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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 594 / 20.5.2014

Meinung

Diplomatisches Gesäusel im Wirtschaftskrieg

Einer der dümmsten Aussprüche zur Ukrainekrise stammt von dem Ende Februar eingesetzten ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk: Wladimir Putin wolle den dritten Weltkrieg entfesseln. Mitte Mai tauchten US-amerikanische Luftbilder auf, die russische Truppen an der Grenze zur Ukraine zeigen sollen - bereit zum Einmarsch. Um den zu verhindern, müsse die NATO an ihrer Ostgrenze »Präsenz« zeigen und ihrerseits Truppen verstärken. Wer dieser politischen Schlussfolgerung widerspricht, gilt als Russland- oder Putin-VersteherIn. Gregor Gysi erntete wegen seiner Moskauer »Friedensmission« jede Menge Häme. Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD, witterte Vaterlandsverrat: »Es wäre fatal, wenn Herr Gysi in Moskau den Eindruck vermitteln würde, dass die Haltung der Linken repräsentativ für die Auffassung des Deutschen Bundestags wäre.« Ein solches Missverständnis ist auszuschließen. Die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD, aber auch die oppositionellen Grünen haben mehr als einmal deutlich gemacht, dass für sie Russland der Aggressor ist.

Die Kanzlerin räumt immerhin ein: »Militärisch ist die Krise nicht zu lösen.« Die von der EU verhängten Sanktionen - Einreiseverbote und Kontensperrungen - gegen mittlerweile 61 Personen aus der Krim und der Ostukraine erscheinen eher symbolisch. Deutschlands oberster Krisenmanager, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), warnt vor einem »Wirtschaftskrieg«, weil der »vor allem den Westen treffen« würde. Nicht symbolisch und bereits ein »Wirtschaftskrieg« war hingegen das, was zur Eskalation des Konflikts führte - die unter deutscher Führung verfolgte EU-Ostpolitik, die zehn Jahre nach der EU-Osterweiterung mit der Ukrainekrise an eine politische Grenze stößt. Deutschland hat nach 1945 gelernt, dass seine Interessen nicht mit Kanonen gegen die europäischen Länder durchzusetzen sind, sondern besser mit europäischen Partnern auf einem scheinbar friedlichen Weg, nämlich mittels der »unsichtbaren Hand des Marktes«. Die EU-Osterweitung 2004 zielte auf eine ökonomische Durchdringung und Einbindung von unter anderem dem Baltikum, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern - ein Ausbau der ökonomischen Dominanz, ein Prozess, der spätestens mit dem Euro bereits den südeuropäischen Ländern widerfuhr.

Einen ähnlichen Kurs verfolgte die EU mit dem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Ziel war und ist die Einbindung der Ukraine in den EU-Binnenmarkt, d.h. freier Marktzugang für das europäische und vor allem deutsche Kapital. Ein möglicher EU-Beitritt wurde der Ukraine jedoch nicht einmal in Aussicht gestellt - und das, obwohl für den »erweiterten Binnenmarkt« EU-Recht gelten soll. Ost- und Westukraine wären vom Assoziierungsabkommen in unterschiedlicher Weise betroffen. Während der fruchtbare Westen vor allem für europäisches Agrarkapital interessant ist, muss der industriell geprägte Osten befürchten, in kürzester Zeit von EU-Kapital niederkonkurriert zu werden. Bisher orientierte er sich gen Russland; der Warenexport dorthin schwankt zwar in den letzten Jahren, aber nach Europa sank der Anteil kontinuierlich seit Anfang der 2000er. Die Androhung, die Ukraine zu einem weiteren Staat der EU-Peripherie zu machen, zu einer verlängerten Werkbank deutschen Kapitals, unterstützte auch der IWF mit seinem »Hilfsangebot«, nachdem die Ukraine Ende 2013 de facto pleite war.

