Aufgeblättert
Biosprit & Klimawandel
Bernhard Knierim, der selbst an der Biosprit-Entwicklung beteiligt war, hat die Fronten gewechselt: Weder die politisch Verantwortlichen für den Biosprit- und Elektroauto-Hype noch die an ihrer Entwicklung arbeitenden Konzerne und TechnikerInnen hinterfragen deren ökologische Sinnhaftigkeit. PolitikerInnen sind meist brave DienerInnen der Konzernlobbys, die unter dem grünen Deckmäntelchen primär an der Schaffung profitabler Märkte interessiert sind, auch wenn diese zu den bekannten - und titelgebenden - Folgen führen, nämlich »Essen im Tank«. Knierim zeigt die politischen und ökonomischen Hintergründe der Fehlentwicklung auf, um dann die Fallstricke der neuen Verkehrstechnologien präzise zu analysieren. Das dritte Hauptkapitel ist der Beeinflussung der EntscheidungsträgerInnen durch Kapitallobbys gewidmet, bevor der Autor schließlich Strategien einer »Mobilität der Zukunft« vorschlägt. Immer wieder werden die unterschiedlichen Fortbewegungsmittel im öffentlichen und privaten Verkehr verglichen und ihre ökologischen Folgen statistisch belegt. Unterschiedliche Kraftstoff- und Antriebsarten werden ebenso kritisch vorgestellt wie Möglichkeiten selbst im Kapitalismus wirksamer Umorientierungen: Stadtplanung weg vom motorisierten Individualverkehr, Transport von der Straße auf die Schiene, weg von Kurz- und Mittelstreckenflügen und hin bzw. zurück zum regionalen öffentlichen Nahverkehr. Hier kann - ausnahmsweise - die Schweiz als Vorbild dienen.
Martin Birkner
Bernhard Knierim: Essen im Tank. Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten. Promedia Verlag, Wien 2013. 240 Seiten, 17,90 EUR.
Die grüne Matrix
Im Zuge der Finanzkrise werden Agrarflächen für Investoren interessant; die Landwirtschaft gerät wieder zunehmend ins Blickfeld der Politik von Weltbank und Industrieländern. Peter Clausing sieht daher Naturschutz und Welternährung »am Scheideweg«. Das Bindeglied zwischen den beiden Themen ist die umkämpfte Ressource Land. Neben dem mittlerweile recht breit diskutierten Land Grabbing sieht Clausing »Land Sparing« als zentrale Gefahr für die ländliche Bevölkerung vor allem im globalen Süden: Als vermeintliche Lösung für die Flächenkonkurrenz zwischen Naturschutz und Landwirtschaft propagieren u.a. große Naturschutzorganisationen wie der WWF eine verstärkte Urbanisierung, kombiniert mit Produktivitätssteigerungen durch Intensivlandwirtschaft und »grüne Gentechnik«. Dadurch soll Land für Naturschutz frei werden. Clausing wendet sich gegen die »Vision von menschenleeren Nationalparks inmitten von ebenfalls menschenleeren Agrarwüsten«. Ihr stellt er das Konzept des »Land Sharing« gegenüber: Bäuerlich bewirtschaftete Agrarflächen ergeben zusammen mit darin eingebetteten naturbelassenen Flächen eine »grüne Matrix«. Landwirtschaft und Naturschutz werden in Einklang gebracht, »ohne dass Menschen vertrieben oder zur Abwanderung in die Städte gezwungen werden«. Ergänzt durch Fallbeispiele und Ausführungen zu den Chancen agrarökologischer Ansätze liefert das Buch vielfältige Einblicke in dieses komplexe Themenfeld.
Sarah Lempp
Peter Clausing: Die grüne Matrix. Naturschutz und Welternährung am Scheideweg. Unrast Verlag, Münster 2013. 155 Seiten, 13 EUR.
Albert Camus
Zum 100. Geburtstag von Albert Camus (1913-1960) ist sich das bürgerliche Feuilleton einig: Camus habe Anfang der 1950er Jahre Recht gehabt in seiner Auseinandersetzung mit Sartre, die zum Bruch nicht nur der beiden Protagonisten des Existenzialismus führte, sondern Camus auch vom Rest der linken Intellektuellen in Paris dauerhaft isolierte. Dass Camus als Verteidiger der »Freiheit« gegen den sowjetischen »Totalitarismus« (und seine linksintellektuellen taktischen Verbündeten) auch historisch Recht behalten habe, findet auch Iris Radisch, ohne sich weiter mit Argumenten aufzuhalten. Ansonsten ist ihre Camus-Biographie »Das Ideal der Einfachheit« weit davon entfernt, den großen Schriftsteller und Nobelpreisträger von 1957 zu heroisieren. So diskutiert sie die Widersprüche der von Camus propagierten »neuen Mittelmeerkultur« sowie seines Ideals der Einfachheit. Sie verschweigt auch nicht Camus' Satz »Außer in der Liebe ist die Frau langweilig« und zeigt darüber hinaus, mit welcher Rücksichtslosigkeit er Frauen benutzte - und nur eine einzige respektierte: seine Mutter! Im damals zu Frankreich gehörenden Algerien geboren, lehnte er die Forderungen der algerischen Unabhängigkeitsbewegung ab. Auch seine Werke beurteilt die Biografin differenziert. Neben den bekannten Meisterwerken »Der Fremde« und »Die Pest« ist es vor allem das erst 1994 publizierte autobiografische Romanfragment »Der erste Mensch«, das sie zu Recht hervorhebt.
Daniel Ernst
Iris Radisch: Camus. Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 351 Seiten, 19,90 EUR.
Fleischhandelsmafia
Dass die Fleischindustrie mafiös organisiert ist und die ArbeiterInnen in den Schlachthöfen und Verarbeitungsfabriken brutal ausgebeutet werden, war in der Presse durchaus schon zu lesen. Ohne irgendeine Konsequenz. Wie straff organisiert in der Fleischindustrie das Profitinteresse gesichert und mit welchen kriminellen Mitteln das Terrain verteidigt wird, schildert Wolfgang Schorlau in der von ihm bekannten spannenden Weise. Wie schon in seinen früheren Krimis baut er auch diesen um ein genau recherchiertes politisches Thema herum auf. Wieder lässt er seinen Privatdetektiv Georg Dengler ermitteln, der dieses Mal aus Angst um seinen Sohn zur Hochform aufläuft. Eine Gruppe junger TierschützerInnen gerät bei dem Versuch, die Zustände bei der Massenputenhaltung zu filmen, in einen Hinterhalt bezahlter Killer und wird auf dem Hof festgesetzt. Verwirrt versuchen sie zu verstehen, was passiert ist. Solche Aktionen haben sie schon öfter durchgeführt. Wieso wurden sie diesmal erwartet, und warum werden sie auf dem Hof festgehalten? Währenddessen findet Dengler auf dem Computer seines Sohnes Ausarbeitungen über Massentierhaltung. Sie zeigen die Ernsthaftigkeit, mit der sich die jungen Leute nicht nur für das Tierrecht, sondern auch für die ausgebeuteten Menschen einsetzen. Das Ende hat etwas von einem schlechten Actionfilm und die am Rande laufende Liebesgeschichte wirkt ein bisschen aufgesetzt, aber das tut weder dem Inhalt noch der Spannung Abbruch.
Gabi Bauer
Wolfgang Schorlau: Am zwölften Tag. Denglers siebter Fall. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2013. 340 Seiten, 9,99 EUR.