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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 594 / 20.5.2014

Schandfleck im Luxusgrätzl

Aktion In Wien ist das soziale Zentrum Amerlinghaus von der Schließung bedroht

Interview: Christof Mackinger

Seit 1978 wird das linke Kulturzentrum Amerlinghaus am Wiener Spittelberg vom gleichlautenden Verein betrieben. Von marxistischen Politinitiativen über Kindergruppen und den ältesten BDSM-Verein Österreichs beheimatet das Haus eine bunte Mischung von NutzerInnen. Für viele überraschend steht das Amerlinghaus jetzt plötzlich vor dem Ende seiner Existenz in der bisherigen Form, da die benötigte Förderung auszubleiben droht. ak sprach mit zwei der Mitarbeiterinnen des Amerlinghauses.

Was ist die Geschichte des Amerlinghauses?

Lisa: Das Amerlinghaus ging 1975 aus einer sanften Besetzung im Wiener Stadtteil Spittelberg hervor. Das war ein Grätzl(1), das damals total verwahrlost und desolat war, mit einer entsprechenden Bevölkerungsstruktur, weil die Mieten billig waren: Es war ein Rotlicht- und Handwerkerviertel, viele Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter lebten hier. Die Gemeinde Wien wollte die Häuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert abreißen und etwas Neues bauen. Gegen diese Pläne haben sich Gruppen von Architektinnen, Künstlern und sozial engagierten Leuten zusammengeschlossen um zu verhindern, dass die Häuser am Spittelberg abgerissen werden, und haben das Amerlinghaus besetzt. Es war als Grätzlzentrum geplant. Die Leute haben angefangen, ein Freizeitzentrum für Kinder einzurichten, auch für alte Leute gab es Aktivitäten. Von Anfang an wurde mit der Gemeinde Wien verhandelt, um eine Renovierung und die Finanzierung des Zentrums zu erwirken. Das Haus wurde an die Gemeinnützige Siedlungs- und Bau-AG (GESIBA) übergeben, die das Haus komplett renovierte und dann auch Miete kassieren durfte. Die getätigten Investitionen sind vor ein paar Jahren abbezahlt worden - alles was die GESIBA jetzt bekommt, ist Gewinn.

Claudia: Das gilt aber nicht nur fürs Amerlinghaus. Die GESIBA hat 72 Häuser generalsaniert - da geht's natürlich um einen unglaublichen Gewinn. Außerdem ist der Spittelberg mittlerweile ein Musterbeispiel für Gentrifizierung. Die Leute, die damals hier wohnten, können sich die Mieten längst nicht mehr leisten. Das Amerlinghaus hat damit eine billige Pionierarbeit geleistet, die so von den Stadtteilaktivisten ganz bestimmt nicht intendiert war. Dieses »Little Montmartre« ist europaweit berühmt, die Gemeinde Wien schmückt sich gerne damit. Und jetzt sind wir der Schandfleck im Luxusgrätzl.

Wie wird das Amerlinghaus aktuell genutzt?

C.: Derzeit nutzen über 60 Initiativen regelmäßig das Haus: Kulturarbeiter und Künstlerinnen ohne Ressourcen und Räume, soziale Initiativen, Politgruppen und Selbstermächtigungsgruppen. Daneben gibt es noch einen Kreis von punktuellen Nutzern: Zum Beispiel wenn die Gemeinde Wien mit den Wagenplätzen verhandelt, dann trifft man sich hier im Amerlinghaus, weil das so szeneübergreifend ist. Das Haus ist also ein genre-, generationen- und bereichsübergreifendes Projekt. Es gibt auch sehr viel Bildungsarbeit bei uns, viele Initiativen, die Deutschkurse anbieten, Antirassismus-Workshops für Jugendliche; es gibt einen Kleinverlag, juristische Beratung für Erwerbslose, die Bettellobby trifft sich hier...

L.: Hier begegnen sich Menschen und teilen Ressourcen, die sich sonst kaum über den Weg laufen würden, Menschen mit sehr unterschiedlichen Handlungsfeldern und Lebenswelten. Dieses komische Abhängigkeitsverhältnis von Förderungen der Gemeinde Wien hat das bis heute ermöglicht.

C.: Der Minimalkonsens ist die Struktur. Es ist hier sehr niedrigschwellig und Leute, die materielle und immaterielle Hürden zu bewältigen haben, bekommen einfach und unbürokratisch Zugang zu einem Raum. Das zweite wesentliche Merkmal der Nutzer ist die Selbstorganisation: Das sind alles Menschen, die Experten für ihre eigenen Angelegenheiten sind.

Was ist nun das aktuelle Problem?

L: Seit 2004 wurde unsere Subvention nicht mehr wertangepasst, und es mussten Stellen gekürzt werden. Es haben sich aber auch Schulden angehäuft, weil es keine Möglichkeiten mehr gab, Personal zu reduzieren. Dann kam die Krise, die auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen ist: Es kommen mehr Leute, und wir haben weniger Ressourcen. Seit 2009 haben wir mit der Gemeinde Wien intensiv verhandelt und sind dann letztes Jahr zu einer Einigung gekommen - auch, weil uns so viele Menschen unterstützt haben. Wir mussten weitgehende Abstriche machen und bekommen nur noch eine sogenannte Grundkostensubvention, die lediglich die Miete, Energie- und Personalkosten abdeckt. Alles, was darüber hinausgeht - Papier, Klopapier etc. -, müssen wir über Eigenmittel abdecken.

C.: Geschweige denn, dass es ein Budget für den Veranstaltungsbereich gäbe oder Geld für Telefonkosten.

L.: Die meiste Arbeit, die im Haus stattfindet, ist sowieso freiwillig. Das kann man gar nicht aufrechnen. Was hier im Haus alles stattfindet, ist unbezahlbar. Aus der Zeitung mussten wir dann unlängst erfahren, dass wir nur mehr eine Förderung von 113.000 Euro bekommen sollen, das sind 60 Prozent weniger als bisher. Davon sollen 60.000 Euro direkt an die GESIBA als Miete bezahlt werden. Uns bleiben dann also 53.000 Euro. Wenn das im Mai ausbezahlt wird, können wir sofort schließen.

C.: Da sind nicht mal die Gehälter innerhalb der Kündigungsfristen drin.

L.: Sowohl vom zuständigen Magistratsamt als auch von Seiten der rot-grünen Stadtregierung wird behauptet, dass das nicht die ganze Subvention sei - bei Wohlverhalten komme noch mehr. Uns liegt aber nichts vor, was diese vagen Andeutungen absichern würde. Es gibt also nichts, worauf sich der Verein berufen könnte, um seine Arbeit weiter zu machen.

C.: Das ist Erpressung, wenn uns gesagt wird, wir sollen uns finanzkräftige Mieter suchen. Das widerspricht genau dem konsumfreien Konzept des Amerlinghauses. Es widerspricht so ziemlich allem, worin wir den Sinn der Arbeit im Haus sehen.

Welche Zukunftsszenarien haltet ihr für möglich?

L.: Das ist nicht so einfach zu beantworten, weil unsere internen Diskussionsprozesse nicht abgeschlossen sind. De facto muss der Verein handeln, um nicht fahrlässig zu sein und Schulden aufzutürmen. Im Moment kann ich nur sagen, dass wir keine weiteren personellen Kürzungen in Kauf nehmen werden.

Christof Mackinger gehört zur Gruppe akw - Freund*innen der analyse & kritik, Wien.

Anmerkung:

1) wienerisch für »Viertel«