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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 591 / 18.2.2014

Entgleiste Revolutionen

International Was ist drei Jahre später aus den Aufständen in Libyen, Ägypten und Tunesien geworden?

Von Hannah Wettig

Auf dem neubenannten Platz der Befreiung tanzten Jugendliche zum Revolutionsrap. Die alten Männer plauderten in einem Zelt daneben bei einer Tasse Tee. »Willkommen und danke«, riefen Alte wie Junge, wenn sie westliche BesucherInnen entdeckten. Wer ein paar Brocken English konnte, erzählte seine Geschichte: von Gefängnisaufenthalten, Universitätsverweisen, Geheimdienstschikanen und erzwungenem Exil. Dazwischen lachten sie. »Jetzt wird alles besser.« Das war in Bengasi im Frühjahr 2011.

Heute trauen sich AusländerInnen kaum mehr ins östliche Libyen. Das amerikanische und das britische Konsulat haben schon lange geschlossen. Im Oktober 2013 floh der maltesische Botschafter als einer der letzten Vertreter eines europäischen Landes nach Morddrohungen. Anfang Dezember erschossen Milizionäre einen amerikanischen Jogger - einen Englischlehrer. Auch viele ExillibyerInnen, die nach der Revolution begeistert in ihre Heimat umgesiedelt waren, um einen neuen Staat aufzubauen, haben ihre Sachen wieder gepackt.

Im Osten und Süden des Landes herrschen Milizen. Auch in der Hauptstadt Tripolis nehmen Morde an AusländerInnen und Islamisten-KritikerInnen zu. Ende vergangenen Jahres startete die libysche Armee eine Großoffensive gegen die bewaffneten Banden im Osten, gab aber bald wieder auf. Ihre Truppen waren der Gegenwehr nicht gewachsen. Dabei hatten BewohnerInnen Bengasis in den vergangenen zwei Jahren zweimal mit Erfolg Milizen vertrieben, die sich zu Herrschern in einzelnen Stadtvierteln aufgeschwungen hatten.

Libyen: Exerzierfeld religiöser Milizen

Die Milizen bestehen zumeist aus Dschihadisten, einige sind Überbleibsel aus Revolutionstagen: Banden, die ihre Waffen nicht abgegeben haben. Aber viele sind aus anderen Ländern dazugekommen und kämpfen unter der Marke Al Qaida. Die Ideologen des globalen Dschihads behaupten, nur wer sich permanent im Kampf gegen Ungläubige befinde, sei ein guter Muslim. Ungläubige sind nicht nur Nicht-Muslime, sondern auch muslimische DemokratInnen und NationalistInnen. Die DemokratInnen glaubten nicht an das Gesetz Gottes, die NationalistInnen nicht an die Umma - die muslimische staatenübergreifende Gemeinschaft. Länder, in denen die Regierung nicht mehr die staatliche Gewalt ausübt, sind Anziehungspunkte für AnhängerInnen des globalen Dschihads.

Libyen ist für sie ein ideales Exerzierfeld. Die RevolutionärInnen erbten von Gaddafi keinen funktionierenden Staat. Die Jamahiriya, die Volksmassenrepublik, wie Gaddafi sein Regime nannte, besaß kaum staatliche Institutionen, keine Verfassung und keinen kohärenten Gesetzeskorpus.

Während in Ägypten und Tunesien die neu gewählten Regierungen erst einmal mit den alten Ministerien und Behörden weiterarbeiten konnten, muss in Libyen alles neu aufgebaut werden. Ohne den dschihadistischen Terror hätte man das in Ruhe angehen können. Dank des Ölreichtums muss in Libyen niemand Hunger leiden, die globale Wirtschaftskrise, die die Menschen in Tunesien und Ägypten in bittere Armut trieb, war hier kaum zu spüren. Das Bildungsniveau ist verhältnismäßig hoch. Die Probleme der sechs Millionen EinwohnerInnen zu lösen, sollte weit einfacher sein, als die der 80 Millionen in Ägypten.

