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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 593 / 15.4.2014

Krieg dem Krieg

Geschichte In den 1980er Jahren mobilisierte die bundesdeutsche Friedensbewegung Millionen. Lässt sich von ihr lernen?

Von Jens Renner

Gibt es auch dieses Jahr wieder nur Ostermärsche? Ist Frieden kein Thema für die radikale Linke - trotz der Ukraine-Krise, von der Leyens Aufruf, die NATO solle an ihrer Ostgrenze »Präsenz zeigen«, und diverser Appelle, auch des Bundespräsidenten, Deutschland müsse militärisch »mehr Verantwortung übernehmen«? Erscheint die Lage zu unübersichtlich, weil es zwar viele Böse, aber keine Guten gibt? Oder ist eine breite Friedensbewegung gar nicht wünschenswert, weil sich ihre Vorläuferin schon in den 1980er Jahren politisch diskreditiert hat? Der folgende Überblick soll einige wichtige Daten der jüngeren bundesdeutschen Bewegungsgeschichte in Erinnerung rufen.

Anfang der 1950er Jahre war es vor allem die (1956 verbotene) KPD, die Massenproteste gegen die »Wiederbewaffnung« organisierte. Aber auch SozialdemokratInnen, ChristInnen und PazifistInnen demonstrierten gegen die Wiederaufrüstung, den NATO-Beitritt (1955) und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (1956). Ab 1957 agitierte die Bewegung »Kampf dem Atomtod« gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, 1960 fand der erste »Ostermarsch der Atomwaffengegner« statt.

Für die westdeutsche Neue Linke um 1968 war Frieden kein vorrangiges Thema. Die Vietnam-Solidarität, seit Mitte der 1960er Jahre ein wichtiges Aktionsfeld der Außerparlamentarischen Opposition (APO), war überwiegend nicht pazifistisch, sondern antiimperialistisch orientiert. Von Che Guevara wurde die Parole übernommen »Schafft zwei, drei, viele Vietnam«. Als ab 1969 die »palästinensische Revolution« entdeckt wurde, ging es den westdeutschen Linksradikalen ebenfalls nicht um Frieden, sondern um die Unterstützung der RevolutionärInnen. In den 1970er Jahren kamen die afrikanischen Befreiungsbewegungen hinzu, die - u.a. in Angola, Mosambik, Zimbabwe und Namibia - den bewaffneten Kampf gegen den Kolonialismus führten.

Die Ostpolitik der seit 1969 regierenden sozialliberalen Koalition unter der Formel »Wandel durch Annäherung«, die Verhandlungen über nukleare Rüstungskontrolle (SALT) und über die Begrenzung konventioneller Rüstung in Europa (MBFR) sowie die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) wurden von der westdeutschen Linken unterschiedlich bewertet. Die DKP und ihre Bündnisorganisationen agitierten unermüdlich für die (von der CDU/CSU abgelehnte) Ratifizierung der Ostverträge und dafür, »die Entspannung unumkehrbar zu machen«. Radikale Linke hielten das für eine gefährliche Illusion und Kapitulation vor dem Imperialismus.

Eine Skurrilität am Rande waren die »Vaterlandsverteidiger« u.a. von der KPD/AO, die - in Anwendung der chinesischen Drei-Welten-Theorie - für die Stärkung der NATO eintraten und davor warnten, die bundesdeutsche Ostpolitik begünstige die Expansion des sowjetischen »Sozialimperialismus« gen Westen. Auch bei der Gründung der Grünen Partei mischten sie mit - im Bündnis mit rechten, »wertkonservativen« Grünen. Als die meisten von diesen 1980 austraten, war die innerparteiliche Friedensfrage bis auf weiteres geklärt: zugunsten eines klaren Bekenntnisses zur Gewaltfreiheit, auch in den internationalen Beziehungen. Im grünen Parteiprogramm von 1980 finden sich Forderungen wie »Abbau der Bundeswehr«, »Abschaffung des Militärdienstes« und »sofort beginnende Auflösung der Militärblöcke«. Der Arbeiterkampf würdigte das in einem längeren Artikel mit der Überschrift »Grüne: Partner im Kampf für den Frieden«. (AK 177, 18.5.1980)

