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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 593 / 15.4.2014

Jenseits sozialer Spaltung

Aktion Die Care-Konferenz markiert den Beginn weiterer Vernetzung

Von Ann Wiesental

Die Aufregung im Vorfeld der Care-Revolution-Aktionskonferenz war nicht nur bei den OrganisatorInnen groß. Bei 400 Anmeldungen wurde bereits zwei Wochen vor Konferenzbeginn die Anmeldemaske im Internet geschlossen. Zum Auftakt kamen dann 500 Menschen und selbst der große Saal reichte nicht aus. Eine Liveübertragung in den Salon nebenan sollte das Platzproblem beheben. Die überwältigende Resonanz zeigt, dass sich etwas bewegt. Viele Personen und Gruppen reisten von außerhalb Berlins an, kamen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum in die Hauptstadt, um sich ein Wochenende lang auszutauschen. Die interessierten Teilnehmenden brachten Erfahrungen aus zum Teil langjährigem Engagement und Aktivitäten mit. Das Thema Care brennt vielen unter den Nägeln, denn die »Care-Lücken« im Alltag, also der über das öffentliche Angebot hinausgehende Bedarf an Pflege- und Haushaltskräften, eine Folge von Zeitdruck und Ressourcennöten, werden immer deutlicher.

Die Initiative für die Care-Revolution-Aktionskonferenz ist aus der feministischen sozialen Bewegung entstanden. In den letzten Jahren liefen dort verschiedene Fäden zusammen. Bereits die Konferenz »Who Cares?«, die im Frühjahr 2010 in Berlin stattfand und an der 400 Menschen teilnahmen, brachte queerfeministische und ökonomiekritische Perspektiven zusammen. Seit dem Frühjahr 2013 bereitete der AK Reproduktion nun gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Feministischen Institut Hamburg die Care-Revolution-Aktionskonferenz vor.

Wir sprachen bewusst aktive Basisgruppen und keine großen Dachverbände an. Zudem wählten wir einen breiten Begriff von sozialer Reproduktion, denn entscheidend war für uns nicht die akademische Debatte darüber, was der bessere Begriff ist: Care, Sorgearbeit oder soziale Reproduktion. Ebenso wenig interessierte uns, wie der Bereich wissenschaftlich abgegrenzt werden kann. Vielmehr wollten wir Menschen und Basisinitiativen ansprechen, die Care-Lücken erfahren, die die Verhältnisse im Alltag erleben, die an Systemgrenzen stoßen und sich deshalb für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen einsetzen. Es kamen Basisgruppen aus den verschiedenen Feldern sozialer Reproduktion und die dort politisch aktiv sind: Gesundheit, Pflege, Assistenz, Erziehung, Bildung, Wohnen, Haushaltsarbeit und Sexarbeit. Inzwischen gehören über 60 Gruppen dem Care-Revolution-Netzwerk an, das weiter gemeinsam aktiv sein will.

In den Debatten auf der Aktionskonferenz ging es immer wieder um das Gemeinsame, das Verbindende. Eine geteilte zentrale These war, dass die Krise sozialer Reproduktion strukturell ist und sich zudem weiter zuspitzen wird.

Ausgehend von den Alltagserfahrungen wurde festgestellt, dass man nicht eine gemeinsame Identität oder eine gleiche Erfahrung teilt. Dafür sind die Missstände in der sozialen Reproduktion zu vielfältig und die gesellschaftlichen Positionierungen zu unterschiedlich. Gemeinsam wurde jedoch festgestellt, dass es einen Systemwechsel geben muss. Für viele ist zudem klar: ein zurück zum Wohlfahrtsstaat sollte es nicht geben, denn er steht im Widerspruch zwischen Profitmaximierung und sozialer Reproduktion nicht aufseiten derjenigen, die bedürftig sind, sondern stabilisiert vielmehr die kapitalistische Ökonomie. Der Staat verteilt zwar Ressourcen um, investiert in Bereiche der sozialen Reproduktion, deren Sicherstellung nicht Zweck der kapitalistischen Ökonomie ist, doch diese Politik hat ihre systemischen Grenzen, ist Kostenfaktor und ermöglicht kein gutes Leben für alle Menschen. Das zeigt sich vor allem an den rassistischen Strukturen und den zunehmenden Kürzungen im sozialen Bereich.

Eine Herausforderung wird für das Care-Revolution-Netzwerk der Umgang mit der weißen Hegemonie sein. Ein feministischer Aufbruch ist nur legitim, wenn er Antirassismus ernst nimmt und Perspektiven von MigrantInnen und People of Color nicht nur hinzuaddiert, sondern eine grundlegende Perspektivänderung stattfindet, um nicht zu einer weißen, mehrheitsdeutschen Interessenvertretung zu werden. Hier liegt noch ein langer Weg vor uns.

Eine dritte Herausforderung ist, dass das Netzwerk einen Knotenpunkt bildet, der Raum schafft, um Interessensgegensätze zwischen Gruppen und Positionen zu verhandeln. Auf der Aktionskonferenz konnte damit begonnen werden. Gegensätze bestehen nicht nur zwischen Interessen von AktivistInnen in der Behindertenbewegung (AssistenznehmerInnen) und LohnarbeiterInnen in der Assistenz oder zwischen der Forderung nach Grundeinkommen und dem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und Mindestlohn, sondern auch zwischen queeren Perspektiven, die sich immer wieder mit einer starken Fokussierung auf heteronormative Familienmodelle konfrontiert sehen. Auch wird bei der Care-Debatte das Geschlecht immer wieder ausgeblendet und Frauen als Ressource und Trägerinnen der sozialen Reproduktion nicht benannt. Viele trieb zudem die Frage um, wie Care-Communities jenseits des Wohlfahrtstaats aussehen könnten. Thema war auch die Suche nach einer gemeinsamen Öffentlichkeit, die über ein (queeres) Nischenleben hinausgeht und nicht den Wohlfahrtsstaat anruft, wie also perspektivisch eine Vergesellschaftung ohne Staat aussehen könnte.

Diese und andere Fragen werden das Netzwerk weiter beschäftigen. Unter anderem beim nächsten Treffen am 23. Mai in Hannover, zu dem alle herzlich eingeladen sind. Am 1. Mai thematisiert das Netzwerk dezentral unsichtbare Arbeit und beteiligt sich an verschiedenen 1.-Mai-Demos. In der dritten Maiwoche finden in verschiedenen Städten Care-Aktionen im Rahmen von Blockupy statt. Zum Beispiel wird es am Sonntag, den 18. Mai, in Berlin einen Aktionstag geben. Diese Aktivitäten sind Teil des gemeinsamen Ringens um andere Reproduktionsverhältnisse, eine andere Kollektivität, die tendenziell den Rahmen von Verwaltung, Individualisierung und sozialer Spaltung sprengt. Care-Revolution!

Ann Wiesental ist im AK Reproduktion und der queerfeministischen Bewegung aktiv. Eine Abschlussresolution der Aktionskonferenz findet sich unter care-revolution.site36.net.