Putzen, kochen, Kinder kriegen
Care Von der Hausarbeits- zur Caredebatte: alter Wein in neuen Schläuchen?
Von Pia Garske
Eine Vielzahl an Marx orientierte Theorien unterscheiden zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeiten, wobei sie der Produktionssphäre wirtschaftlich wie politische eine größere Bedeutung beimessen. Das haben FeministInnen seit langem kritisiert. Im Rahmen der sogenannten Hausarbeitsdebatte wurde dies in den 1970er Jahren intensiv diskutiert. Seit einiger Zeit erlebt diese Debatte unter dem Stichwort Care bzw. Careökonomie eine Renaissance. Was verbirgt sich dahinter?
Die Hausarbeitsdebatte zeigte, dass der Fixierung auf die Produktions- und die Ausblendung der Reproduktionsverhältnisse die Annahme zugrunde lag, dass nur die Warenproduktion Wert schaffe. Die Produktion von Mehrwert galt in der marxistischen Analyse als das zentrale Moment kapitalistischer Vergesellschaftung. Gegen das müsse in erster Linie Widerstand geleistet werden. Dem setzte die Hausarbeitsdebatte die gleichwertige Analyse der »Erzeugung von Lebensmitteln« und der »Erzeugung von Menschen« (Engels 1975) entgegen und forderte unter anderem Lohn für Hausarbeit. (Vgl. Dalla Costa 1973)
Seitdem kritisieren FeministInnen, dass der Bereich der Reproduktion von Leben und Arbeitskraft nicht als wertschöpfend, ausbeutend und damit auch nicht als Problem verstanden wurde, mit dem sich antikapitalistische Theorie und Praxis politisch befassen müssen. Schon in den Überlegungen Friedrich Engels' und auch Clara Zetkins zur »Frauenfrage«, der Frage nach dem Zusammenhang von weiblicher Emanzipation und Überwindung kapitalistischer Verhältnisse, wurde vor allem herausgestellt, dass Frauen dadurch revolutionäre Subjekte würden, indem sie erwerbstätig werden.
Theoretische Leerstellen
Innerhalb marxistischer Theorien entsteht den feministischen Kritiken zufolge immer dann eine »Leerstelle Reproduktionsarbeit«, wenn Begriffe wie »Arbeit« und »Produktivität« oder die ökonomische und soziale Bedeutung von Reproduktionsarbeit unzureichend ausgearbeitet werden. Mit dem allgemeinen Bedeutungsverlust marxistischer Theorien ab Ende der 1970er Jahre verlor der kritische Bezug feministischer Kritik auf marxistische Analysen jedoch selbst an Bedeutung.
Bringt der Begriff Care nun eine Neuauflage der Debatte? Ja und Nein. Einerseits bietet er die Möglichkeit, lange links liegengelassene Fragen nach den Zusammenhängen kapitalistischer Ökonomie und Geschlechterverhältnissen zu aktualisieren. So arbeiten Feministinnen wie Mascha Madörin zur Frage, wie unbezahlte Arbeit in das Bruttoinlandsprodukt (der Schweiz) einbezogen werden können. Es wird auch darauf hingewiesen, dass der Reproduktionsbereich sowohl insgesamt wächst als auch zunehmend warenförmig organisiert wird - auch wenn hier Produktivitätssteigerungen nicht wie in der Industrie erreicht werden können. Die Automatisierung findet etwa im Pflegebereich schnell seine Grenzen. Auch die ökonomischen und menschlichen Folgen von Rationalisierungsprozessen werden kritisiert.
Raum für feministische Ökonomiekritik
Die Caredebatte eröffnet also nach langer Zeit wieder Raum für feministische Ökonomiekritik. (Notz 2010, Winker 2011, Chorus 2013) Zugleich ist jedoch zu befürchten, dass im Gegensatz zum Reproduktionsbegriff »Care« durch eine zu große Unbestimmtheit kritische Gesellschaftsanalysen eher erschwert als befördert.
