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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 591 / 18.2.2014

Kalter Putsch der Gelbhemden

International In Thailand droht die Demokratie abgeschaltet zu werden

Von Wolfram Schaffar

»Shutdown Bangkok - Restart Thailand« ist das Motto des vorerst letzten Höhepunktes der Protestkampagne, die Suthep Taungsuban, Vorsitzender der sogenannten Demokratischen Partei, seit November letzten Jahres gegen die von Yingluck Shinawatra geführte Regierung inszenierte. Wiedereinmal stehen sich Gelbhemden und Rothemden in Thailand gegenüber - zwei unversöhnliche politische Lager, deren Proteste Thailand seit 2006 immer wieder an den Rand eines Bürgerkriegs brachten. (Vgl. ak 550)

Gewöhnlich werden die Roten als arme Bevölkerungsschichten aus dem Norden und Nordosten des Landes charakterisiert, die der Phue-Thai-Partei bei allen zurückliegenden Wahlen zu einer komfortablen Parlamentsmehrheit verholfen haben und auch 2011 Yingluck ins Amt brachten. Die Gelben werden im Parlament von der sogenannten Demokratischen Partei repräsentiert, die ihre Hochburgen im Süden des Landes hält und zu deren charismatischem Führer sich der ehemalige Parteisekretär Suthep nun entwickelt hat. Sie stützen sich auf die Bangkoker Mittelschicht und die royalistisch-konservativen Eliten.

Nicht nur die lange Zeit, die die jüngsten gelben Proteste andauern, sondern auch die bereitgestellte Logistik ist ein Zeichen für die potenten Kreise, die hinter der Kampagne stehen: An bis zu sieben zentralen Kreuzungen der Stadt errichteten die ProtestlerInnen Straßenblockaden, um den Verkehr lahmzulegen. Auf ausladenden Veranstaltungsbühnen gaben sich die politischen AnführerInnen, Popstars und TV-Sternchen das Mikrofon in die Hand. Die einpeitschenden Reden und das Unterhaltungsprogramm wurden auf riesigen LED-Bildschirmen und über den eigenen TV-Sender Bluesky-TV landesweit übertragen. So sollte der Regierung der finale Stoß versetzt und Yingluck gezwungen werden, die zentrale Forderung zu erfüllen: Sie, die 2011 mit großer Mehrheit gewählt worden war, sollte zurücktreten und einem nicht gewählten »Reformrat« die Macht übergeben.

Yingluck hat seit Beginn der Proteste weitreichende Zugeständnisse gemacht, die sie zum Teil machtlos und handlungsunfähig erscheinen ließen. Zunächst musste sie zusehen, wie alle umstrittenen Gesetzesvorlagen, die der Auslöser für die Proteste im November 2013 waren, gestoppt wurden, etwa ein Amnestiegesetz, das all denen Straffreiheit zusicherte, die seit 2006 aufgrund politischer Vergehen angeklagt worden waren. Ebenso das Vorhaben, die Verfassung zu reformieren, sowie ambitionierte Infrastruktur- und Wirtschaftsmaßnahmen.

Yingluck hat die Opposition auf der Straße gewähren lassen, hat sich in die Provinz im Nordosten zurückgezogen, als im Verlauf des Dezembers 2013 ein um's andere Regierungsgebäude besetzt oder durch Sabotage der Strom- und Wasserversorgung arbeitsunfähig gemacht wurde. Die Politik der Deeskalation hielt sie auch dann noch aufrecht, als mit der Shut-Down-Kampagne die gesamte Hauptstadt gelähmt werden sollte: Es gab keinen Räumungsbefehl der Barrikaden, obwohl diese zeitweise nur von sehr wenigen ProtestlerInnen bewacht wurden. Der martialischen Rhetorik und den immer neuen Ultimaten und Ankündigungen des endgültigen Siegs begegnete sie mit demonstrativer Gelassenheit.

An einem Punkt blieb Yingluck jedoch kompromisslos: Sie hat das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angesetzt, an denen sie auch dann noch festhielt, als die Opposition sich mit allen Mitteln dagegen wehrte. Mittels ihres exklusiven Zugang zur Wahlkommission und zu den hohen Gerichten versuchten die Gelben, mit haarspalterischen Auslegungen der Verfassung und der Wahlgesetze die Wahl zu verhindern. Yingluck blieb hart und konnte am 2. Februar 2014 einen wichtigen symbolischen Sieg erringen.

