ukrainischen Führung an das geplante Abkommen mit der EU sofort mit niedriger angesetzten Gaspreisen, als nächster Punkt steht die Umsetzung einer Zollunion auf der Tagesordnung.

Russland ist alleine schon als wichtigster Gaslieferant ein wichtiger Akteur in diesem Spiel. Zudem ist der Zugang zum russischen Arbeitsmarkt gerade für die Bevölkerung in der Westukraine von großer Bedeutung. Allerdings verstärkt Russland in dieser Frage den Druck, denn seit dem 1. Januar 2014 gelten neue Aufenthaltsbestimmungen für Staatsangehörige ehemaliger Sowjetrepubliken, die sich ohne Visum in Russland bis zu 90 Tage aufhalten können. Bislang war es möglich, Russland nach 90 Tagen Aufenthalt zu verlassen und anschließend wieder einzureisen. Ab sofort ist die Aufenthaltsdauer ohne Visum oder einen anderen Status auf 90 Tage im Halbjahr begrenzt. Allerdings stellt Russland für ukrainische Staatsangehörige liberalere Regelungen in Aussicht.

Unter diesen Bedingungen entsteht für OppositionspolitikerInnen ein weites Agitationsfeld, in dem sich leicht an vorhandene Ängste wie beispielsweise vor einer Moskauer Vorherrschaft appellieren lässt. Antirussische Rhetorik jedenfalls birgt wesentlich mehr Mobilisierungspotenzial als wage Zukunftsversprechen der EU.

Wie auch das benachbarte Weißrussland befindet sich die Ukraine zwischen der EU und Russland in einer Art Pufferzone, was durchaus gewisse Vorteile aufweist. Das zeigt das Beispiel Weißrusslands deutlich. Dessen Präsident Alexander Lukaschenko vermochte es in der Vergangenheit immer wieder, durch die Andeutung politischer und ökonomischer Annäherungen an die eine oder andere Seite aus dieser Lage Profit zu ziehen. Russlands Zugeständnisse an Weißrussland in Form von Krediten und günstigen Gastarifen steigen in dem Maße an, wie die Befürchtung Nahrung erhält, Belarus könnte an den Angeboten der EU verstärkt Gefallen finden.

Allerdings sitzt Janukowitsch längst nicht so fest im Sattel wie sein weißrussischer Amtskollege Lukaschenko. Dabei hat er weniger vom Druck der Protestbewegung auf dem Maidan zu befürchten, als von der Spaltung der Eliten. Janukowitsch hat sich mit seiner Bereicherungspolitik, die seiner Familie die Kontrolle über weite Teile der ukrainischen Wirtschaft bescherte, nicht nur Freunde gemacht. Mithilfe seines Sohnes Alexander und der Gewalt über Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte ließen sich ungewollte Verkäufe zahlreicher Unternehmen an der Familie nahestehende Geschäftspartner bewerkstelligen, die ihrerseits mit Posten in der Regierung versorgt wurden. Von etwa neun Clans blieben nach Janukowitschs »Umverteilungsaktion« nur zwei übrig.

Rinat Achmetow, der reichste Oligarch der Ukraine, konnte seit dem Amtsantritt von Jankukowitsch sein Vermögen aus einem Konglomerat von in der Schwerindustrie angesiedelten Großunternehmen in etwa verdoppeln. Dennoch schlug seine Holding System Capital Management (SCM), für die der Export von Stahl in die EU einen bedeutenden Geschäftsfaktor darstellt, eher versöhnliche Töne hinsichtlich einer Kooperation mit der EU an - unter den Bedingungen einer »starken, unabhängigen und vereinten Ukraine«.

Die Linke zeigt auf dem Maidan kaum Präsenz

Während das Staatsfernsehen die Proteste geflissentlich ignoriert oder diskreditiert, berichten die Sender der Oligarchen im Großen und Ganzen positiv über die Ereignisse auf dem Maidan oder haben sich gar offen auf die Seite der Opposition geschlagen. Das betrifft sowohl den Kanal Ukraina von Achmetow, als auch Inter des Multimillionärs Dmitrij Firtasch, dessen Vermögen auf Gasimporten und der Herstellung von Chemiedünger basiert. Den abtrünnigen oder zumindest nicht mehr ganz loyalen Oligarchen dürfte es jedoch weniger um die viel beschworenen »europäischen Werte« wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehen, als vielmehr darum, ihre Besitztümer vor einer Übernahme durch Jakunowitschs Familienclan zu schützen. Dabei ist die Orientierung in Richtung EU für diejenigen, die auf gute Geschäftsbeziehungen mit Russland angewiesen sind, nicht unproblematisch.

Unkompliziert und friedlich geht es indes trotz zeitweiliger Festivalstimmung auch auf dem Maidan nicht zu. Immer wieder kommt es zu Übergriffen auf JournalistInnen, deren Berichte nicht oppositionskonform ausfallen, Obdachlose und jene, die mit konkreten sozialen Forderungen oder feministischer Kritik antreten. Anfang Dezember wurden linke GewerkschafterInnen von rechten Schlägern tätlich angegriffen.

Rechtsradikale von der Partei Swoboda sind bei den Protesten für Sicherheitsfragen verantwortlich und nutzen ihre Position weidlich aus. Auf dem Maidan ist die Rechte deutlich im Vorteil. Sie profitierte in den vergangenen 20 Jahren nicht nur von der in Schule und Medien vermittelten nationalistisch geprägten Geschichtsschreibung, sondern verfügt über erhebliche Finanzmittel zur Mobilisierung ihrer Anhänger. Die Linke befindet sich in der Defensive und zeigt auf dem Maidan kaum Präsenz, auch die Kommunistische Partei hält sich fast gänzlich zurück.

Doch auch selbst wenn sie auf bessere Ressourcen zurückgreifen könnte, dürfte es der Linken schwerfallen, soziale Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Aus der oppositionellen Führungsriege zeigt niemand Interesse daran, das soziale und ökonomische Desaster in der Ukraine jenseits der Kritik an Janukowitschs Bereicherungspolitik und Korruption einer tief gehenden Analyse zu unterziehen.

Im Übrigen kam es an anderer Stelle doch noch zu heftigen Zusammenstößen mit den gefürchteten Berkut-Angehörigen, nämlich am 10. Januar vor einem Kiewer Gericht. An diesem Tag ging mit einem Schuldspruch der Prozess gegen drei ultranationalistische Angeklagte zu Ende, die vor einigen Jahren geplant haben sollen, ein Lenin-Denkmal zu sprengen. Bei dem brutalen Vorgehen von Berkut gegen Oppositionelle wurde der ehemalige Innenminister, Vertraute der Ex-Premierministerin Julia Timoschenko und Mitinitiator der »orangenen Revolution« 2004, Jurij Lutsenko krankenhausreif geschlagen.

Ute Weinmann ist freie Journalistin und lebt in Moskau. Der Artikel wurde vor der aktuellen Zuspitzung der Auseinandersetzungen verfasst.