Marsch durch die Petitionen
Aktion Was bewirkt eigentlich die Unterschrift unter eine Petition beim Deutschen Bundestag?
Von Gregor Zattler
»Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag!« Immer wieder rollen erregte Aufrufe, eine »Online-Petitionen« zu unterzeichnen, durch Emailkonten und Social-Media-Plattformen. Die Unterschriftensammlungen für und gegen Markus Lanz als Talkshow-Moderator, für und gegen den Entwurf eines rot-grünen Bildungsplans 2015 in Baden-Württemberg haben, weil jeweils mit Zehntausenden von Unterstützungen versehen, das Thema kürzlich in die Feuilletons gebracht. Doch worum geht es eigentlich, wenn von Online-Petitionen die Rede ist?
Unter dem Namen »Online-Petition« werden verschiedene Dinge vermengt: Unterschriftensammlungen, Petitionen und Volksentscheide.
Eine Unterschriftensammlung kann jedeR machen. Was mit den Unterschriften dann geschieht, ob jemand sie zur Kenntnis nimmt (und wer), ist damit noch nicht ausgesagt. Ein Volksentscheid ist eine politische Entscheidung direkt durch die (wahlberechtigte) Bevölkerung statt durch parlamentarische Vertretung. Meist geht einem Volksentscheid eine Unterschriftensammlung voraus, die vorgegebenen Regeln genügen muss, um die Exekutive zur Durchführung des Volksentscheids zu zwingen (z.B. Mindestzahl an Unterschriften von Personen, deren Wahlberechtigung prüfbar sein muss). Eine Petition hingegen ist ein Schreiben an eine zuständige staatliche Stelle oder Behörde.
Recht auf Eingabe, Recht auf Antwort
Wer eine Petition einreicht wird Petent bzw. Petentin genannt. Das Recht dazu gibt es in wahrscheinlich allen Staaten. Es ist in der Bundesrepublik nicht auf StaatsbürgerInnen oder Volljährige beschränkt und kann auch von inländischen juristischen Personen (Vereinen, Firmen etc.) wahrgenommen werden (Artikel 17 Grundgesetz). Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1953 konkretisiert, dass das Recht darin besteht, eine Eingabe zu machen und eine Antwort zu erhalten. Mehr Recht ist nicht.
Der Bundestag unterhält einen Petitionsausschuss. Er hat das Recht auf Aktenvorlage, Auskunftserteilung, Zutritt zu Behörden; Gerichte und Verwaltungsbehörden sind ihm zur Amtshilfe verpflichtet. Alle Landesparlamente und auch das EU-Parlament (1) haben einen Petitionsausschuss. Hier geht es aber um die Situation in Deutschland auf Bundesebene.
Petitionen können die Klärung von Einzelfällen betreffen (Einzelpetition). Sie sind unter Umständen die letzte offizielle Möglichkeit, einen ungünstigen Verwaltungsakt oder sonst ein behördliches Handeln (z.B. in Asylverfahren) durch eine parlamentarische Prüfung rückgängig zu machen. Die Petition hat dabei u.a. den unschätzbaren Vorteil, selbst keine Kosten zu verursachen. (2)
Petitionen können aber auch auf die Gestaltung allgemeingültiger Regelungen (Verordnungen, Gesetze) abzielen (öffentliche Petition). Um diesen Anwendungszweck geht es in diesem Artikel.
Seit 2005 gibt es die Möglichkeit, online e-Petitionen beim Bundestag einzureichen (epetitionen.bundestag.de). An dieser Webplattform ist interessant, dass öffentliche Petitionen dort einsehbar sind, zu jeder e-Petition ein Forum zur Diskussion eingerichtet ist und angemeldete BenutzerInnen die Petition unterstützen (»mitzeichnen«) können. Dadurch wird die e-Petition zu einer Sonderform der Unterschriftensammlung - einer, für die der Staat Infrastruktur zur Verfügung stellt und die mit bestimmten Rechten versehen ist (so dem Recht auf Gehör und Antwort für den/die PetentIn).
Die Einführung der e-Petition war von einer Rhetorik erweiterter Partizipation begleitet. Weil petieren einfacher würde, würde auch die Partizipation zunehmen. Insgesamt ist die Zahl der Petitionen an den Bundestag nach einem Hoch kurz nach der Wende (1993: 23.960 Petitionen) seit 2001 niedriger als in den 1990er Jahren (Ausnahme: 2005). Von 2010 bis 2012 lag sie zwischen 15.191 und 16.849 Petitionen im Jahr. Die Möglichkeit der e-Petition hat also insgesamt nicht zu mehr Petitionen geführt.