Damit ist es ihr gelungen, dass ihre Regierung und ihr Name mit dem demokratischen Grundprinzip schlechthin identifiziert werden. In der gegenwärtigen Konstellation steht sie für Wahlen und für das Prinzip, dass die Stimme jedes Bürgers und jeder Bürgerin gleich viel zählt. Die Opposition befindet sich dagegen mit ihren wolkigen Forderungen nach einem nicht gewählten Reformkomitee zunehmend in der Defensive. Berufsgruppen sollen die Mitglieder des Komitees ernennen, aber es liegen weder zu diesem korporatistischen Verteilungsschlüssel noch zum Mandat dieses Rats konkrete Pläne vor.

Als darüber hinaus noch Bilder eines wütenden gelben Mobs um die Welt gingen, der mit Gewalt die Registrierung von KandidatInnen verhindern wollte und am Wahlsonntag ihre MitbürgerInnen von der Wahl abhielt, ist die Stimmung gekippt. Seither schmilzt die Opposition auf der Straße zusammen, wird aber dadurch nicht weniger bedrohlich. Die zentrale Botschaft der OppositionsführerInnen, dass Yingluck nur aufgrund von Korruption und Stimmenkauf im Amt ist und die WählerInnen massenweise betrügt, ist vor dem Hintergrund dieser Bilder zwar nicht mehr vermittelbar. Im Inland führen die Gelbhemden ihren Feldzug jedoch unvermindert weiter.

Die Shinawatra-Familie wird als Verkörperung der Korruption dargestellt, und Korruption wird dabei immer weiter gefasst. Nicht nur persönliche Bereicherung oder Vorteilsnahme, sondern auch alle politischen Initiativen, die die Regierung ergriffen hatte - so zum Beispiel der Plan, ReisbäuerInnen zu subventionieren, oder ein Netz von Hochgeschwindigkeitszügen zwischen China und Malaysia zu bauen. Die Vorhaben hätten über eine Neuverschuldung finanziert werden sollen, und diese Abkehr vom bisherigen Austeritätskurs wertet die Opposition als Populismus, versteckten Stimmenkauf und Landesverrat.

Kritik aus dem Ausland wird zurückgewiesen

Die AnhängerInnen der Regierung werden als dumme HinterwäldlerInnen diffamiert, und es gibt Anzeichen von zunehmender Gewalt: Mobile Einheiten der Schutztruppen, die zur Bewachung der Straßenbarrikaden aufgestellt wurden, und radikale Studierendengruppen sollen von nun an vor den Privathäusern bekannter Regierungsmitglieder auffahren und sie einschüchtern. Immer häufiger werden Übergriffe auf vermeintliche oder tatsächliche AnhängerInnen der Rothemden berichtet. Wer von diesen Schutztruppen aufgegriffen wird und nicht durch einen prominenten Namen geschützt ist, wird traktiert und gedemütigt. Es gibt Berichte von schweren Misshandlungen. Die zunehmende Kritik aus dem Ausland wird mit dem Argument zurückgewiesen, westliche ReporterInnen verstünden die Besonderheiten Thailands nicht und würden ihre eurozentristischen, westlichen Vorstellungen von Demokratie vorschnell auf Thailand übertragen.

So hat sich die Opposition radikalisiert und gegen jedwede Kritik immunisiert. Die Forderung »Erst Reformen, dann Wahlen«, auf die sie ihre Kampagne zugespitzt hat, ist jedoch nicht verhandelbar, da diese eine zeitweise Entmündigung der WählerInnen bedeuten würde. Sie entzieht der Idee eines politisch aushandelbaren Interessenausgleichs den Boden. Sie unterminiert die Bedingung der Möglichkeit eines demokratischen Kompromisses.

Doch wer sind diese DemonstrantInnen, die zeitweise zu Hunderttausenden auf den Straßen Bangkok, demonstriert haben? Es ist leichter zu sagen, was die Bewegung(en) und politischen Lager nicht sind: Es handelt sich nicht um einen einfachen Klassenkonflikt. Umfragen haben ergeben, dass sich die Zusammensetzung beider Lager nicht allzu stark voneinander unterscheidet. Die Gelbhemden gehören zur Mittelschicht in Bangkok. Doch man sieht auch viele Arme unter den ProtestlerInnen, zum Beispiel die, die als OrdnerInnen arbeiten, und die, die in Zelten auf dem Pflaster übernachten.

