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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 594 / 20.5.2014

Keine Lager

Deutschland Wie weiter mit dem Flüchtlingsprotest in Berlin?

Von Jan Ole Arps

Keine Lager. Diese Forderung kennt man von den Protesten gegen die bundesdeutsche Asylpolitik. Am 8. Mai 2014 machte die Berliner Polizei sich die Parole zu Eigen. Doch sie richtete sie nicht gegen die unwürdige Unterbringung von Asylsuchenden, sondern gegen jene Flüchtlinge, die seit der Räumung des Protestcamps am Kreuzberger Oranienplatz vor einem Monat ebendort im Hungerstreik sind.

»Heute morgen um kurz vor sieben teilte die Polizei mit, dass das Schlaflager der Hungerstreikenden abgebaut werden muss«, erklärt mir am Mittag eine Unterstützerin. Eine Mahnwache sei erlaubt, das Schlaflager dagegen nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt. Auf dem Boden sitzen zwei Hungerstreikende auf Isomatten, sie sind ziemlich ausgezehrt. Noch während wir sprechen, nähern sich PolizistInnen und beanstanden die Szenerie. Die Plane unter den Isomatten ist zu viel Komfort, das geht nicht, die Plane muss weg. Der Anweisung wird Folge geleistet, die BeamtInnen verziehen sich wieder. Ein Sitzkissen, ein Schlafsack oder eine Decke, außerdem ein Regenschirm pro Person seien erlaubt, erklärt später ein Polizeisprecher. Aber kein gemeinsames Lager.

Die Szene zeigt deutlich, wie sich die Gewichte verschoben haben: Der Protest der Flüchtlinge, der sich seit zwei Jahren hartnäckig im öffentlichen Raum festkrallt, soll jetzt verschwinden.

Dagegen wehren sich die Aktiven verbissen. Zuerst Napuli Paul Langa, Oranienplatzbesetzerin der ersten Stunde. (Siehe ak 591) Während der Räumung des Camps am 8. April kletterte sie auf einen Baum und harrte dort tagelang ohne Essen und Regenschutz aus, so lange, bis sie eine schriftliche Zusicherung in der Hand hielt, dass ein Infopoint und ein Versammlungszelt wieder aufgebaut werden. Auf der anderen Seite des Oranienplatzes begannen sechs Männer einen Hungerstreik, um sie zu unterstützen.

Dann ist da die von Flüchtlingen besetzte ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße (siehe nebenstehender Text). Nach der Räumung des Camps am Oranienplatz befürchteten die ca. 300 BewohnerInnen, als nächstes werde ihr Zufluchtsort verschwinden müssen. Auf einer Diskussionsveranstaltung mit der Kreuzberg-Friedrichshainer Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) im April forderten sie daher vehement eine Erklärung ein, dass niemand die Schule gegen seinen Willen verlassen müsse. Unter anderem beklagte ein Aktivist auf der Veranstaltung, der Bezirk setze die schlimme hygienische Situation als Druckmittel ein. Solange sich die Flüchtlinge nicht auf Verhandlungen nach den Vorstellungen des Bezirks einließen, würden sie keine weiteren Duschen erhalten, das habe der für die Verhandlungen zuständige Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) erklärt.

Als zehn Tage später ein Bewohner der Schule einen anderen im Streit um die Dusche ersticht, erhält die Anklage einen neuen, schrecklichen Klang. Nur Stunden nach Bekanntwerden des tödlichen Vorfalls erklären SenatspolitikerInnen und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ihn zum Beleg für die »untragbaren Zustände« in der Schule und fordern ein Ende des »Problemortes« (so Innensenator Frank Henkel, CDU).

Die linke Szene, die die Forderungen der Flüchtlinge politisch unterstützt und sich auch immer wieder zu den Demonstrationen einfindet, steht - von ein paar unermüdlichen UnterstützerInnen abgesehen - der Situation schon lange sprachlos gegenüber. Auch nach dem tödlichen Vorfall in der Schule blieb sie stumm. Warum?

