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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 593 / 15.4.2014

Interviews mit Wanderarbeiterinnen

Von Hao Ren und anderen

Die AutorInnen des Buches »Streiks im Perlflussdelta«, dem Zentrum der Weltmarktproduktion in Südchina, arbeiten selbst in Fabriken. In den Jahren 2010 und 2011 interviewten sie streikende ArbeiterInnen in den Industriezonen von Shenzhen und Dongguan. Wir dokumentieren einige leicht gekürzte und redaktionell bearbeitete Auszüge aus diesen Interviewprotokollen.

Die Kraft der Kooperation

Damals rollte bereits eine Streikwelle, in deren Verlauf in zwei nahegelegenen Fabriken die Arbeit niedergelegt worden war. In beiden Fällen hatte die Firmenleitung sofort die Löhne erhöht, und diese Erfolgsfälle wirkten als Vorbilder für den Streik in Lans Fabrik. Als sie von den Ergebnissen erfuhren, stieg das Vertrauen der ArbeiterInnen in ihre eigene Kampfstärke erheblich.

In Lans Fabrik wurde die Arbeit nach Stunden bezahlt, und die Linienführer kontrollierten die Geschwindigkeit des gesamten Fließbandes. Unter den ArbeiterInnen entwickelte sich jedoch während der täglichen Montagearbeit ein stillschweigendes Vertrauensverhältnis. Wenn sie Teile nicht fertig montieren konnten, stapelten Lan und ihre KollegInnen sie auf. Sie verweigerten die Kooperation und zeigten so ihre Unzufriedenheit. Besonders wenn der Linienführer gerade nicht anwesend war, übernahm Lan das Ruder und ließ alle etwas langsamer arbeiten. Auch wenn Zeitnehmer kamen, um die für einzelne Arbeitsschritte benötigten Sekunden zu messen, arbeiteten alle langsamer.

Manchmal warf Lan mit aller Kraft Teile durch den Raum, um ihre Wut herauszulassen. Je länger eine Frau im Betrieb war, desto mehr nahm sie sich heraus. ArbeiterInnen, deren Kündigung von der Firmenleitung nicht akzeptiert wurde, arbeiteten zudem absichtlich langsamer, bis sie schließlich doch entlassen wurden. Diese regelmäßigen Drosselungen des Arbeitstempos waren eine gute Übung. Alle ArbeiterInnen einer Linie gingen gemeinsam vor und zeigten so ihre Unzufriedenheit. Das so entwickelte gegenseitige Verständnis war in nachfolgenden Kämpfen äußerst wichtig.

Ursachen des Streiks waren die aufgestaute Wut der ArbeiterInnen über die schlechten Arbeitsbedingungen, die harte und anstrengende Tätigkeit und die niedrigen Löhne. Der Streik selbst wurde von eher qualifizierten ArbeiterInnen und Führungskräften der unteren Ebene initiiert und von den ProduktionsarbeiterInnen positiv aufgenommen und unterstützt. Zwar existierten Netzwerke von ArbeiterInnen aus derselben Herkunftsregion, aber während des Streiks hatten diese keine große Bedeutung. Die Betriebsschlosser schrieben ein Flugblatt, um für die Aktion zu mobilisieren, aber einfache ProduktionsarbeiterInnen wie Lan hatten nicht den Eindruck, dass der Streik genauer vorbereitet worden war. Am Tag der Aktion wurde kein vorher abgestimmter Plan umgesetzt, sondern erst vor Ort über das Vorgehen entschieden - den Streikbeginn, die Demonstration auf der Straße, die Verhandlungen und so weiter.

Lan war nach ihrer Streikteilnahme aufgeregt und glücklich. Sie freute sich schon auf den nächsten, weil sie erkannt hatte, dass ein Streik die Bedingungen der ArbeiterInnen verbessern kann. Vorher hatte sie schon andere Methoden eingesetzt, um ihre Unzufriedenheit auszudrücken, und zum Beispiel ihre Vorschläge aufgeschrieben und in den Beschwerdebriefkasten geworfen. Das hatte jedoch nichts gebracht. Gemeinsam mit allen in den Streik zu treten, war etwas ganz anderes. Das führte sofort zu Ergebnissen, und darin kam die kollektive Macht der ArbeiterInnen zum Vorschein.

