Oranienplatz geräumt
Deutschland Mit dem Ende des Kreuzberger Camps hat der Flüchtlingsprotest ein Symbol verloren
Seit Dienstag, den 8. April 2014, ist das Protestcamp der Flüchtlinge auf dem Kreuzberger Oranienplatz Geschichte. Mehrmals in den vergangenen eineinhalb Jahren sah es schon nach Räumung aus. Doch nun räumte nicht die Polizei das Camp, sondern ein Teil der Flüchtlinge selbst - während ein anderer Teil und einige UnterstützerInnen versuchten, dies zu verhindern. Die Bilder dieses Tages sind bitter: Flüchtlinge, die mit Brecheisen auf die Hütten einschlagen, Flüchtlinge, die sich anschreien und aufeinander losgehen, dazwischen überforderte UnterstützerInnen. Als die Auseinandersetzungen eskalierten, griff die Polizei schließlich ein - wie Leute, die vor Ort waren, erzählen, just in dem Moment, als die Abrissaktivitäten stockten.
Am Nachmittag beglückwünschen sich PolitikerInnen von Senat und Bezirk zum »friedlichen« Ende des Camps und der angeblichen Einigung mit den Flüchtlingen. Die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann verbreitet im Tagesspiegel die Lüge, die »Probleme« hätten erst begonnen als linke AktivistInnen auftauchten, die die Flüchtlinge für ihre politischen Ziele instrumentalisierten. Am Ende des Tages sind etwa hundert Flüchtlinge in einem Hostel in Berlin-Friedrichshain einquartiert, doppelt so viele wie ursprünglich geplant. 40 wurden ins Erstaufnahmelager in Marienfelde gebracht. Zwei Flüchtlinge und ein Unterstützer harren, umstellt von der Polizei, auf einem Baum am Oranienplatz aus, drei Tage später nur noch Napuli Paul Langa, eine derjenigen aus der Verhandlungsdelegation, die gegen die Räumung waren. Sechs weitere unterstützen sie mit einem Hungerstreik auf der anderen Seite des abgesperrten Areals.
Mit dem Ende des Kreuzberger Camps hat der Flüchtlingsprotest sein bekanntestes Symbol verloren. Um dieses Ende herbeizuführen, hat die Berliner Politik die Spaltung der Flüchtlinge angeheizt und falsche Hoffnungen geweckt.
Dafür machte sie sich die unterschiedliche Lage der Flüchtlinge zunutze: die der »AsylbewerberInnen«, die vor allem gegen Residenzpflicht, Lagerunterbringung und Abschiebungen protestierten, und die der »Lampedusa-Flüchtlinge«, die, in Italien registriert und mit Aufenthaltspapieren ausgestattet, sich zwar frei in Deutschland bewegen können, aber weder Unterkünfte haben noch Sozialleistungen erhalten. In den Verhandlungen ab Januar stellte Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) Unterkünfte in Aussicht, außerdem »wohlwollende Prüfung« der Asylanträge (was auch immer das heißt). Auch sollten jene, die sich auf die Räumung einließen, Geld erhalten, von 100 Euro pro Woche war die Rede. Vor dem Hintergrund des verstärkten Räumungsdrucks nahmen einige vorwiegend aus der Lampedusa-Gruppe das Angebot an.
Das Ende des Camps markiert ein politisches Scheitern der Proteste. In dem Maße, wie eine gemeinsame Perspektive schwand, gewannen individuelle Lösungen an Einfluss. Das schmälert nicht die Ausstrahlung und Erfolge der Bewegung, die das Schweigen über die deutsche Asylpolitik beendet und die Residenzpflicht aufgeweicht hat.
In der Auseinandersetzung um den Oranienplatz hat sich gezeigt: Die Politik will die Camps um jeden Preis weghaben. Dafür greift sie zu Lügen und instrumentalisiert die Notlage der Flüchtlinge. Die aus den unterschiedlichen Bedingungen des Aufenthalts folgenden unterschiedlichen sozialen Probleme sind die wichtigsten Einfallstore für solche Manöver.
Auch die Entsolidarisierung der Nachbarschaft ist ein großes Problem. SenatspolitikerInnen versuchen seit langem, das O-Platz-Camp mit den Ängsten vor Chaos, Kriminalität und Gewalt zu verknüpfen. Diese Strategie ist aufgegangen, die Solidarität bröckelte, ein polizeilicher Blick auf die Flüchtlingscamps gewann die Oberhand. Für UnterstützerInnen und AnwohnerInnen bedeutet das: Sie müssen klar machen, dass Dealerei, Lärm und Gewalt keine Probleme der Protestcamps sind, sondern die Folgen einer unwürdigen Asylpolitik sowie einer Stadtpolitik, die den wirtschaftlichen Druck auf die BewohnerInnen der Innenstadtviertel erhöht. Diese Aufgabe ist einigermaßen dringend, denn als nächstes wird es der von Flüchtlingen besetzten Schule in der Ohlauer Straße an den Kragen gehen. Bis Ende Mai möchte der Senat hier eine »Lösung« haben.
Jan Ole Arps, 11. April 2014