Millionen gegen die NATO-»Nachrüstung«

Auslöser für die Entstehung einer neuen westdeutschen Friedensbewegung war die NATO-»Nachrüstung«: die Aufrüstung der NATO mit Mittelstreckenraketen (Pershing II) und Marschflugkörpern (Cruise Missiles), um einen angeblichen Rüstungsvorsprung der Sowjetunion auszugleichen. Sie wurde im Dezember 1979 beschlossen - nach jahrelanger Debatte, in der sich Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) als treibende Kraft hervorgetan hatte. Zwischen 1981 und 1983 demonstrierten in der BRD Hunderttausende gegen die Nachrüstung. Die größten Demonstrationen gab es in der Bundeshauptstadt Bonn. Im Oktober 1983 kam dort eine halbe Million Menschen zusammen. Als weitere Protestform etablierten sich Sitzblockaden, oft auch von Prominenten, an den Standorten der Raketenaufstellung, und Unterschriftensammlungen für Friedensappelle. Den Krefelder Appell unterschrieben vier Millionen Menschen. Verhindert werden konnte die Nachrüstung dennoch nicht. Bis 1987 wurden allein in der BRD 108 Pershing-II-Raketen und 64 Marschflugkörper stationiert.

Erst nach dem Amtsantritt Michail Gorbatschows als Generalsekretär der KPdSU entspannte sich die Situation. Die zwischen dem Westen und der Sowjetunion 1987 ausgehandelte »Nulllösung« lief auf den gleichzeitigen Abbau von Mittelstreckenraketen in beiden Lagern hinaus. Führende westliche PolitikerInnen der NATO-Staaten werteten das als Erfolg ihrer Politik der atomaren Erpressung. Die allerdings hätte auch anders ausgehen können. Denn mit der »Nachrüstung«, die in Wirklichkeit die strategische Überlegenheit des Westens zum Ziel hatte, wäre ein begrenzter Atomkrieg führbar geworden - so zumindest die Einschätzung linker KriegsgegnerInnen. Dass auch westliche Strategen einen solchen Krieg einkalkulierten, zeigt der vielzitierte Ausspruch des US-amerikanischen Verteidigungsministers Caspar Weinberger aus dem Jahr 1981, der feindliche Block werde entweder »mit einem Winseln oder mit einem Knall« zusammenbrechen.

»Runter von den Zuschauerbänken«

Mit der deutschen Vereinigung 1990 und der Auflösung der Sowjetunion ein Jahr später endete die jahrzehntelange Blockkonfrontation. Der Kalte Krieg, der zum heißen hätte werden können, den Einsatz von Atomwaffen eingeschlossen, war beendet. Was nicht hieß, das nun ein Zeitalter des Friedens angebrochen wäre. In Deutschland begann eine immer lauter werdende Agitation für die Beteiligung an Kriegen: Man müsse endlich »runter von den Zuschauerbänken« und weg von der »Scheckbuchdiplomatie«, forderten die Scharfmacher innerhalb der regierenden schwarzgelben Koalition. Die oppositionelle SPD, wie üblich in der Defensive, wollte deutsches Militär anfangs nur in Blauhelmmissionen unter UN-Mandat eingesetzt sehen. Dass sie diese Rückzugsposition alsbald räumen würde, war absehbar.

Derweil widersetzte sich die Linke den deutschen Großmachtambitionen, teils auch mit alarmistischen Warnungen vor einem »Vierten Reich« und dem dritten deutschen »Griff nach der Weltmacht«. Schon wenig später allerdings war es mit der antimilitaristischen Einheitsfront vorbei. Zu Beginn des zweiten Golfkriegs im Januar 1991, als eine von den USA geführte Koalition den Irak angriff, gab es zwar noch eindrucksvolle Demonstrationen. Ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Linken allerdings lief zum »Bellizismus« über: in das Lager der KriegsbefürworterInnen. Begründet wurde das mit der angeblich existenziellen Bedrohung Israels durch irakische Giftgasangriffe.

