Kriegszone Internet
Deutschland Ein Jahr Snowden-Enthüllungen und das Ende des Internets, wie wir es kennen
Von Susanne Lang
Am 6. Juni 2014 jährten sich die ersten NSA-Enthüllungen durch Edward Snowden. Seit einem Jahr jagt eine Meldung über Onlinespionage und -überwachung die nächste. Die Skandale werden größer und nutzen sich gleichsam ab. Was kann jetzt noch kommen, wo doch schon die totale Überwachung »amtlich« ist? Laut dem Enthüllungsjournalisten und Snowden-Vertrauten Glenn Greenwald stehen noch größere und noch unglaublichere Veröffentlichungen bevor. Es lässt sich aber schon jetzt feststellen, dass das Internet, wie wir es vor dem 6. Juni 2013 zu kennen glaubten, schon längst nicht mehr existiert.
Auf vielen Blogs und in den Meinungsspalten der Printpresse wurde anlässlich des Jahrestages moniert, dass in diesem einen Jahr nichts passiert sei: keine Konsequenzen, kein Aufschrei und vor allem zu wenig Empörung. Aber wer genau hinsieht, merkt, dass das Gegenteil der Fall ist. Es wurden viele Konsequenzen gezogen, neue Organisierungsansätze sind entstanden und die Empörung ist groß. Dennoch herrscht noch immer Ohnmacht statt Wut - Handlungsfähigkeit zu erlangen, braucht eben meist etwas Zeit.
JournalistInnen und TechnikexpertInnen arbeiten mit Hochdruck daran, die Informationen, die durch Edward Snowden zur Verfügung gestellt wurden, einzuordnen und zu veröffentlichen. Das klingt leichter, als es ist. Zum einen geschieht das in enger Abstimmung mit Geheimdiensten, AnwältInnen und eventuellen Betroffenen, um die Veröffentlichungen auf demokratischem und zugleich akzeptablem Weg zugänglich zu machen. Zudem soll Edward Snowden die Möglichkeit gegeben werden, in ein »straffreies Leben« zurückzukehren.
Im letzten Jahr ging es nicht allein um die Veröffentlichung von Informationen, sondern es wurde und wird gleichzeitig verhandelt, wie viel Demokratie Geheimdienste ertragen können und müssen. Unter welchen Bedingungen kann und muss Whistleblowing möglich sein? Das heißt konkret: Bei jeder Information, die publiziert werden soll, wird zuvor sorgfältig zwischen Informationsrecht und Geheimnisverrat abgewogen. (1) Die zweite Herausforderung liegt in der inhaltlichen Kontextualisierung und Übersetzung der technischen Details, sodass das Ausmaß der Überwachung und Geheimdienstpraxis für den Alltagsverstand auch nachvollziehbar wird.
Was kann der NSA-Untersuchungsausschuss?
Seit einem Jahr versuchen die Regierungen weltweit zeitgleich, einen Umgang mit der Affäre zu finden - diplomatisches Gezerre und No-Spy-Abkommen oder auch nicht. In Deutschland wurde ein Ermittlungsverfahren aufgrund der Massenausspähung nicht aufgenommen; die Überwachung des Mobiltelefons von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war wiederum brisant genug, ein Verfahren gegen Unbekannt einzuleiten.
Schließlich wurde ein Untersuchungsausschuss auf den Weg gebracht, der am 3. April 2014 unter denkbar schlechten Bedingungen seine Arbeit aufnahm: Kein Geheimdienst und keinE DiplomatIn interessiert sich für Aufklärung und das Interesse der einzelnen Parteien des Bundestags ist nebulös. Die ersten Wochen der Ausschussarbeit waren von Verzögerung, Blockade und Verhinderung gekennzeichnet.
Die Aufgabe, die sich den acht Ausschussmitgliedern stellt, ist auch besonders schwierig, denn: Was kann der NSA-Untersuchungsausschuss eigentlich aufklären? Inwieweit deutsche BürgerInnen tatsächlich von der Ausspähung durch US-amerikanische und britische Geheimdienste betroffen sind, lässt sich durch einen deutschen Untersuchungsausschuss kaum feststellen. Diese Arbeit wird von den JournalistInnen mithilfe der Snowden-Dokumente viel besser erledigt. Eigentlich könnte der Untersuchungsausschuss nur bei der Frage Licht ins Dunkel bringen, wie sehr die deutsche Regierung selbst, die deutschen Geheimdienste und die deutsche IT-Sicherheitsindustrie in diese massenhafte Überwachung involviert sind, davon Kenntnis hatten, es hingenommen oder sogar befördert haben. Der Ausschuss kann nicht zutage befördern, was die US-Regierung tut und lässt, sondern was die deutschen Verantwortlichen getan und gelassen haben - und darin liegt die eigentliche Brisanz des Ausschusses, die in gewisser Weise auch die Blockadehaltung erklärt.