Der IWF stellte etwa 17 Milliarden Euro zur Verfügung, eine eindeutige Parteinahme für die neue Regierung in Kiew. Mit der Geldzusage verordnete der IWF die übliche Medizin: Renten-, Lohn und Sozialkürzungen. Bereits im März hatte der neue amtierende Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk in vorauseilendem Gehorsam angekündigt, die Staatsausgaben um 15 Prozent zu kürzen. Die USA unterstrichen ihre politische Parteinahme, als sie im Mai beschlossen, für ukrainische Staatsanleihen zu bürgen. Deutschland weigerte sich während der Eurokrise, seine Kreditwürdigkeit Griechenland oder anderen Eurostaaten etwa mittels Eurobonds zur Verfügung zu stellen. In einer der heißesten Phasen der Ukrainekrise verleihen die USA hingegen ihre Kreditkarte an die neue Regierung in Kiew. Ökonomische Panzer sind eben leiser als so manches russisches Gefährt, und es gilt Merkels Prämisse, dass die Krise nicht kriegerisch »gelöst« werden soll.

Die deutsche Politik versucht, den Konflikt zu einer innerukrainischen Angelegenheit zu erklären. Da ist es nur konsequent, dass Steinmeier auf einen »nationalen Dialog« der ukrainischen Konfliktparteien setzt. Der funktioniert aber nicht, weil Jazenjuk mit »Separatisten und Terroristen« nicht reden will. Gemeint sind jene »prorussischen« Kräfte, die die ostukrainischen Regionen Donezk und Lugansk zu autonomen Republiken erklärt haben. Die zu diesem Zweck durchgeführten Referenden werden vom Westen nicht anerkannt. Steinmeier setzt stattdessen auf die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai: »Ich hoffe, dass die Präsidentschaftswahlen so stattfinden, dass wir anschließend eine positive, nach vorne gerichtete Atmosphäre in der Ukraine vorfinden.« Die kryptische Formulierung weist darauf hin, dass von einem Plan des Westens zum Umgang mit der Krise nicht die Rede sein kann.

Für Russland gilt Ähnliches. Mit der Annexion der Krim hat Putin eine machtpolitisch günstige Gelegenheit ergriffen; weitere Grenzverschiebungen gehören offensichtlich nicht zu seinem Programm - aller Kalte-Kriegs-Rhetorik in den westlichen Medien zum Trotz. Diese müssen allerdings mittlerweile eingestehen, das nicht nur Russland sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einmischt. So meldete die Süddeutsche Zeitung, dass die vorübergehend festgesetzten deutschen OSZE-Beobachter eng mit dem BND zusammenarbeiten: »Auch wenn die OSZE-Beobachter selbst keine Spione sind, zu tun haben sie mit ihnen allemal.« (SZ, 5.5.2014)

Nicht erfüllen werden sich deshalb die Hoffnungen auf eine Vermittlerrolle der OSZE, auf die auch die Linkspartei setzt. Der einhellig gefasste Beschluss ihres Berliner Parteitags vom 10. Mai 2014 benennt völlig zu Recht die Verantwortung des Westens für die Zuspitzung des Ukrainekonflikts; dazu gehören die NATO-Osterweiterung und das exklusive, gegen Russland gerichtete »Angebot« eines Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU. Die in dieser Politik zum Ausdruck kommenden militärischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen des Westens lassen sich mit den - zweifellos gut gemeinten - Vorschlägen der Linkspartei aber nicht in Einklang bringen: »Europa braucht ein neues kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das die NATO überwindet und auf Abrüstung zielt.« Prima Idee! Durchsetzen lässt sie sich auf absehbare Zeit nicht. Denn der Westen ist nicht einmal bereit, die in der Ukraine mitregierenden Faschisten zu isolieren und von der Kiewer Regierung die Entwaffnung der rechten Terrorgruppen zu fordern. Mehr noch: Steinmeier benannte nicht einmal die Verantwortung des Rechten Sektors für die Ermordung von über 40 Menschen in Odessa und spricht stattdessen von einer »nationalen Tragödie«, die keine Täter kennt. Wer Faschisten als Verhandlungspartner akzeptiert, die auch vor einem Pogrom nicht zurückschrecken, kann noch so viel von Deeskalation, Gewaltverzicht und diplomatischer Lösung säuseln. Glaubwürdig wird er dabei allenfalls bei einem systematisch desinformierten deutschen Publikum, das sich zwar gegen eine Konfrontation mit Russland ausspricht, aber sich laut aktuellen Umfragen gleichzeitig mit 74 Prozent hinter die Politik des deutschen Außenministers stellt.

ak-Redaktion