Care knüpft an heterogene feministische Debatten der 1970er Jahre an: In Großbritannien wurden soziale Bürgerrechte für »Caregiver« (Pflegekräfte) und »Carereceiver« (AssistenznehmerInnen) gefordert; im skandinavischen Raum war die sozialstaatliche Absicherung von Care-Thema; in Nordamerika wurden die diskriminierenden Abhängigkeitsdiskurse kritisiert. (Vgl. Brückner 2010)
In der aktuellen Debatte wird unter Care meist die Gesamtheit aller bezahlten und unbezahlten Arbeiten im Bereich von Haushaltsarbeit, Assistenz, Betreuung und Pflege innerhalb und außerhalb von Haushalten verstanden, wobei das Feld nicht eindeutig eingegrenzt wird. Die Offenheit des Begriffs wird allerdings auch als Vorteil gesehen, denn so können eine ganze Reihe von aktivistischen und wissenschaftlichen Perspektiven zusammenkommen. So finden sich Positionen aus feministischer Theorie und Praxis, aus den Disability Studies (Studien zu oder über Be/hinderung) und Bewegungen zur Selbstbestimmung von Menschen mit Be/hinderung sowie zur Psychiatriekritik ebenso wie aus staatstheoretischen, migrationspolitischen und rassismuskritischen Theorien und Bewegungen.
Die Debatte um Care hat das Potenzial, neben Fragen ökonomischer und geschlechterpolitischer Gerechtigkeit auch Konzepte von Machtpolitik, Empowerment und Selbstbestimmung zu verhandeln. Auch die Verbindung von Pflege, (Wohlfahrts-)Staatlichkeit und globaler Ökonomie hat Platz: Das Verhältnis von Sorgearbeit und Assistenz zu Migration bzw. internationalem »Pendeln«, der Zusammenhang von Sorgearbeit mit Staatsbürgerschaft/Citizenship, globaler ökonomischer Ungleichheit sowie klassenpolitischen und rassistischen Differenzen zwischen »Caregivers« und »Carereceivers« kann unter dem Schlagwort analysiert werden.
Angesichts dessen, dass Sorgearbeit im Kapitalismus ein Bereich ist, der rassifiziert, vergeschlechtlicht, von heteronormativen Geschlechterverhältnissen geprägt und von gesellschaftlichen und intimen Machtverhältnissen auch entlang von Befähigung und Be/hinderung geprägt ist, stellen sich viele Fragen: Wer arbeitet für wen? Wem stehen Sorge- und Assistenzleistungen in welcher Qualität zur Verfügung und wem nicht? Zu welchen ökonomischen, emotionalen und rechtlichen Konditionen, in welchem Umfeld, mit welchem Grad an Sicherheit und Selbstbestimmung werden Sorgeleistungen angeboten und in Anspruch genommen?
Der Carebegriff ist gefährlich unkonkret
In welchem sozialen, gesellschaftlichen wie auch persönlichen Verhältnis stehen diejenigen zueinander, die diese Leistungen in Anspruch nehmen und diejenigen, die sie anbieten? Welche Zwänge und Kontrollen sind mit der Ausübung von Sorgearbeit und Assistenz verbunden, welche mit der Inanspruchnahme und auch mit der unfreiwilligen »Erduldung« von Leistungen, besonders im Bereich von Be/hinderung, Assistenznahme und Selbstbestimmung?
Insgesamt hat die Debatte um Care das Potenzial, Sorgearbeit und Assistenz als soziale Praxis zu begreifen, die in ihrer je spezifischen Form soziale Verhältnisse im Kapitalismus strukturiert, abbildet, aber auch verändern kann. In ihr könnten Utopien und andere Vorstellungen von Sorge um andere und sich selbst formuliert werden, die jenseits traditioneller Konzepte von Familie, neoliberaler Selbstoptimierung, kommerzialisierten Dienstleistungen und rassifizierter sowie vergeschlechtlichter Rollenverteilungen liegen. Sie bietet Raum, soziale Positionierungen von »Caregivers« und »Carereceivers« und damit zusammenhängende Machtverhältnisse, Interessengegensätze und -überschneidungen zu thematisieren. In ihr können die Auswirkungen des gesellschaftlichen Status quo auf Menschen untersucht werden, die Sorgearbeit unbezahlt leisten, und solchen, die dafür schlecht oder besser bezahlt werden, sowie Menschen, die Sorgearbeit in Anspruch nehmen wollen oder dazu gezwungen sind oder werden. Sie ermöglicht die Problematisierung des Begriffs der »Abhängigkeit« und »Autonomie«, denen Konzepte von gesellschaftlichem Aufeinander-angewiesen-Sein und symbolischer wie ökonomischer Wertschätzung entgegengesetzt werden können.
