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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 591 / 18.2.2014

Der Geschmack der Gentrifizierung

Kultur Wie Kichererbsenbällchen und Mangosoße unsere Städte verändern

Von Miriam Stock

Mitten in Friedrichshain findet sich neben Cafés, Pizzerien und asiatischen Restaurants seit über 13 Jahren der kleine Imbiss Sanabel. Das Interieur des Lokals leuchtet orange, und die handgeschriebene schwarz-weiße Speisetafel bewirbt die orientalischen Spezialitäten des Hauses. Ganz oben stehen Falafel, frittierte Kichererbsenbällchen. Von dem Laden aus blickt man auf den Boxhagener Platz, auf den ein paar junge Eltern mit ihren Kindern spielen.

Der Besitzer des Sanabels, ein Mann mit palästinensischen Wurzeln, der Ende der 1980er Jahre aus dem Libanon nach Berlin flüchtete, kann sich noch genau an die Zeit erinnern, als er den Laden in Friedrichshain eröffnete: »Als ich 2000 mit meinem Lokal hier herkam, waren nicht mal zehn Prozent der Häuser saniert. Und als Gastronomie war ich hier drei oder vier Jahre praktisch allein. Die anderen sind alle zu mir zum Essen gekommen, als sie ihre Lokale gebaut haben.« Das Publikum, so meinte er, habe sich seitdem stark verändert, denn anfangs wären es noch sehr viel junge Leute gewesen, meist Studierende, Leute ohne viel Geld. Fünf, sechs Jahre später hätte sich dann die Bevölkerungsstruktur geändert.

Der kleine Imbiss Sanabel steht symptomatisch für ein bisher weitgehend unbeachtetes Phänomen der Berliner Gentrifizierung - die arabischen Imbisse, die die Falafel auf den Berliner Markt gebracht haben und neben der Falafel unter anderem Schawarma (die arabische Variante des Döners) und Halloumi (ein frittierter Ziegenkäse) servieren.

Unbekanntes Phänomen der Berliner Gentrifizierung

Entgegen der weitverbreiteten Meinung haben sich die arabischstämmigen BesitzerInnen dieser Imbisse in Berlin nie an ein migrantisches Publikum gerichtet, sondern haben von Beginn an die Aufwertungsprozesse aktiv begleitet, angefangen in den 1980er Jahren in Schöneberg und Kreuzberg und nach dem Fall der Mauer auch in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain.

Insgesamt finden sich im Jahr 2010 fast 100 solcher Imbisse in Berlins Innenstadtbereich, davon allein 17 im Prenzlauer Berg, einem Bezirk, der eher für seine neue deutsche Mittelschichtstruktur bekannt ist, als für seine arabische oder türkische migrantische Bewohnerschaft. Zum Vergleich: Im damals noch vor allem von der Unterschicht geprägten Neukölln mit seinen knapp 8.000 Staatsangehörigen aus arabischen Ländern gibt es gerade mal elf solcher Falafelimbisse. Die dortigen Geschäftsstraßen Sonnenallee oder Hermannstraße sind stattdessen mit Hähnchenrestaurants oder Dönerimbissen übersät.

Die arabischen Imbisse sind damit inhärenter Bestandteil der neubürgerlichen Geschmackslandschaften Berlins. Das merkt man auch am Angebot, das sich an die Berliner neubürgerlichen Milieus angepasst hat. So inszenieren die Imbisse ihr Angebot als überwiegend vegetarisch oder gar vegan. Die üppigen Sandwiches sind mit Salaten und einem Mix aus Joghurt-, Mango- und scharfer Soße gefüllt und kosten um die drei Euro.

Sie haben wenig mit dem Geschmack eines sparsam gefüllten Falafelsandwiches aus Beirut gemein, wo das Sandwich preislich gerade mal die Hälfte eines Hähnchenschawarmas ausmacht, wo es Beilagen wie die Mangosoße gar nicht gibt, wo die frittierten Kichererbsenbällchen eher als fetthaltig, denn gesund gelten, weswegen auch mehr Wert auf frisches Frittieröl gelegt wird. In Beirut und anderswo in der Region ist die Falafel traditionell ein Essen unterer sozialer Schichten.

Auch die ImbissbesitzerInnen in Berlin bestätigen diese Affinität zur Gentrifizierung und beschreiben ihre KundInnen nicht nur als 90 bis 99 Prozent deutsch oder europäisch und jung, sondern auch als gebildet, als Alternative oder KünstlerInnen. Diese Menschen hätten zwar nicht viel Geld, dafür wären sie kulturell beflissen. Das wären eben nicht diese Leute von den Dönerimbissen und der Currywurst, so sagte der Besitzer des Imbisses Zweistrom 2010, sondern Menschen mit einem »distinguierten Geschmack«.

Der Besitzer des Zweistroms zählt selbst zu dieser Gruppe. Er ist ein Deutsch-Iraker, der in Bagdad Kunst studiert hat und nun im Prenzlauer Berg gelandet ist. Seine künstlerische Ader setzte er bei der Einrichtung des Zweistroms ein. Er meinte von sich selbst, dass er ein Auge dafür habe, sei es durch sein Studium, durch sein Kunstinteresse, sei es Begabung.