Arbeiterin in einer Telefonfabrik

Ein Ruck ging durch die Halle

Ich war damals noch nicht lange in der Fabrik, also unbedarft, voller Energie und leicht zu begeistern. Alle sagten, es ist Streik, also machte ich mit. Zuerst wurde die Arbeit in der Produktion von Elektromotoren für Automobile niedergelegt. Es wird erzählt, dass die Anführerin des Streiks, eine Gruppenleiterin aus dem zweiten Stock, mit einem von der Mafia verheiratet ist. Sie kann sich also trauen, die Führung zu übernehmen. Die meisten ArbeiterInnen kommen aus Henan und Hubei, und die Neuigkeit vom Streik verbreitete sich unter den ArbeiterInnen der jeweiligen Herkunftsprovinzen über SMS-Nachrichten.

Es kursierte das Gerücht, dass die Tagesschicht im Streik war - was gar nicht stimmte - und wir von der Nachtschicht auch streiken sollten. Ich befand mich im dritten Stock, wo Leute herumliefen und riefen, dass im vierten Stock gestreikt werde. Daraufhin wurden die Arbeitsaufgaben an den Linien nur noch halbherzig und sehr langsam verrichtet. Die Leute arbeiteten zwar noch, diskutierten aber ununterbrochen darüber, dass sie auch streiken sollten. Das ging so, bis eine junge Arbeiterin das Teil, das sie in der Hand hatte, fallen ließ, sich die Handschuhe auszog und diese wegwarf. Ein Ruck ging durch die Halle.

Am nächsten Tag tauchten VertreterInnen etlicher Behörden und eine größere Einheit der Bereitschaftspolizei in der Fabrik auf. Ein Funktionär der Gewerkschaftszentrale von Shenzhen nahm sich ein Megaphon und rief, der Streik sei illegal und wir müssten zurück an die Arbeit gehen. Wenn wir Forderungen hätten, sollten wir sie der Fabrikleitung mitteilen. Daraufhin sagte ein Arbeiter, dass wir höhere Löhne verlangten. Der Funktionär fragte, wie hoch die Lohnerhöhung ausfallen sollte, und die ArbeiterInnen nannten ihm eine Zahl. Er meinte, die Firma hielte die Höhe des Mindestlohns von Shenzhen bereits ein, daher könnten die Löhne nicht in dem Maße erhöht werden. Ich befand mich mitten unter den ArbeiterInnen und hörte mir die Klagen und Beschwerden an, bevor ich selbst das Wort ergriff und sagte, dass der Lohn so niedrig sei und ich nicht mal mehr Geld nach Hause schicken könne. Einer der Leute, die mit dem Gewerkschafter in der Fabrik aufgetaucht waren, schaute mich böse an und bedeutete mir, den Mund zu halten.

Arbeiterin in einer Elektromotorenfabrik

Ju macht Stress

Einige ArbeiterInnen griffen, ohne viel Worte darüber zu verlieren, auf kleine Stör- und Sabotageaktionen zurück, um ihrer Unzufriedenheit über die Beschimpfungen und die unsinnige Produktionsorganisation Ausdruck zu verleihen. Ju selbst machte so was häufiger. Der Gruppenleiter ihrer Linie hatte oft nichts zu tun und kam herüber, um sie zu necken. Er sprach dann zum Beispiel laut über eine Liebesschnulze im Fernsehen, die sie nicht gesehen hatte. Ihr ging das mächtig auf die Nerven. Als sie in der Verpackung arbeitete, tütete sie dann absichtlich defekte Produkte ein, und als der Gruppenleiter sie mal blöd von der Seite anmachte, kippte sie wütend und ohne ein Wort zu sagen einen auf dem Band stehenden kopfhohen Stapel von Teilen auf den Boden. Die Gruppenleiterassistentin kam herübergelaufen und schrie: »Was geht hier vor?!« Ju sagte nichts und arbeitete weiter. Der Gruppenleiter und die Assistentin waren sprachlos. Der Gruppenleiter wollte ihr eine Verwarnung erteilen und wies sie an, sich an eine Wand zu stellen. Sie rieb ihren Fuß an der Wand auf und ab, sodass sich dort eine Reihe dreckiger Fußabdrücke zeigte. Zur Strafe musste sie die hohen Fenster putzen, aber sie stellte sich auf die Fensterbank und hinterließ auch diese in einem schrecklichen Zustand. Manchmal warf Ju auch funktionsfähige Teile in die Toiletten und verstopfte sie dadurch. Sie dachte nie daran, sich zu beschweren oder sich gegen den Firmenchef zu stellen. Es ging nur darum, den Gruppenleiter fertigzumachen.

Arbeiterin in einer Induktorenfabrik