Weder Klassen- noch ethnischer Konflikt

Die Rothemden rekrutieren sich ebenfalls aus Mittelschichten - eher untere Mittelschichten vor allen aus den Provinzen im Norden und Nordosten. Eine Untersuchung charakterisiert sie als politisierte LandwirtInnen, aber es handelt sich eben nicht um massenhaft organisierte LandarbeiterInnen oder Landlose, wie man sie aus den Demonstrationen des Forums der Armen im Thailand der 1990er Jahre kennt.?Der Konflikt ist auch kein regionaler oder ethnischer Konflikt. Die Rothemden aus dem Norden und dem Nordosten definieren sich nicht über eine regionale Identität. Im Zuge der anhaltenden Blockade Bangkoks hört man immer mal wieder, dass der Norden und Nordosten sich abspalten möchten. Hier handelt es sich aber eher um eine Drohgebärde gegen die ProtestlerInnen in der Hauptstadt - es ist kein Ausdruck ethnischer sezessionistischer, Tendenzen.

Die Bewegungen sind schwer zu fassen, weil sie sich im Laufe des Konflikts seit 2006 stark gewandelt haben - zum Teil haben sie sich in ihr Gegenteil verkehrt. Die Gelbhemden begannen 2006 als breite Bewegung gegen den damaligen Premier Thaksin Shinawatra. Dieser hatte durch seine zweigleisige Wirtschaftspolitik - neoliberale Reformen gekoppelt mit Sozialprogrammen für Arme - zwar enorme Erfolge erzielt. Gerade wegen seiner Erfolge wurde er jedoch einerseits zu einer Gefahr für die royalistischen Eliten Bangkoks, und andererseits führten viele seiner autoritär durchgesetzten neoliberalen Reformen zu sozialen Konflikten.

So konnten die Gelben 2006 ein breites Spektrum zusammenführen: Die globalisierungskritische NGO FTA Watch, die gegen den Freihandelsvertrag zwischen den USA und Thailand mobilisierte; Gewerkschaften, die sich gegen die Privatisierungspläne von Staatsunternehmen richteten. Der Sündenfall kam mit dem Putsch von 2006. Im Verlauf der Bewegung gewannen royalistisch-konservative Kreise die Oberhand und setzten auf eine autoritäre Lösung des »Problems Thaksin«. Das Militär setze eine technokratische Übergangsregierung ein, die das »System Thaksin« abwickeln sollte, erreichte eine scharfe Pressezensur und ließ eine neue Verfassung ausarbeiten.

Ein starkes Verfassungsgericht und zahlreiche »neutrale« Verfassungsorgane wurden so aufgestellt, dass sie jede zukünftige parlamentarische Mehrheit kontrollieren können. Dieses Mittel zur Einhegung einer populären Parlamentsmehrheit und zur Sicherung der eigenen Vormachtstellung ist international nicht unüblich: In Südafrika installierte die weiße Minderheit kurz vor Fall des Apartheidregimes ein starkes Verfassungsgericht, um sich vor radikalen Reformen des zukünftigen ANC-dominierten Parlaments zu schützen. So konnten unter anderem eine Landreform verhindert und die Besitzverhältnisse größtenteils aufrechterhalten werden. Im Verfassungsentwurf der Muslimbruderschaft in Ägypten war mit der Einführung eines religiösen obersten Gerichts ein ähnlicher Mechanismus angelegt. Und nach dem Putsch des Militärs gegen den ehemaligen Staatspräsident Mohammed Mursi bedienten sich die neuen alten MachthaberInnen der gleichen Strategie und machten den ihnen genehmen Vorsitzenden des Verfassungsgerichts zum Übergangspräsidenten.

Gelbhemden kooperieren mit den juristischen Organen

In Thailand konnten sich die Gelbhemden immer der Kooperation der juristischen Organe sicher sein: RichterInnen entstammen aus der städtischen konservativ-royalistischen Elite. Das wurde 2008 besonders deutlich. Bei der ersten Wahl nach dem Putsch konnten die Rothemden erneut eine deutliche Mehrheit erringen. Als die Gelbhemden wiederum gegen diese Regierung protestierten, löste das Verfassungsgericht die Regierungspartei einfach auf. Seither spricht man von einem juristischen Putsch: 2006 hat das Militär geputscht, 2008 haben die RichterInnen geputscht, und gegenwärtig ruft Suthep von den Bühnen in der Stadt einen »Putsch des Volkes« aus. In dieser Art haben die royalistisch-konservativen Eliten in ihrem Machtkampf mehr und mehr auf autoritäre Strategien gesetzt.