Orientalismus gibt Gefühl von Authentizität

Die Innenarchitektur seines Ladens entwarf er mithilfe eines Grafikprogramms. Als Dekoration dienen Schwarz-Weiß-Porträts von Personen aus irakischen Altstädten und Dörfern, die er aus einem hochwertigen Bildband über den Irak herauskopierte und gerahmt an Nylonschnüren befestigte. Für sein Logo wählte er eine Darstellung des Marduk, dem Stadtgott und späteren Reichsgott Babylons, der thematisch zu dem Namen seines Imbisses Zweistrom passte.

In seinen kleinunternehmerischen Praktiken könnte er als Paradebeispiel für die so hoch gelobten gentrifizierungsaffinen kreativen Milieus gelten, die im Spätkapitalismus ins Zentrum des urbanen ökonomischen Mehrwerts gerückt sind, wie sich aus der massiven Zahl an Publikationen und Stadtbroschüren zur »Creative City« schließen lässt. Sein unternehmerischer Beitrag wird allerdings nicht als solcher wahrgenommen, weil er - wie andere arabische ImbissbesitzerInnen auch - zuallererst als Araber gesehen wird und seine Tätigkeiten damit eher als eine ihm einverleibte kulturelle Tradition, denn als kreativer Akt wahrgenommen werden. So erzählte der Zweistrombesitzer auch, wie er einmal zusammenzucken musste, als er hörte, wie eine Kundin ihn einfach nur als den »arabischen Falafelmann« bezeichnete. Früher habe er, so meinte er schmunzelnd, noch Interviews als Künstler gegeben.

Paradoxerweise ist es gerade diese Orientalisierung, die den Erfolg der Imbisse ausmacht. Denn durch ihre arabische Inszenierung generieren sie bei ihrem KonsumentInnen das Gefühl von Authentizität. Dies gilt zum Beispiel für den 33-jährigen Florian, einem Literaturwissenschaftler, der in Kreuzberg lebt, und liebend gern Falafel essen geht. Sein präferiertes Lokal ist der Imbiss Marousch in Kreuzberg. Die Wände im Marousch sind dunkel und verschlissen, der obere Sitzraum ist mit gedimmten Lampen ausgestattet, im Eingangsbereich hängen sepiafarbene Fotos von Beirut vor 100 Jahren und aus dem Lautsprecher tönt die berühmte libanesische Sängerin Fairouz.

Florian geht nicht nur deshalb gerne in den Imbiss Maroush, weil er seinen Erwartungen an eine orientalische Kultur entspricht. Der Imbiss entspricht auch seinem Selbstbild in Berlin: »Ich mag eben nicht diese Gentrifizierungskneipen. Mit diesen hippen Prenzlauer-Berg-Restaurants kann ich nicht viel anfangen. Dann eher bodenständig, wie es so schön heißt, und eher traditionell. Auch bei arabischen Imbissen mag ich halt diejenigen, bei denen das Flair traditionell ist. So wie hier beim Marousch.«

Dönerimbisse sehen alle gleich aus

Florian sieht sich damit selbst in seinen Konsumpraktiken als Kontrast zur Gentrifizierung. Was er allerdings nicht wahrnimmt, ist, dass er mit seinen Vorlieben für Bodenständiges und seinem Orientalismus im Kopf die arabischen ImbissbesitzerInnen in ihren Darstellungsmöglichkeiten beschränkt. So meinte er auch, dass ihm das blockschriftartige Logo des Zweistrom-Imbisses zu modern und zu chic sei. Dass der Zweistrom-Imbiss Alkohol anbieten würde, wäre für ihn ein weiteres Zeichen dafür, dass dieser Imbiss sich an den Prenzlauer Berg angepasst hätte. Er hingegen fände die Imbisse in Kreuzberg wie den Stadtteil überhaupt authentischer.

Zudem hat Florian nicht im Blick, dass er in seinen Distinktionsbemühungen selbst seine Mittelschichtzugehörigkeit reproduziert und fester Bestandteil der Gentrifizierung ist. Nicht umsonst sind die Bars, Kneipen und Cafés in Kreuzberg und anderswo übersät mit »authentifizierten« Accessoires wie Retrotapeten, dunkeln Wandfarben und Retromöbeln. Was dort hingegen mehr und mehr verschwindet, ist die Infrastruktur der Unterschicht. Auch für die Falafelimbisse gibt es hier ein Pendant, die Dönerimbisse.

Florian würde nie in Dönerimbisse essen gehen, nicht nur weil das dortige auf Fleisch stehende Publikum abstoßend auf ihn wirkt, sondern auch weil er die an McDonald's angelehnten großen Leuchtreklametafeln, die das Speiseangebot bewerben, geschmacklos findet. Dass diese mehr und mehr nun auch in Neukölln zurückgedrängt werden, während sich seine »authentisch« anmutenden Gastro-Betriebe ausbreiteten, störte ihn nicht. Denn die Dönerimbisse würden ja alle gleich aussehen.

Miriam Stock ist Stadt- und Kulturgeografin. Ihr Buch »Der Geschmack der Gentrifizierung« ist 2013 bei Transcript erschienen.