In feministischer Tradition kann in der Caredebatte darüber diskutiert werden, was Sorgearbeit mit der Trennung von öffentlichen und privat organisierten Arbeiten zu tun hat: Bedeutet »privat« in diesem Zusammenhang »privatwirtschaftlich« und weist in den Bereich der Ökonomisierung von Sorgearbeit oder »familiär, intim und emotional verbunden«, was auch die Individualisierung von Risiken durch die Ausdünnung von öffentlich oder gemeinschaftlich organisierten Angeboten bedeuten kann? Wie hängt diese Unterscheidung wiederum mit den normativen Rollenverteilungen, der (Nicht-)Entlohnung, gesellschaftlicher Anerkennung und Qualität dieser Tätigkeiten zusammen? Und welche Vor- und Nachteile ergeben sich für die unterschiedlichen AkteurInnen und Interessengruppen aus den je verschiedenen Arten der gesellschaftlichen Organisation von Sorgearbeit? Wer profitiert wovon, wer und welche Situationen werden ausgebeutet?
An letztere Fragen schließt aber auch eine Kritik des Carebegriffs an: Seine Offenheit und auch die unscharfe Bestimmung von AkteurInnen und möglichen Interessengegensätzen macht ihn zu einem Containerbegriff, der ganz unterschiedlich, auch neoliberal, gefüllt werden kann. Deshalb ist es erforderlich, das eigene Erkenntnisinteresse und die eigene politische Zielsetzung klar zu benennen, wenn auf Care Bezug genommen wird - das ist auch mit Blick auf die Care-Revolution-Konferenz wünschenswert. Emanzipatorische Perspektiven eröffnet Care dann, wenn darin das gesellschaftskritische Potenzial, das die »alten« Auseinandersetzungen um Reproduktionsarbeit mitbringen, in Analysen der aktuellen Transformation kapitalistischer (Re-)Produktion in den Industrienationen und deren sozialen Effekten eingeht. Das stellt AktivistInnen und WissenschaftlerInnen vor die Aufgabe, in die Caredebatte kritisch zu intervenieren und Careökonomie dort zu kritisieren, wo sie dazu beiträgt, kapitalistische Verwertungszusammenhänge zu verschleiern, aufrechtzuerhalten, auszudehnen und ökonomisch zu optimieren, wo sie disziplinierende Effekte hat, als bevölkerungspolitisches Steuerungsinstrument eingesetzt werden kann und die ökonomische Verwertbarkeit menschlichen Arbeitsvermögens im Auge hat. Deswegen freue ich mich auf eine Konferenz, die die politischen Chancen der Caredebatte ebenso ernst nimmt wie die Risiken und Ambivalenzen, die der Begriff mit sich bringt.
Pia Garske ist Politikwissenschaftlerin und lebt in Berlin.
Literatur:
Margit Brückner: Entwicklungen der Care-Debatte - Wurzeln und Begrifflichkeiten. In: Ursula Apitzsch und Marianne Schmidbaur (Hg.): Care und Migration. Opladen 2010.
Silke Chorus: Care-Okonomie im Postfordismus. Münster 2013
Mariarosa Dalla Costa: Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. Berlin 1973.
Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884). In: Marx-Engels-Werke, Band 21, Berlin 1975.
Mascha Madörin: Neoliberalismus und die Reorganisation der Care-Ökonomie. In: Jahrbuch Denknetz 2007.
Gisela Notz: Das Private ist (noch immer nicht) politisch. Unter: gwi-boell.de.
Gabriele Winker: Soziale Reproduktion in der Krise - Care Revolution als Perspektive. In: Das Argument 292/2011.