Als stilbildend erwiesen sich hierbei die Hamburger Magazine konkret (Gremliza, Pohrt, Schneider) und Der Spiegel (Enzensberger, Broder, Biermann). So wurden in konkret (3/1991) linke KriegsgegnerInnen mit den »Volkssturmabteilungen der Hitlerjugend« und den »Verbänden der Aktion Werwolf« verglichen, während Der Spiegel (18/1991) der Friedensbewegung den »unbewussten, aber überaus heftigen Wunsch« unterstellte, »Saddam Hussein möge die historische Chance nutzen und den Job vollenden, den die Nazis nicht zu Ende bringen konnten.«

Nachträglich wurde im antideutschen Lager nun auch die Friedensbewegung der 1980er Jahre als »nationalistisch« gegeißelt. Die offiziellen Demo-Aufrufe und Friedensappelle geben für diese Anklage nichts her. Die in der Bewegung einflussreichen Jusos und anderen linken SozialdemokratInnen, Organisationen des christlichen Spektrums wie die Studentengemeinden oder die Aktion Sühnezeichen sowie insbesondere die DKP, als die am besten organisierte und zahlenmäßig stärkste Kraft, hatten überhaupt kein Interesse an einer »gesamtdeutschen« Ausrichtung der Bewegung. Die allermeisten nicht parteigebundenen Promis, die sich der Bewegung anschlossen, waren ebenfalls sozialdemokratisch oder linksliberal orientiert - man denke an Inge und Walter Jens, Heinrich Böll, Günter Grass, Martin Niemöller, Horst Eberhard Richter, Dorothee Sölle oder Luise Rinser. Ein Nationalist reinstes Wassers war der ehemalige CSU-Politiker und Friedensforscher Alfred Mechtersheimer, der als »Gegenexperte« 1987 für die Grünen in den Bundestag einzog. Später fand er sich am äußersten rechten Rand wieder.

Die Grünen ziehen in den Krieg

Der Einfluss rechter »Neutralisten«, die gegen die »Besatzer« hetzten und Deutschlands uneingeschränkte Souveränität forderten, blieb in den 1980er Jahren begrenzt. Dagegen fanden radikale Linke in ihren Hochburgen durchaus Gehör für weitergehende Forderungen nach Austritt aus der NATO bzw. deren »Zerschlagung«, einseitiger Abrüstung der BRD, Totalverweigerung. Insgesamt aber blieb die Friedensbewegung der 1980er Jahre eine »Anti-Raketen-Bewegung«.

Nachdem die deutsche Linke sich über den zweiten Golfkrieg zerstritten hatte, fand sie auch keine einheitliche Position gegenüber den jugoslawischen Kriegen, die im Juni 1991 in Slowenien begannen. Gemeinsame Aktionen der Friedensbewegung blieben aus. Im Sommer 1995, nach dem Massaker in Srebrenica, erkannten die grünen Realos die Gelegenheit, das Entsetzen über den Massenmord an 7.000 Muslimen durch bosnische Serben für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. In einem offenen Brief an seine Partei forderte Joschka Fischer eine neue Beschlusslage. Während er vorsichtig von »militärischem Schutz« für die Zivilbevölkerung sprach, wurde seine weitergehende Absicht sehr wohl verstanden. Offensichtlich wollte er »vom Besonderen zum Allgemeinen gelangen: vom Krieg in Bosnien dazu, wie die Grünen künftig mit der neuen Gewalt in der internationalen Politik umzugehen gedenken«, kommentierte die Frankfurter Rundschau. (2.8.1995)

Im Frühjahr 1999 wandten sich die Grünen, inzwischen Regierungspartei, endgültig vom Pazifismus ab: Nur eine Minderheit widersetzte sich der deutschen Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien, der mit einem angeblich drohenden Völkermord an den Kosovo-AlbanerInnen begründet wurde. Den zweiten deutschen Kriegsbeitrag unter der rotgrünen Regierung, ab Herbst 2001 in Afghanistan, begleitete eine ähnliche Agitation: Der Krieg richte sich gegen den Terrorismus, er diene »Deutschlands Sicherheit«, den Menschenrechten und der Frauenemanzipation. Obwohl dieser Krieg innerhalb der deutschen Bevölkerung - aus unterschiedlichen, nicht nur legitimen Gründen - nie besonders populär war, schaffte es die Friedensbewegung doch nicht, massenhafte Proteste zu organisieren.

