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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 592 / 18.3.2014

Aufgeblättert

Stuart Hall

Der Argument-Verlag, dem das Verdient zukommt, Stuart Hall im deutschsprachigen Raum grundlegend bekannt gemacht zu haben, legt nun den fünften Band ausgewählter Schriften des kürzlich verstorbenen Soziologen vor. Im Fokus der in den Jahren 1980 bis 2011 entstandenen zwölf Texte, darunter drei Interviews bzw. Gespräche, stehen die Konzepte von »Staat und Demokratie« mehr oder weniger explizit vor dem Hintergrund von »Antonio Gramscis Hegemoniekonzept«. Einige Beiträge wurden zuvor an anderer Stelle auf Deutsch veröffentlicht, hier aber dankenswerterweise gebündelt. Die Texte sind grob chronologisch geordnet und »bewegen sich (...) im zeitlichen Maßstab von historischen Rekonstruktionen hin zu aktuelleren Entwicklungen«, auch der aktuellen Krisenkonstellation seit 2007/2008 und ihrer Deutung. So erfüllt sich die Absicht der HerausgeberInnen, Halls Forschungsarbeit nachvollziehbar zu machen. Neben der auf drei Artikel verteilten Auseinandersetzung mit dem Staat, darunter eine Besprechung von Poulantzas' Staatstheorie, finden sich drei der prominentesten Themen Halls: autoritärer Populismus, Thatcherismus und New Labour. Dabei entzieht sich Hall nicht der kritischen Auseinandersetzung, stellt sich der Kritik anderer und entwickelt seine eigene Position kritisch reflektierend fort. Alles in allem eine inspirierende Lektüre von enormer inhaltlicher Bandbreite. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Bände der Ausgewählten Schriften folgen.

Sebastian Klauke

Stuart Hall: Populismus, Hegemonie, Globalisierung. Ausgewählte Schriften 5, Argument Verlag, Hamburg 2014. 260 Seiten, 19 EUR.

Frauen im I. Weltkrieg

Die klassische Literatur über den Ersten Weltkrieg, auch die linke und pazifistische, handelt von Männern - in Schützengräben und Lazaretten, später dann bei revolutionären Umtrieben gegen den Krieg und die Mächte, die ihn zu verantworten hatten. Die Wiener Historikerin Christa Hämmerle zeigt, in welchem Maße der Erste Weltkrieg auch ein Krieg der Frauen war. Ihr Buch »Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n der Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn« (siehe Auszug in ak 590) behandelt wichtige Aspekte des weiblichen Beitrags zum Krieg. Frauen und Mädchen strickten Strümpfe und nähten Wäsche für die »Helden im Felde«, Pakete mit »Liebesgaben« sollten deren Kampfbereitschaft stärken: »Schicken wir reiche Gaben ins Feld, so kann der Frost unseren Kriegern nichts anhaben und wendet seinen ganzen Grimm dem Feinde zu.« Eine wichtige Rolle für den Durchhaltewillen der Männer spielten auch Feldpostbriefe - »Jammerbriefe« wurden von der Zensur nach Möglichkeit abgefangen. Frauen, die als Krankenschwestern Verwundete pflegten, waren durch die Gewalterfahrungen in ähnlicher Weise traumatisiert wie die Soldaten. In dem letzten Beitrag zeichnet Christa Hämmerle ein ambivalentes Bild der durch den Krieg ausgelösten »Krise der Männlichkeit«. Die Rede darüber, insbesondere von Offizieren, habe auch dazu gedient, die durch die »neuen weiblichen Partizipationsansprüche« bedrohte »hegemoniale Geschlechterordnung der Moderne erneut durchzusetzen.«

Jens Renner

Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n der Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2014. 279 Seiten, 29,90 EUR.

Sorgeökonomie

Seit einiger Zeit ist der Begriff Care-Arbeit in aller Munde. Doch was ist darunter eigentlich zu verstehen? Ist diese Arbeit im marxistischen Sinne nun wertschaffend oder nicht? Lässt sich im Bereich der sorgenden Tätigkeiten von einer Care-Krise sprechen? Diese Fragen und einige mehr behandelt das diesjährige Jahrbuch »Care statt Crash. Sorgeökonomie und die Überwindung des Kapitalismus« des Denknetz, eines Thinktanks im Umfeld der Schweizer Gewerkschaften, auf. Eine Stärke des Bandes ist, dass nicht nur theoretische Reflexionen aus dem Bereich der feministischen Ökonomie vertreten sind, sondern z. B. anhand einer Interviewstudie mit einer griechischen Ärztin (Beitrag Mikrogiannaki) oder einer Reflexion zu gewerkschaftlicher Organisierung im Schweizer Care-Bereich (Alleva/Pfister/Rieger) sowie allgemeinpolitischer Reflexionen zur Care-Revolution (Winker) aktuelle Handlungsnotwendigkeiten sichtbar werden. Für alle, die die theoretischen Debattenstränge zur Care-Ökonomie knapp und verständlich nachvollziehen möchten, bietet das Jahrbuch ebenfalls eine gute Lektürebasis (u.a. Beiträge von Knobloch, Haller/Corus). So vermittelt das Jahrbuch einen aktuellen Zugang zur Care-Thematik. Auch wenn »Care statt Cash« vielleicht der passendere Titel für solch ein Jahrbuch gewesen wäre: Welchen roten Faden die geneigte LeserIn wählt, ist ihr selbst überlassen. Alle Beiträge sind im Internet verfügbar unterwww.denknetz.ch.

Kristin Ideler

Hans Baumann u.a. (Hg.): Care statt Crash. Sorgeökonomie und die Überwindung des Kapitalismus. Denknetz Jahrbuch 2013. Verlag edition 8, Zürich 2013. 216 Seiten, 19 EUR.

NS-Kriegsverbrecher

Dr. Friedrich alias »Fritz« Bitter (1903-1957) aus Tirol ist ein überzeugter Nazi. Nach Abitur und dem Jurastudium tritt er - mittlerweile im Polizeidienst - der in Österreich verbotenen NSDAP bei. Tatkraft und Skrupellosigkeit empfehlen ihn für höhere Aufgaben. Gefördert von Heydrich und Himmler, erzwingt er als SS-Sturmbannfüher und Gestapo-Chef in Wien auch eigenhändig »Geständnisse«. 1941 wird er als Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Charkow zum Kriegsverbrecher, 1944 beteiligt er sich an der »Partisanenbekämpfung« in Italien, Massaker an der Zivilbevölkerung inbegriffen. Die Person Bitter, schreibt Ludwig Lahers »Erzähler« des Romans, sei »nur als Folie von Belang, (...) als schmerzliche Illustration für einen bemerkenswerten, keineswegs aber einzigartigen Sachverhalt«. Schmerzlich für die LeserInnen ist auch Bitters Nachkriegsgeschichte: Nicht für seine Beteiligung am Massenmord wird er in Österreich verurteilt, sondern allein wegen seiner illegalen Mitgliedschaft in der NSDAP. Der Erzähler berichtet das alles in einem distanzierten, teils zynischen Ton, etwa über die italienische Widerstandsbewegung: »Und diese kommunistischen bis katholischen Verbrecherbanden genießen bei Teilen der Bevölkerung leider erstaunlichen Rückhalt ...« Die exemplarische Handlung beruht auf Recherchen des Forschers Gottfried Gansinger, der Laher einen »prall gefüllten orangefarbenen Aktenordner« übergab. Laher hat die Dokumente zu einem verstörenden, lesenswerten Roman verarbeitet.

Daniel Ernst

Ludwig Laher: Bitter. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 237 Seiten, 19,90 EUR.