Die Ereignisse in der Schule konfrontieren linke Initiativen (und sporadische UnterstützerInnen wie mich) mit der Tatsache, dass allein die Solidarisierung mit den politischen Forderungen der Flüchtlinge nicht ausreicht. Zu drückend sind die unerfüllten Grundbedürfnisse nach Hygiene, Einkommen und einer Perspektive für die nächsten Monate. Die Frage, wie man diesen Bedürfnissen begegnet, ist auch die Frage, wie weit man sich überhaupt auf die Proteste einlässt, wie nah man sie an sich heranlässt.

Tatsächlich haben viele UnterstützerInnen AktivistInnen vom Oranienplatz in ihren WGs einquartiert, NachbarInnen haben ihre Wohnungen zum Duschen geöffnet. Doch dass der Umgang mit der materiellen Notlage eine zentrale Frage ist, mitentscheidend für die politische Kraft der Proteste, ist nicht ausreichend durchgedrungen.

Die Lokalpolitik hat indes sehr wohl verstanden, dass sie den Mangel an Grundlegendem als Hebel nutzen kann, um den Protest zu spalten und abzuwickeln. Ohne das Angebot, Unterkünfte und eine gewisse materielle Versorgung bereitzustellen, hätte sie es in der Auseinandersetzung um die Räumung des Oranienplatzes nicht geschafft, einen Teil der Gruppe für die Räumung zu mobilisieren. Im Tauziehen um die Gerhart-Hauptmann-Schule hat auch der Bezirk den Einbau einer weiteren Dusche zur Verhandlungsmasse mit den BewohnerInnen gemacht, er hat ihre Notlage ein weiteres Mal instrumentalisiert.

Es gibt derzeit keine politischen Lösungsansätze

Wie geht es nun weiter mit den Flüchtlingsprotesten in Berlin? Ein Teil beharrt auf der Forderung nach einer anderen Asylpolitik. Eine Gruppe von zunächst 20 Flüchtlingen begann am 3. Mai nach einer Kundgebung einen Hungerstreik auf dem Berliner Alexanderplatz; ihre Forderungen: Stopp aller Abschiebungen, dauerhafte Anerkennung des Aufenthalts, Aufhebung der Dublin-Verträge. Am 11. Mai brachen die Männer den Hunger- und inzwischen auch Durststreik ab, elf zogen weiter in die Gedächtniskirche auf dem Kurfürstendamm und baten um Kirchenasyl. Doch Pfarrer Martin Germer erklärte, er könne kein Kirchenasyl gewähren, da er »nichts über die Flüchtlinge wisse«. Zunächst campierten die Flüchtlinge vor der Gedächtniskirche, über das Wochenende durften sie ihre Mahnwache ins Innere der Kirche verlegen, weil Tausende Fußballfans am Kudamm erwartet wurden. Nun wird nach einer anderen Unterkunft für die elf Männer gesucht.

Da es keinerlei politische Lösungsansätze gibt, haben sich die Forderungen mittlerweile individualisiert: Bleiberecht, wenn möglich nach Paragraf 23 (siehe Kasten auf Seite 15), Recht auf Arbeit und Bildung. Doch eine solche Aufenthaltsgenehmigung könnte lediglich Innensenator Henkel gewähren - und der ist für entsprechende Forderungen nicht ansprechbar.

Während sich für die protestierenden Flüchtlinge derzeit also nicht einmal individuelle Lösungen abzeichnen, wurden Anfang Mai Pläne des Bundesinnenministeriums zur weiteren Verschärfung des Asylrechts bekannt. (Siehe Kasten) Nun gehen die Proteste auf europäischer Ebene weiter. Am 19. Mai machten sich Flüchtlinge aus mehreren europäischen Ländern zu Fuß auf den Weg von Straßburg nach Brüssel, unter ihnen auch zahlreiche AktivistInnen vom Kreuzberger Oranienplatz. In Brüssel wollen sie gegen die europäische Asylpolitik demonstrieren.