Je mehr die sozialen Bewegungen wegbrachen, die ursprünglich Teil der Anti-Thaksin-Bewegung waren, desto mehr appellierten die FührerInnen der Bewegung an nationalistische und xenophobische Gefühle und nutzen Gewalt zur Einschüchterung der GegnerInnen. Die jetzige Entwicklung in Bangkok ist eine konsequente Fortsetzung dieser Strategie, und auf Websites werden Parallelen zum aufkeimenden Faschismus in Italien und Deutschland der 1930er Jahre gezogen: Eine Elitefraktion, die um ihren Einfluss bangt, kooptiert Teile der Mittelklasse. Gewaltbereite paramilitärische Gruppen schüchtern Andersdenkende ein, sabotieren die Regierung und im Machtvakuum der gelähmten Regierung fordert die Mittelklasse die Abschaffung demokratischer Entscheidungsstrukturen und eine Ermächtigung der Exekutive, die das Land von Grund auf reformieren soll.

Die Entwicklung der Rothemden verlief entgegengesetzt. Sie entstanden aus einer kleinen Gruppe Intellektueller, die sich 2006 gegen den Putsch wendeten. Mit Thaksin, dessen autoritärer Regierungsstil noch frisch in Erinnerung war, verband sie wenig. Doch die Erfahrung, dass die Putschistenregierung noch undemokratischer vorging als Thaksin selbst, führte diese AktivistInnen und die Thaksin-Partei als strategische Partner zusammen. Je offensichtlicher die Gelbhemden das Militär und die Gerichte zur autoritären Machtausübung nutzten, desto mehr traten Thaksin als Person und sein Parteiapparat in den Hintergrund, und desto deutlicher entwickelte sich der Bewegungscharakter der Roten.

In den Provinzen entstanden Politikschulen und Nachbarschaftskreise, in denen über Konzepte von Demokratie diskutiert wurde. Lokale selbstverwaltete Radiosender wurden zu Kristallisationspunkten eines politischen Gegendiskurses. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt in den Protesten von 2010, als die Rothemden nach der gerichtlichen Auflösung der Thaksin-Partei mit einer einzigen Forderung - der nach Neuwahlen - mehrwöchige Massenproteste organisierten. Auch damals wurden Straßenblockaden aufgebaut. Das Militär ging jedoch mit schwerem Gerät gegen die Roten vor und tötete bei der Niederschlagung der Proteste über 90 Menschen.

Enttäuschte Hoffnung auf Demokratie

Dieser traumatische Vorfall ist die Grundlage des überwältigenden Wahlsiegs von Yingluck 2011. Hier artikulierte sich die Abneigung gegen die autoritäre und zeitweise gewalttätige Machtausübung der konservativ-royalistischen Eliten.

Yingluck hat die Hoffnung auf eine demokratischere Regierung jedoch nicht erfüllt. Ein Beispiel ist das Amnestiegesetz: Mit einem Federstrich versprach es nicht nur den DemokratieaktivistInnen Straffreiheit, sondern auch den Todesschützen von 2010. Das war nicht nur ein Schlag in das Gesicht der roten BewegungsaktivistInnen. Die Art, wie das Gesetz durchs Parlament gepeitscht wurde, war weit entfernt von demokratischen Vorgehensweisen. Ein weiteres Beispiel sind die Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen mit der EU. HIV-Gruppen und KleinbäuerInnen sehen wegen der strengeren Patentschutzregelungen und Investitionsschutzklauseln eine Gefahr für den Zugang zu Medikamenten und die Ernährungssouveränität. Als diese sozialen Bewegungen im Februar und September letzten Jahres erste Demonstrationen gegen das Abkommen organisierten, ließ Yingluck kurzerhand die Verfassung ändern und strich Artikel 190, der verlangt, dass internationale Verträge schon während der Verhandlungen dem Parlament vorgelegt werden müssen. Ebenfalls eine massive Einschränkung demokratischer Prinzipien.

Die Gelbhemden, die kurz darauf begannen, gegen Yingluck zu mobilisieren, haben es jedoch versäumt, sich in diesem Sinne inhaltlich mit der Regierungspolitik auseinanderzusetzen. Sie haben stattdessen auf persönliche Diffamierung der Regierungschefin, auf eine Dämonisierung der Thaksin-Familie gesetzt. Anstatt politische Auseinandersetzungen zu suchen und alternative Konzepte zur Vergangenheitsbewältigung und zur Handelspolitik vorzulegen, fordern sie eine Entmündigung der WählerInnen und steuern in Richtung einer faschistischen Umgestaltung des politischen Systems.

Vor diesem Hintergrund erscheint Yingluck als Verteidigerin der Demokratie. Von zwei sehr schlechten Alternativen ist sie nur die relativ bessere. Ob aus Überzeugung oder nicht - zurzeit ist sie aber die einzige demokratische Alternative.

Wolfram Schaffar ist derzeit Research Fellow am Royal Netherlands Institute of Southeast Asian and Caribbean Studies in Leiden, Niederlande.