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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 591 / 18.2.2014

88 für Lucke

Rechte Erst Deutschland, dann Europa - auf ihrem Parteitag in Aschaffenburg stellt sich die Alternative für Deutschland neu auf

Von Martin Beck

Mit 88 Prozent der Stimmen wurde Parteisprecher Bernd Lucke auf dem Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) am 25. Januar 2014 im bayrischen Aschaffenburg auf Platz 1 der Liste seiner Partei zur Europawahl gewählt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Zahlenkombination steht in Nazikreisen ja nach ihren Anfangsbuchstaben für »Heil Hitler«. Doch dieser Gedanke führt in die Irre und wird dieser Sammlungsbewegung rechts von der Union in keiner Weise gerecht. Nazis sind das nicht. Vielmehr ist die AfD ein Sammlungsprojekt der Marktradikalen und Nationalkonservativen. Als solches trifft es offensichtlich den Nerv der Zeit. Jedenfalls verfehlte die AfD mit ihrer euro(pa)skeptischen Botschaft bei der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres mit 4,7 Prozent nur knapp den Einzug in den Bundestag.

Delegierte und Gäste werden an diesem grauen Samstagmorgen vor der Halle von adrett gekleideten jungen Menschen begrüßt. Im Namen der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit überreichen sie einen Werbebeutel samt aktueller Ausgabe - einschließlich eines langen Interviews mit Bernd Lucke -, Abokarte und Schokoriegel. Während die neurechte Wochenzeitung sichtbar für sich wirbt, sind die Werbeflyer des von Jürgen Elsässer herausgegebenen Querfront-Blättchens Compact nur auf dem Klo zu finden, schön drapiert am Waschbecken.

Beide Publikationen - soviel ist sicher - werden unter den rund 300 Delegierten und sicherlich 200 Gästen ihre Leserschaft haben. In der schmucklosen Halle am Rande der Stadt überwiegen Männer im Alter ab 50 - vorherrschender Dresscode: Sakko, bei den wenigen Frauen Kostüm oder Businessanzug. Die wenigen TeilnehmerInnen unter 40 Jahren wirken meist, als kämen sie gerade aus der BWL- oder Juravorlesung bzw. direkt vom Burschenschaftsabend.

Es geht um Familie, Zuwanderung und Nation

Hier versammeln sich die selbst ernannten »Leistungsträger der Gesellschaft«, die sich in ihren schmucken Einfamilienhäusern aggressiv nach »unten« abgrenzen, nationalkonservative ÜberzeugungstäterInnen, die allenthalben den Untergang des Abendlandes wittern, und Menschen, die glauben, sie könnten in Merkels Deutschland nicht mehr sagen, was sie meinen - vor allem, wenn es um »Ausländer«, Homosexuelle und Muslime geht. Die Dichte an JuristInnen, JournalistInnen und (Wirtschafts-)WissenschaftlerInnen ist hoch.

Mit anderen Worten: Die Alternative für Deutschland ist eine Partei, die wohlstandschauvinistische, marktradikale, nationalistische und kulturalisierende Positionen in sich vereint. Erinnert sei an Luckes Äußerung auf dem Landesparteitag in Hessen über das Coming-out des Ex-Fußballnationalspielers Thomas Hitzlsperger: »Ich hätte es gut gefunden, wenn Herr Hitzlsperger sein Bekenntnis zu seiner Homosexualität verbunden hätte mit einem Bekenntnis dazu, dass Ehe und Familie für unsere Gesellschaft konstitutiv sind.« Dafür stehen aber auch AfD-Plakate mit Aussagen wie »Wir sind nicht das Weltsozialamt« oder »Klassische Bildung statt Multikulti-Umerziehung«.

Die in Aschaffenburg vorgelegten Thesen der Europakommission der Partei weisen darauf hin, dass sich die AfD nicht mehr nur alleine als europakritische Partei profilieren will, sondern sich programmatisch ausdifferenziert. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Führungsmannschaft um Lucke vom strikten Anti-Europa-Kurs abrückt. Weder ist von einem Austritt Deutschlands die Rede noch von einem Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone und auch nicht von einer Rückkehr zur D-Mark. Vielmehr - so stellte Lucke klar -, gehe es seiner Partei darum, »über spezifisch deutsche Interessen in der Europapolitik zu reden«, was in diesem Fall vor allem die Umsetzung einer strikten »Haushaltsdisziplin«, sprich Sparpolitik in den EU-Mitgliedsländern bedeutet.