Mehr Partizipation durch Petitionen?
Rund zwei Drittel der eingereichten Petitionen in 2011 und 2012 wurden von Männern gestellt, ungefähr ein Viertel von Frauen. Der Rest entfällt auf Organisationen und Sammelpetitionen. Auf der e-Petitionenseite des Bundestages sind die seit Oktober 2008 (Umstieg auf die Webplattform des Bundestages) veröffentlichten Petitionen einsehbar, es sind im Moment 3.365 Petitionen, also rund 640 veröffentlichte (öffentliche) e-Petitionen im Jahr. (3) Da z.B. im Jahr 2004, also vor Einführung der e-Petition, von insgesamt 17.999 Petitionen die Hälfte »Bitten zur Gesetzgebung« (also öffentliche Anliegen) beinhalteten (in den Vorjahren etwas mehr als ein Drittel), hat die Einführung der e-Petition auch nicht zu einem Anstieg der öffentlichen Petitionen geführt.
Seit der Einführung der e-Petition werden PetentInnen, deren Petition bis vier Wochen nach Einreichung/Freischaltung auf der Webplattform von mindestens 50.000 weiteren Personen mitgezeichnet wurden, zu einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses eingeladen und angehört. (4) Diese Regelung macht die e-Petitionen interessant, weil sich das Erreichen der 50.000 MitunterzeichnerInnen zur Mobilisierung von AnhängerInnen und als Kampagnenziel eignet.
Tatsächlich haben seit 2007 genau 16 Petitionen mehr als 50.000 unterstützende Unterschriften erreichen können. Die größte Zahl an Unterschriften (186.356) erreichte eine Petition des Deutschen Hebammenverbandes gegen steigende Haftpflichtprämien und allgemein schlechte Bezahlung von freiberuflichen Hebammen. Unter den 16 Petitionen sind internetbezogene Themen (zweimal GEMA-kritisch, gegen Vorratsdatenspeicherung, für Netzneutralität, gegen Sperrung von Webseiten) stark vertreten, ebenso bewegungsnahe Themen (für Beibehaltung des Atomausstiegs 2010, für Finanztransaktionssteuer, gegen ACTA) und soziale Themen (Hebammen, zweimal GEMA, für Praktikumsgesetz, für bedingungsloses Grundeinkommen, gegen Rentenversicherungspflicht mit einkommensunabhängiger Beitragshöhe für Selbständige, für Abschaffung der Sanktionen und Leistungseinschränkungen). Aber auch die Halbierung der Besteuerung von Diesel und Benzin sowie die Petition, bei der geplanten Änderung des Jahressteuergesetzes Ballett-, Tanz- oder Musikschulen wie bisher zu befreien, fanden viele UnterstützerInnen.
Die Schwelle zur möglichen Einladung in den Bundestag liegt also so hoch, dass sie seit der Einführung der e-Petition nur rund zwei Mal im Jahr überschritten werden konnte. Die Hoffnung, die eigene Kampagne per e-Petition zu beflügeln, könnte trügerisch sein.
Was bringt das Einreichen einer öffentlichen Petition? Seit der Einführung des 50.000-Unterschriften-Kriteriums werden Petitionen in der Öffentlichkeit oft als erfolgreich bezeichnet, weil sie dieses Quorum geknackt haben. Sie sind erfolgreich in dem Sinne, dass sie in die öffentliche Diskussion eingehen. Das ist ja schon mal was.
Es gibt aber keine Statistik dazu, wie viele Petitionen zu einer Gesetzesänderung führten beziehungsweise wie hoch der Prozentsatz zufriedener PetentInnen ist. So wurde eine Petition zur GEMA vom Mai 2009, die über 106.000 Unterstützungen erfuhr, vom Petitionsausschuss an mehrere mit dem Thema beschäftigte Institutionen als Material weitergeleitet, darunter das Justizministerium. In der 15-seitigen Begründung geht es vor allem darum, dass die GEMA als privater Verein keinem direkten staatlichen Zugriff unterliegt, einige Verfahrensweisen werden problematisiert, die Petition ansonsten abgelehnt.