Doch den Dschihadisten scheint derzeit niemand gewachsen. Sie haben sich in der gesamten Sahelzone festgesetzt, weder Mali noch Tschad oder Algerien kriegen ihre Gebiete unter Kontrolle. In Syrien versuchen Kämpfer der Freien Syrischen Armee gemeinsam mit angeblich moderaten Islamisten der Islamischen Front gegen die Al-Qaida-Gruppe ISIS vorzugehen. Zusätzlich kämpfen kurdische Milizen gegen die Dschihadisten, und auch Syriens Präsident Assad behauptet, seine Soldaten seien im Einsatz.

Wieso die Dschihadisten so schlagkräftig sind und wer ihnen Waffen gibt, bleibt rätselhaft. Jede Regierung fürchtet sie: Russland genauso wie die USA, Iran oder die Saudi Arabien.

Allerdings nutzen manche sie als Mittel zum Zweck: So hat der syrische Diktator Assad dschihadistische Gruppen in Irak und Libanon finanziert und nach Ausbruch der Proteste in Syrien im März 2011 namhafte Al-Qaida-Leute aus dem Gefängnis entlassen.

Libyen hat seit vergangenem Sommer noch ein weiteres Problem. Als in Ägypten das Militär den Präsidenten Mohammed Mursi absetzte und seine Partei, die Muslimbrüder, zur Terrororganisation erklärte, flohen etliche Islamisten ins Nachbarland. Sie sind keine Dschihadisten, aber sie befinden sich nun ebenfalls im Kampf mit der staatlichen Ordnung. Auch sie haben sich teilweise Waffen besorgt und Milizen gegründet.

In Ägypten war der Jubel unter vielen RevolutionärInnen der ersten Stunde zunächst groß, als das Militär Anfang Juli die gewählte Muslimbruder-Regierung entmachtete. Sie hatten Mubarak nicht gestürzt, um von Islamisten unterdrückt zu werden. Unter Mursi soll es mehr politische Gefangene gegeben haben als unter Mubarak. Auch der Versuch, religiöse Gesetze einzuführen, stieß auf Widerstand. Die von Mursi durchgepeitschte Verfassung enthielt etwa einen Artikel zum Verbot von Blasphemie - auch unter Mubarak war Gotteslästerung strafbar, allerdings ohne Verfassungsrang.

Ägypten: vom Islamisten-Staat zur Militärdiktatur

An der neuen Verfassung der Generäle, die nun das Ruder übernommen haben, ist wenig auszusetzen. An ihrem Regierungsstil aber umso mehr. Die Zahl der politischen Gefangenen ist rasant gestiegen, jede Kritik an der Regierung, jeder Protest, jeder Arbeiterstreik wird als Landesverrat behandelt. Über 1.000 tote DemonstrantInnen hat diese Militärregierung seit dem letzten Sommer auf dem Gewissen. Damit ist ihre Bilanz ebenso blutig wie die des Diktators Mubaraks bei der Revolution im Januar 2011 - mindestens.

Nicht erst mit der Bekantgabe der Kandidatur des Generals Abdel Fattah as-Sisi für die Präsidentschaftswahlen ist deutlich, dass das Militär in Ägypten eine neue Diktatur errichten möchte, womöglich eine härtere als die von Mubarak, allerdings mit Volkes Zustimmung.

As-Sisi ist beliebt, wahrscheinlich würde er auch dann die Wahlen gewinnen, wenn er nicht zuvor alle KritikerInnen ausschalten ließe. Aber ihm geht es nicht ums Gewinnen einer demokratischen Wahl. Er arbeitet daran, den militärischen Komplex weiter zu stärker. Schon unter dem ersten Präsidenten der ägyptischen Republik Gamal Abdul Nasser besaß das Militär entscheidende Unternehmen. Heute schätzen AnalystInnen, dass 25 bis 40 Prozent der Wirtschaft vom Militär kontrolliert werden.