Für Lucke sind »Familienpolitik, Zuwanderungspolitik und Europapolitik« die »großen und wichtigen Themenfelder für die Zukunft unseres Landes«. Das hört sich dann in den Europa-Thesen zum Beispiel so an: »Die AfD lehnt gesellschaftspolitische Umerziehungsmaßnahmen wie Gender Mainstreaming ab und wendet sich gegen alle Versuche der EU, diese den Nationalstaaten aufzuzwingen.« Oder: »EU-Bürger aus anderen Mitgliedsstaaten, die sich mangels ausreichenden Einkommens in Deutschland keinen menschenwürdigen Lebensstandard sichern können, müssen in ihre Heimat zurückkehren.« Die AfD will mit klassisch konservativen Themen wie Familie, Zuwanderung und Nationalismus punkten. Dieser Dreiklang ist momentan der Kitt, der die unterschiedlichen Parteiflügel zusammenhält.

Konservative Strippenzieher und verstockte Marktradikale

Denn dass die AfD aus verschiedenen Strömungen besteht, wird inzwischen selbst von der Parteispitze nicht mehr bestritten. Mehr noch, sie versucht sogar, den Umstand ins Positive zu wenden. »Eine Partei braucht Flügel«, so etwa der Starökonom der Partei, Joachim Starbatty, in Aschaffenburg, »aber sie dürfen nicht gegeneinander, sondern müssen miteinander schlagen.« Inhaltlich geht die Auseinandersetzung um die von Lucke und seinen MitstreiterInnen verfolgte Linie, nationalistisch-konservative Positionen mit neoliberalen wirtschaftspolitischen zu verknüpfen. Zu »radikale« Töne stören da nur, wie sie etwa von ehemaligen Funktionären der rechtspopulistischen und islamfeindlichen Partei Die Freiheit in die AfD getragen werden.

Aber auch das übrige Personal hat es in sich. Mit Joachim Starbatty - er kandidiert auf Listenplatz 5 -, Karl Albrecht Schachtschneider und Bruno Bandulet finden sich drei ehemalige Mitglieder des Bundes freier Bürger und Autoren der Jungen Freiheit bei der AfD. Die Berlinerin Beatrix von Storch, Kandidatin auf Listenplatz 4, gehört zu den einflussreichsten konservativen NetzwerkerInnen in Deutschland. Sie ist Vorsitzende des Vereins Zivile Koalition, der unter anderem eine Sammelklage gegen die EZB wegen des Ankaufs von Staatsanleihen organisierte, setzt sich ihm Rahmen der Allianz für den Rechtsstaat für die Rückgabe des im Zuge der Bodenreform in der DDR enteigneten Landes an die ehemaligen Großgrundbesitzer ein und mischt im Bürgerkonvent mit, an dem auch Hans-Olaf Henkel beteiligt war. Mit ihren marktfundamentalistischen und erzkonservativen Positionen gelten die Zivile Koalition und der Bürgerkonvent als eine Art deutsche Tea Party.

Nun ziehen von Storch und Henkel erneut in einer Organisation an einem Strang. Der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) kandidierte in Aschaffenburg erfolgreich für den zweiten Listenplatz. Zuvor musste Henkel sich allerdings noch von seiner früheren Forderung nach einem EU-Beitritt der Türkei distanzieren. Erst danach lag ihm der Saal zu Füßen. Henkel war erst kurz zuvor der Partei beigetreten.

Er bürge für die Seriosität der wirtschafts- und währungspolitischen Vorstellungen der AfD, sagte Lucke in seiner Eröffnungsrede. Henkel revanchierte sich artig in der Pose des hanseatischen Großbürgers. »Ich fühle mich wohl bei Ihnen«, so Henkel. Und er betonte, er habe mit unzähligen Mitgliedern und SympathisantInnen gesprochen, ohne je auch nur einem einzigen »Verrückten, Neonazi oder Spinner« begegnet zu sein. Die AfD bestehe ausnahmslos aus »Ehrenfrauen und Ehrenmännern, im Gegensatz zu dem, was man immer lesen muss«.

Zweifel an der Wahrnehmung des 73-Jährigen sind mehr als angebracht. »Zuwanderung hört da auf, wo die Identität eines Volkes verloren geht«, gab etwa Paul Hampel in Aschaffenburg zum Besten und schwadronierte über den »gnadenlosen Selbsthass« der politischen Elite in Deutschland: »Für sie muss Zuwanderung her, damit die Deutschen in einem großen europäischen Brei aufgehen«. Der langjährige Auslandskorrespondent der ARD in Asien ist Landesvorsitzender der AfD in Niedersachsen.

Man sieht, der zentrale Wahlslogan der AfD zur Europawahl »Mut zu Deutschland« passt wie die Faust aufs Auge. Ob marktradikal oder national-konservativ, im Kern ist die Partei nationalistisch.