Aufgeblättert
Wirtschaftsdemokratie
»Demokratisches Wirtschaften von unten ist, örtlich oder regional vernetzt oder auch als Einzelprojekt, möglich. Dafür sprechen Tatsachen, auch in Deutschland«. Diese optimistische Einschätzung stammt von der DDR-Historikerin Ulla Plener. Die Referate der Tagung »Demokratische Transformation als Strategie der Linken«, die zum 80. Geburtstag von Ulla Plener stattfand, wurden nun unter dem Titel »Demokratisierung von Wirtschaft und Staat« als Buch veröffentlicht. Ralf Hoffrogge geht auf die Debatte über Wirtschaftsdemokratie in der Weimarer Republik ein. Nachdem rätedemokratische Modelle im Bündnis von Freikorps und SPD-Führung blutig zerschlagen wurden, setzte Mitte der 1920er Jahre in der SPD eine Debatte über wirtschaftsdemokratische Konzepte ein. Ziel war es, den Kapitalismus zu bändigen, nicht, ihn abzuschaffen. In Deutschland hatten diese reformkapitalistischen Konzepte nie eine Realisierungschance. Davon ließ sich aber die arbeiterzionistische Aufbaugeneration in Israel inspirieren. Gisela Notz untersucht die wirtschaftsdemokratischen Elemente in der Genossenschaftsbewegung. Auch internationale Erfahren werden mit einbezogen, etwa die Diskussionen über Arbeiterselbstverwaltung in der Frühphase der polnischen Solidarnosc-Bewegung. Auch kritische Stimmen sind in dem Band vertreten. Michael Hewener sieht eine doppelte Illusion: »die eines möglichen demokratischen Kapitalismus und die eines möglichen Übergangs zum demokratischen Sozialismus«.
Peter Nowak
Axel Weipert: Demokratisierung von Wirtschaft und Staat. NoRa Verlagsgemeinschaft, Berlin 2014. 230 Seiten, 19 EUR.
Marxismus
Nach seinen Betrachtungen u.a. zu Sozialismus und Kapitalismus sowie dem Kapital von Marx legt Georg Fülberth nun, ebenfalls beim Kölner Verlag PapyRossa, eine weitere, 100 Seiten umfassende Einführung in den Marxismus vor. Viele wichtige Themen behandelt er schon aufgrund der räumlichen Beschränkung der Reihe Basiswissen notwendigerweise recht knapp. Weitere, wie das Feld der Geschlechterverhältnisse, werden geradezu verschwiegen. Den Marxismus versteht Fülberth im Kern als »eine historisch-materialistische Analyse von Ökonomie und Klassenverhältnissen«, ferner als »eine auf diese gestützte Theorie der Politik« sowie als »eine politische Praxis in der Perspektive einer Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft«. Völlig zu Recht plädiert er also für eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis, und der Band erweist sich damit als ebenso politisch wie praxisorientiert. Über weite Strecken allerdings bietet er eine Mischung aus Namedropping und kommentierter Bibliografie, die für EinsteigerInnen durchaus Orientierung bietet. Aber in ihrem Gebrauchswert ist die Gesamtdarstellung aufgrund der konzeptionell bedingten Einschränkungen nur zum Teil als nützlich zu bewerten, auch wenn Fülberth wichtige Entwicklungsphasen, insbesondere die Entstehung eines akademischen Marxismus, kritisch benennt. Fazit: Gewartet hat auf dieses Buch niemand, insbesondere nicht aus dem Spektrum der jüngeren deutschen Linken.
Sebastian Klauke
Georg Fülberth: Marxismus. PapyRossa Verlag, Köln 2014. 110 Seiten. 9,90 EUR.
Dylan & Dead
Der Film »Inside Llewyn Davis«, 2013 von den Coen-Brüdern produziert, zeigt die US-amerikanische Folk-Szene Anfang der 1960er Jahre und eines ihrer Zentren, das New Yorker Gaslight Café. Dort versucht sich die Hauptfigur Llewyn als Folk-Musiker, aber nicht er wird der Star der Szene, sondern ein anderer junger Mann. Diesen sieht man am Ende des Films nur schemenhaft, doch muss man ihn nicht sehen, um ihn zu erkennen. Es reicht, seine quäkige Stimme zu hören: Bob Dylan hat gerade die Bühne des Cafés und der Musikgeschichte betreten. Wie viele Filme wurden über Dylan gedreht, wie viele Bücher über ihn geschrieben! Max Lill hat diesem Material nun seine eigene Auseinandersetzung hinzugefügt: »The whole wide world is watchin'«. Eine seiner Leitfragen ist, warum Musik eine so wichtige Rolle für die Gegenkulturen der 1960er Jahre gespielt hat. Dazu liefert Lill eine gute Analyse, und er erklärt auch schlüssig, warum Dylan, aber auch The Grateful Dead, zeitweise Konsensfiguren mit Kultstatus waren. Auch Lills Schlussfolgerungen überzeugen, obwohl sie nicht neu sind: Die Gegenkulturen der 1960er Jahre sind mit ihren Intentionen zwar gescheitert, sie brachten aber dennoch positive gesellschaftspolitische Effekte, darunter eine starke Differenzierung der Selbstkonzepte und Wahrnehmungsweisen. Lills Buch liest sich gut, nur an einigen Stellen merkt man ihm noch an, dass es ursprünglich als Examensarbeit verfasst wurde.
Isabel Merchan
Max Lill: The whole wide world is watchin'. Musik und Jugendprotest in den 1960er Jahren. Bob Dylan und The Grateful Dead. Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2013. 346 Seiten, 28 EUR.
Tödliche Austerität
Es geht um Leben und Tod in der groß angelegten Studie der beiden Autoren, die Gesundheit als genuin politisches Thema verstehen. David Stuckler und Sanjay Basu analysieren nicht nur die Entwicklungen in Island und Griechenland nach Ausbruch der jüngsten Krise, sondern nehmen sich auch älteres Material vor. Nach 1929 weigerten sich in den USA einige Bundesstaaten, den New Deal umzusetzen. Was zeigt: »Die eigentliche Gefahr für die Gesundheit der Allgemeinheit lauert nicht in Rezessionen an sich, sondern in den Sparprogrammen, mit denen diese häufig bekämpft werden.« Wie für angelsächsische Sachbücher mit wissenschaftlichem Anspruch üblich, handelt die gut geschriebene Studie von Selbstmordraten, Lebenserwartungen, Krankheiten, aber auch Stress und Krankheit infolge von drohenden Zwangsräumungen: »Schon einige Zeit, bevor jemand sein Haus verliert, kann bereits eine drohende Zwangsräumung das Krankheitsrisiko erhöhen.« Aber nicht nur kapitalistische Krisen wirken sich negativ auf Leib und Leben aus. Das Buch zeigt eindringlich, dass in ehemaligen realsozialistischen Ländern, die nach 1990 sich dem IWF unterwarfen oder sich möglichst schnell zu einer kapitalistischen Marktwirtschaft transformieren wollten, die Lebenserwartung teilweise dramatisch zurückging. Leider wollen sich die Autoren weder rechts noch links positionieren und hoffen stattdessen auf einen »demokratischen Weg«, der allein Zahlen und Fakten gehorcht.
Ingo Stützle
David Stuckler und Sanjay Basu: Sparprogramme töten. Die Ökonomisierung der Gesundheit. Wagenbach Verlag, Berlin 2014. 224 Seiten, 19,90 EUR.