Die Verbandelung von Staat und Militär und die Geheimhaltung aller militärischer Aktivitäten - und sei es die Bilanz einer Nudelfabrik - lässt die Korruption ausufern. Auch dagegen war die Revolution 2011 aufgestanden. Doch inzwischen sieht es so aus, als werde Korruption wieder als Kavaliersdelikt gehandelt.

Kürzlich bot der wegen Korruption verurteilte Multimilliardär Hussain Salem dem ägyptischen Staat 3,6 Millionen Dollar, wenn seine Strafe fallen gelassen würde. Ein Kabinettsprecher hieß das Angebot willkommen. Der ägyptische Staat braucht dringend Geld. Deshalb ist man mit mehreren wegen Korruption Verurteilten im Gespräch, um eine »Aussöhnung« auszuhandeln. Aber nach reiner Geldbeschaffung sieht das Vorgehen nicht aus, bedenkt man, dass Salem zu 15 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 412 Millionen Dollar verurteilt wurde.

Der Plan as-Sisis, Ägypten wieder zur Militärdiktatur zu machen, wird allerdings kaum aufgehen. Zu sehr brodelt es in Ägypten. Die Wirtschaft bekommt er nicht in den Griff, auch wenn er mit kurzfristigen Finanzspritzen aus dem Golf den Anschein erwecken konnte, er tue zumindest etwas. Die Streiks nehmen wieder zu. Die säkulare Opposition, die zunächst den Sturz Mursis guthieß, kritisiert mittlerweile ebenso vehement die Militärregierung wie zuvor die Muslimbrüder. Eine Alternative ist allerdings nicht in Sicht, da keine Partei genug Zustimmung im Volk genießt, um eine Regierung zu stellen. Jede Regierung stünde zudem vor demselben Problem: Die Armut kann sie nicht so schnell eindämmen wie der Protest sie hinwegfegen wird. Die Revolution wird in Ägypten daher noch lange dauern.

Hoffnungsschimmer Tunesien

Weit freundlicher sieht es indes in Tunesien aus. Zwar treiben auch hier radikale Islamisten ihr Unwesen, die säkulare Intelligenz klagt über gewalttätige Angriffe, und zwei politische Morde an Oppositionellen im vergangenen Jahr sind Grund zur Sorge. Doch im Vergleich zu Libyen, wo fast täglich Menschen den Dschihadisten zum Opfer fallen, und Ägypten, wo sich der Staat wieder als Terrorregime etabliert, scheint die Revolution in Tunesien ihren Gang zu gehen. Es hat lange gedauert, aber Anfang Februar nahm das Parlament eine demokratische Verfassung an, die in der arabischen Welt ihresgleichen sucht. Obwohl die Islamisten immer wieder versucht haben, ihre Vorstellungen durchzudrücken, ist nun ein Werk herausgekommen, das auch die säkulare Opposition bejubelt.

Zweifellos bestimmen die Ausgangsbedingungen den Erfolg von Revolutionen. Tunesien hatte die besten Bedingungen. Das Land ist klein, und die staatlichen Institutionen funktionieren. Armut ist zwar im Vergleich zu Libyen ein Problem, aber kein so unbezwingbares wie in Ägypten. Das Bildungsniveau, auch der gewählten Abgeordneten, ist deutlich höher als das in Ägypten. Die regierenden Islamisten verhielten sich im Vergleich zu ihren ägyptischen Brüdern klug. Als Proteste zunahmen, bauten sie zunächst die Regierung um und übergaben schließlich im Januar die Geschäfte an eine Expertenregierung.

Wenn auch die Revolutionen in Ägypten und Libyen verloren scheinen, der Fall Tunesien gibt Hoffnung für die gesamte Region. Das Land mag klein und wenig bedeutend sein. Aber es erbringt gerade den Beweis, dass auch in den nachrevolutionären arabischen Ländern Demokratie möglich ist und dass die Menschen damit besser bedient sind als mit starken Führern, nach denen viele in Ägypten gerade rufen. Diese Erkenntnis können weder as-Sisi noch Al Qaida aus der Welt schaffen.

Hannah Wettig ist freie Journalistin und berichtet vor allem aus arabischen Ländern.