Anmerkungen eines Petenten
Da ich selbst Petent war, kann ich aber mittels anekdotischer Evidenz zur Klärung beitragen. Für die Kampagne gegen die Kündigung einer Supermarktkassiererin im Zusammenhang mit dem Einlösen von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro habe ich eine öffentliche e-Petition gegen Bagatell- und Verdachtskündigungen eingereicht. (5) Die Petition wurde nicht veröffentlicht, weil jemand anders mit einem Teil des Themas (gegen Verdachtskündigung) um Wochen schneller war, sich dann nicht um Öffentlichkeitsarbeit kümmerte; seine Petition erhielt 370 Unterstützungen. Dennoch habe ich als Petent vom Petitionsausschuss eine Reihe von Empfangsbestätigungen bekommen. Über die Ablehnung der Petition und entsprechender Anträge der SPD, Grünen und Linksfraktion sowie die öffentliche Anhörung von Sachverständigen durch den Ausschuss für Arbeit und Soziales wurde ich im Nachhinein informiert.
Die oben genannte Frist von vier Wochen gilt nicht nur für die Überschreitung des Quorums zur möglichen Einladung vor den Petitionsausschuss: Nach vier Wochen kann die jeweilige Petition nicht mehr mitgezeichnet, im Forum können keinen neuen Beiträge mehr geschrieben werden. Die Website wird zum Archiv. Darüber hinaus behält sich der Bundestagsausschuss vor, Forenbeiträge zu löschen, zum Beispiel weil sie nicht zum Thema gehören. Das Forum für die e-Petition zur Abschaffung der Sanktionen und Leistungsbewertung von Hartz-4-BezieherInnen wurde vor der Vierwochenfrist geschlossen, weil sich die Teilnehmenden in den Augen des Petitionsausschusses nicht zu benehmen wussten.
Der Umstand, dass man kaum Einfluss auf die Veröffentlichung einer e-Petition oder das Diskussionsforum hat, macht die Plattform des Bundestages wenig geeignet für Initiativen, die schlecht ins Parlament vernetzt sind. Mindestens braucht man eine eigene Kampagneninfrastruktur, um e-Petitionen als Kampagneninstrument nutzen zu können. Auch muss man in der Lage sein, in der Vierwochenfrist eine respektable Anzahl respektabler Forenkommentare und MitzeichnerInnen zu mobilisieren. Danach spielt die Website des Bundestages keine Rolle mehr für die Kampagne, und es bleibt das mühsame Geschäft des Lobbyings im Parlament, wobei die e-Petition nur ein Argument unter vielen ist. Wer eigentlich kein Lobbying betreiben will, braucht mit öffentlichen Petitionen gar nicht anzufangen.
Der Petitionsausschuss mag also für Einzelfälle hilfreich sei, in Bezug auf die Gestaltung der allgemeingültigen Regeln in Deutschland erfüllt er die Funktion eines parlamentarischen Ohrs am Puls des Volkes. Das politische System lässt sich durch diesen Pulsschlag allein nicht irritieren.
Gregor Zattler reichte im Jahr 2009 für das Komitee »Solidarität mit Emmely« eine e-Petition gegen Bagatell- und Verdachtskündigungen ein.
Anmerkungen:
1) Petitionsberechtigt sind natürliche und juristische Personen mit Sitz in der EU, das Thema muss in den Kompetenzbereich der EU fallen, die PetentInnen direkt betroffen sein. Öffentliche Petitionen ans EU-Parlament werden inzwischen manchmal von Millionen Menschen mitgezeichnet, es handelt sich offenbar um ein Kampageneninstrument für sehr große multinational aufgestellte Akteure oder Netzwerke.
2) Interessante Hinweise hierzu finden sich unter www.ra-lorek.de/pat.html.
3) Dies sind die Zahlen der tatsächlich auf der Website des Bundestages veröffentlichten e-Petitionen. PetentInnen haben aber kein Recht darauf, dass ihre e-Petition dort veröffentlicht wird.
4) Der Petitionsausschuss kann mit Zweidrittelmehrheit davon abweichen. Das Kleingedruckte zu den Verfahrensregeln umfasst mehrere Seiten. Umgekehrt kann der Petitionsausschuss jedeN einladen, wie er will. Was nach der Ausschusssitzung passiert, liegt im Belieben des Ausschusses, nur eine Antwort geben muss er, das kann aber dauern.
5) Siehe ak 537 sowie express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 5/2009.
Akteure des Onlinekampagnenwesens
Neben der »offiziellen« e-Petitionenseite des Deutschen Bundestages gibt es eine Reihe privat betriebener Websites, die Zustimmung zu Forderungen einsammeln. Bekannte sind: change.org, moveon.org, avaaz.org, oder mit deutschem Schwerpunkt: openpetition.de oder campact.de. Wie sich diese Kampagnengenerierungsseiten auf die politische Beteiligung auswirken, ob sie eher aktivierend wirken oder letztlich politische Passivität befördern (»unterschrieben, Thema abgehakt«), steht auf einem anderen Blatt und wird in einer der nächsten Ausgaben untersucht.