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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 593 / 15.4.2014

Kampf in der Timeline, Streik im Betrieb

Wirtschaft & Soziales Welche Rolle spielen soziale Medien bei Streiks und Tarifkonflikten?

Interview: Daniel Weidmann

Streiks im Öffentlichen Dienst bringen den Alltag vieler Leute durcheinander. Spätestens seit die meisten ein internetfähiges Smartphone in der Hosentasche haben, kann sich der Ärger darüber schnell verbreiten. Entsprechend häufen sich die wutschnaubenden Kommentare auf Nachrichtenportalen, wenn mal wieder gestreikt wird. Doch die Kommentarspalten und Statuszeilen von Twitter, Facebook und Co. ermöglichen es nicht nur, dem Ärger über die hohe Taxirechnung infolge einer bestreikten Buslinie Ausdruck zu verleihen. Sie erlauben es auch den Streikenden in viel größerem Maße, sich in die öffentliche Diskussion und die politische Rechtfertigung von Arbeitskämpfen einzuschalten. Darüber, wie das die Streik-Öffentlichkeit verändert, sprach ak mit Romin Khan, der unter anderem die Facebook- und Twitterauftritte von ver.di betreut.

Was war in den sozialen Medien in den vergangenen Wochen rund um die Streiks im Öffentlichen Dienst so los?

Romin Khan: Einiges! Wir hatten mit Beginn der ersten Warnstreikwelle in Nordrhein-Westfalen Mitte März, die die Kitas und den öffentlichen Nahverkehr betraf, alleine auf der zentralen ver.di-Facebookseite täglich bis zu 800 Kommentare und Einträge. Dass der Hashtag #Streik mehrere Tage unter den zehn wichtigsten Thementrends bei Twitter auftauchte ...

Ist das die Box, wo sonst nur Justin Bieber und #Jauch zu finden sind?

So ist es. Es zeigt, wie viele Tweets auch bei Twitter zu den Arbeitskämpfen im Öffentlichen Dienst die Timelines dominierten und durchs Netz rauschten. Die Polarisierung in der Bevölkerung bot einen perfekten Resonanzraum, um auf die Verbindung zwischen dem gesellschaftlichen Bedarf nach einem gut ausgestatteten Öffentlichen Dienst und den materiellen Interessen der dortigen Beschäftigten hinzuweisen und für die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen zu werben. Einige unserer dazu angefertigten Grafiken erreichten schnell den so sagenumworbenen viralen Effekt und verbreiteten sich im Netz fast eine halbe Million mal.

Du sprachst von einer größeren Beteiligung der Streikenden an den Diskussionen. Wie sah die aus?

In der Vergangenheit waren es vor allem unsere Kritiker, die die sozialen Netzwerke dazu genutzt haben, sich über uns zu beschweren. Diesmal waren die Streikenden viel präsenter und haben den Streikgegnern auf unserer Facebookseite ordentlich Kontra gegeben. Das war ein offenes Match. Vor allem wurde durch all die O-Töne der streikenden Busfahrerinnen und Busfahrer, Erzieher und Flughafenbeschäftigten deutlich, dass hier nicht »irgendwelche entfernten Verwaltungsangestellten« streiken, sondern Leute wie du und ich, auf deren Arbeit niemand verzichten kann und will.

Findet diese Diskussion nur auf der ver.di-Seite statt?

Nein, mittlerweile finden solche Auseinandersetzungen überall statt, sei es in den Kommentarspalten der Onlineauftritte der großen Zeitungen, auf Stadtportalen oder - was auch sehr interessant ist - auf den Facebookseiten der Nahverkehrsunternehmen. Wenn die Streikenden und Unterstützer unsere Grafiken auf ihren Nutzerprofilen teilen, setzt sich die Diskussion auch in ihrem persönlichen sozialen Umfeld fort. Das bedeutet viel. Neben der natürlich sehr willkommenen Verbreitung unserer eigenen Beiträge weicht diese Verzweigung auch die mediale Stellvertreterrolle der Gewerkschaft auf. Denn wenn die Menschen ihren Freundinnen und Freunden, ihren Kolleginnen und Nachbarn selbst erklären, warum sie sich zum Streik entschlossen haben oder ihn unterstützen, wird deutlich, dass es eine breite Zustimmung zu den Forderungen der Gewerkschaft nach Anerkennung und besseren Arbeitsbedingungen gibt.

Und die Gegner?

Das ist teilweise ganz schön heftig, was einem da so entgegengeschleudert wird. »Wenn euch euer Gehalt nicht passt, sucht euch doch einen anderen Job! Jeder weiß doch, auf was er sich einlässt, wenn er einen Arbeitsvertrag unterschreibt« ist einer meiner Lieblingsklassiker. Auf der Facebookseite »Grundrecht nervt« (1) hat ein Kollege die größten Knaller der letzten Wochen zusammengestellt, vieles schreit geradezu nach öffentlicher Verlesung im Stile der Hate Poetry Abende von Deniz Yücel, Mely Kiyak und Co. (2) Es gibt grob gesagt drei Typen von Kritikern. Neben den lauten, aber eher seltenen genuinen Gewerkschaftshassern, deren Beiträge von Beleidigungen und Gewaltfantasien nur so strotzen, sind mir vor allem zwei Arten von Kritikern aufgefallen: Die große »Ich-hab-ja-nichts-gegen-Streiks-aber«-Fraktion, die dann von Geiselnahme oder übertriebenen Maßnahmen spricht. Und dann liest man immer wieder Beiträge nach dem Motto »Euch geht es doch so gut, ich verdiene so viel weniger und kann auch nicht streiken«. Hier kann man sicherlich am ehesten einhaken und diskutieren. Außerdem gibt es natürlich noch jede Menge sehr emotionale Beiträge von Leuten, die stundenlang im Stau standen oder Stress im Berufsleben haben, weil ihre Kinder streikbedingt nicht betreut werden. Das erfordert Verständnis. Basierend auf der Annahme, dass bei dem Streik die Falschen getroffen werden, gab es ironischerweise viele fast schon subversive Vorschläge, die Automatenwartung oder Verkaufsstellen zu bestreiken.