Das gelang erst wieder 2003, als eine »Koalition der Willigen« ein zweites Mal nach 1991 den Irak angriff. Deutschland unterstützte den Krieg nur mittelbar - durch AWACS-Aufklärungsflüge, die Bundesmarine am Horn von Afrika, ABC-Spürpanzer in Kuwait oder die Gewährung von Überflugrechten. Nach außen hin gerierte sich die Berliner Republik als Friedensmacht - namentlich der sozialdemokratische Kanzler Schröder und sein grüner Außenminister Fischer liefen zur Höchstform auf.

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Mobilisierungserfolge wie 2003 konnte die Friedensbewegung seitdem nicht mehr organisieren. Im Dezember 2011 demonstrierten in Bonn noch einmal knapp 5.000 Menschen gegen den Krieg in Afghanistan. Kleinere Proteste gab es gegen Israels Angriffe auf den Libanon und Gaza und gegen den Interventionskrieg in Libyen. Andere Kriege waren allenfalls Gegenstand antimilitaristischer Publizistik, aber kaum Anlass für öffentlichkeitswirksame Aktionen. Das gilt insbesondere für Kriege, die relativ »weit weg« stattfinden und deren Motive, Verursacher und Konfliktparteien nur schwer durchschaubar erscheinen. Seit 1990 kamen schätzungsweise fünf Millionen Menschen in kriegerischen Konflikten ums Leben, ein großer Teil von ihnen, ohne dass dies nennenswerte Proteste deutscher »FriedensfreundInnen« hervorgerufen hätte. Insofern trifft der Vorwurf der selektiven Wahrnehmung.

Bedacht werden muss allerdings, dass es sich um eine in politischer und sozialer Beziehung sehr heterogene Bewegung handelte, insbesondere in den Zeiten ihrer größten Mobilisierungserfolge. So konnte die Friedensbewegung der 1980er Jahre für sich in Anspruch nehmen, einen Querschnitt der Bevölkerung zu repräsentieren. Die Millionen, die damals auf die Straße gingen, taten das, weil sie befürchteten, selbst Opfer eines Atomkrieges zu werden. Nach dem Ende der Bedrohung durch die Kapitulation des feindlichen Lagers war für sie wieder alles im Lot.

Aus heutiger Perspektive lassen sich einige grobe Linien ausmachen: die Phase des »Nie wieder Krieg« in den 1950ern, die sich gegen jegliches bundesdeutsches Militär (»Wiederbewaffnung«) richtete; die vom Aufbruch um 1968 geprägten Jahre des revolutionären, antiimperialistischen Überschwangs; die Proteste gegen die »Nachrüstung« in den 1980er Jahren, als die atomare Bedrohung real zu werden schien; der Rückgang der Bewegung nach dem Ende der Blockkonfrontation, mit einzelnen Protesten gegen Interventionskriege des »Westens« (Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Libyen).

Appelle zum Anknüpfen an die alten Zeiten wären sinnlos. Auch die Massenbewegung gegen den Irakkrieg von 2003 taugt nicht als Vorbild für künftige Erfolge. Damals sahen sich die meisten Demonstrierenden mit »ihrer« Regierung im selben Boot - die bösen Kriegstreiber waren die Amis. Gegen die war und ist die Mobilisierung relativ einfach. Dass der Hauptfeind im eigenen Land zu suchen ist, war in der bundesdeutschen Friedensbewegung stets eine Minderheitsposition. Die jüngsten Reden der Damen und Herren von der Leyen, Steinmeier, Gauck u.a. bieten Ansatzpunkte, für diese Position zu werben. Das geht auch bei den Ostermärschen.