Was folgt aus euren Erfahrungen?

Sie machen vor allem deutlich, dass wir bei Streiks mehr als bisher um Verständnis werben müssen und klare Angebote zur Solidarisierung brauchen. Der Kampf um die Deutungshoheit über die Legitimität von Arbeitskämpfen erweitert sich auf die sozialen Medien. Ob der Streik gewonnen wird, entscheidet sich auch dort. Da viele in den Gewerkschaften wissen, dass sich mit der Zugänglichkeit und der Resonanz in sozialen Medien die Hemmschwelle, mal so richtig abzukotzen, deutlich gesenkt hat, neigen sie dazu, diese Ebene komplett zu ignorieren. An sich ist das eine entspannte Haltung zur eigenen politischen Praxis, die sich wohltuend vom PR-Blick der NGOs und Parteien unterscheidet. Doch in einem längeren Konflikt ist diese Herangehensweise kontraproduktiv. Denn dauerhaft bergen soziale Netzwerke die Gefahr, dass die Streikgegner einen eigenständigen organisatorischen Rahmen erhalten. Das erleben wir ansatzweise gerade im Amazonkonflikt.

Im Moment drehen sich viele Diskussionen zwischen Bewegungslinken um die Möglichkeiten, gewerkschaftliche Kämpfe zu unterstützen. Sollen die sich jetzt alle auf Facebook einklinken?

Ja, aber auch Twitter und klassische Onlineforen nicht vergessen. Ich finde tatsächlich, dass sich zu wenig Menschen aus Parteien oder linken Gruppen an den Diskussionen im Netz rund um Arbeitskämpfe beteiligen. Und das, obwohl die Wirkung eines Flugblatts oder einer Aktion sicherlich genauso schwer messbar ist, wie die von Onlinekommentaren. Daneben ist die Kontrolle über den Charakter der Diskussion sehr viel weniger vorgegeben als bei klassischen Organizingaktionen zur Ansprache von Beschäftigten während Tarifrunden, in denen sich Aktivisten mitunter instrumentalisiert fühlen. Unsere Erfahrungen zur Tarifrunde im Öffentlichen Dienst zeigen, dass es sich lohnt, in die Diskussion um die gewerkschaftliche Erneuerung durch Streiks stärker Fragen einzuspeisen, wie öffentliche Unterstützung generiert werden kann. Social Media ist da mehr Chance als Risiko.

Romin Khan ist Gewerkschaftssekretär und betreut die ver.di-Accounts bei Facebook und Twitter.

Anmerkungen:

1) www.facebook.com/grundrechtnervt

2) Bei den Hate Poetry Slams lesen JournalistInnen mit nicht deutsch klingenden Namen, die für deutsche Zeitungen und Magazine schreiben, die hasserfüllten, rassistischen Leserzuschriften vor, die sie immer wieder erhalten. Für die bösartigsten Briefe und den theatralischsten Vortrag gibt es am Ende einen Preis - das Publikum stimmt ab.

Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst

Nach Warnstreiks und mehreren Verhandlungsrunden präsentierten die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der Deutsche Beamtenbund und die öffentlichen ArbeitgeberInnen am 1. April den Tarifabschluss für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen. Die größte Neuerung: Es gibt dieses Mal eine Art »Sockelbetrag« (drei Prozent mehr Gehalt ab 1.3.2014, aber mindestens 90 Euro mehr), der den unteren und mittleren Einkommensgruppen bis 3.000 Euro brutto besonders zugute kommt. Das ist zwar nicht der angestrebte »Sockel« (100 Euro plus 3,5 Prozent), mit dem die Gewerkschaften in die Verhandlungen gegangen waren, aber ein Schritt in diese Richtung ist es doch. Auszubildende erhalten 40 Euro mehr.

Erkauft wurde die Einigung unter anderem durch geringere Steigerungen im Folgejahr (2,4 Prozent ab 1.3.2015, dann ohne Sockel; 20 Euro für Azubis) und eine Laufzeit von 24 statt wie gefordert zwölf Monaten. Bei zwölfmonatiger Laufzeit wäre der Tarifvertrag fast zeitgleich mit dem der Länderbeschäftigten ausgelaufen, das wollten die ArbeitgeberInnen unbedingt verhindern. Außerdem erhalten alle Beschäftigten nun einheitlich 30 Urlaubstage, Auszubildende 28 statt wie bisher 27. Die geforderte Zulage bzw. zusätzliche freie Tage für Beschäftigte im Nahverkehr, insbesondere FahrerInnen, konnte die Gewerkschaft nicht durchsetzen, ebensowenig höhere Nachtdienstzuschläge in Krankenhäusern. Für die Warnstreiks mobilisierte ver.di dieses Mal stärker als zuvor: Über 100.000 Beschäftigte streikten in der zweiten Warnstreikrunde Ende März in Kitas, an Flughäfen, im Nahverkehr, bei Müllabfuhren und Stadtwerken.