Neben diesen schwierigen Ausgangsvorraussetzungen haben die beiden Oppositionsparteien im Ausschuss aber auch ein inhaltliches Problem und nehmen sich des Themas daher nur halbherzig an. Internet und Netzpolitik sind bei keiner der Parteien ein Kernthema und dementsprechend ist die Positionierung bei diesen Themen alles andere als klar. Die Grünen ziehen sich auf ihr bekanntes Terrain - Bürgerrechtsfragen - zurück und deklinieren den Konflikt anhand ihrer altbekannten Parameter durch. Die Partei DIE LINKE schwankt zwischen Imperialismuskritik und der eher sozialdemokratischen Forderung nach nationaler Souveränität gegenüber den USA. (2) Letzteres scheint sich auch als Konsens aller Ausschussmitglieder herauszuschälen - zwar mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen, aber leider ohne neue Fragen.
DIE LINKE und die Grünen fordern wie CDU und SPD, dass sich Deutschland gegenüber US-amerikanischen Interessen endlich mal behaupten müsse. Nur wollen die einen den BND stärken, die anderen US-Unternehmen wie Google und Facebook in die Haftung nehmen und die Bürgerrechte der Deutschen besser geschützt wissen. Das zeigt: Linke Positionen sind in der parlamentarischen Debatte bisher schlicht nicht existent.
Daraus ergibt sich ein ganz neues Problem, denn auch die Dienste bleiben nicht untätig. Die »Krise« wird geschickt genutzt, »Reformen«, also eine Aufrüstung und Stärkung von BND & Co., einzufordern. So kann es passieren, dass der NSA-Untersuchungsausschuss nur zu einem ungeheuerlichen Aufrüsten der deutschen Geheimdienste führt - eine Situation, die dank des Fraktionen übergreifenden Anrufens der nationalen Souveränität erst möglich wird.
Linke Positionen fehlen
So stellten beispielsweise vor den Ausschuss geladene Sachverständige - allesamt ehemalige Bundesverfassungsrichter oder ranghohe Juristen (3) - unisono fest, dass die flächendeckende und anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten gegen die Verfassung verstößt. Zugegebenermaßen keine große Überraschung. Das politische Potenzial liegt aber in den Details der Sachverständigengutachten. Dort ist nämlich zu lesen, dass die BND-Aktivitäten durch die momentane Gesetzeslage nicht legitimiert sind.
Was daraus folgt, muss erst noch politisch vereinbart werden: Eine Reform der Gesetze, die die Praxis des BND auf legale Füße stellt, ist angesichts der politischen Kräfteverhältnisse eher vorstellbar als etwa die Abschaffung oder auch nur Einschränkung der Dienste. Hier wird das Problem des Untersuchungsausschusses schnell deutlich. Wenn eine ernsthafte Untersuchungspraxis dieses parlamentarischen Gremiums nicht durch eine außerparlamentarische Debatte oder Protestbewegung gefordert wird, dann ist zu befürchten, dass hauptsächlich Organisationen wie der BND von diesem Ausschuss profitieren werden.
Die Mitteilungen des BND befeuern diese Befürchtung. So forderte der Geheimdienst jüngst eine Budgeterhöhung um 300 Millionen Euro, um unabhängig von US-Diensten soziale Netzwerke in Echtzeit überwachen zu können. Roderich Kiesewetter, Unions-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, begrüßt diese Pläne ausdrücklich und auf eine perfide Art und Weise hat er sogar recht, denn: Wie sonst soll nationale Souveränität aussehen?
Fernab der öffentlichen Diskussion in Zeitungen und Parlamenten, in der Parallelwelt von IT-EntwicklerInnen und Open-Source-AktivistInnen, wird zeitgleich seit den Snowden-Veröffentlichungen mit ungeheurem Enthusiasmus und Einsatz an besserer Software und Infrastruktur gearbeitet. Sicherheitssoftware wie Truecrypt wird auf Fehler tiefengeprüft, neue Infrastrukturen werden gebaut, die wesentlichen Fehlerquellen, für die die NSA dankbar war, werden beseitigt. Es wird an der Rettung des Internets als freiem selbstbestimmtem Kommunikationsmedium gearbeitet. Denn vor einem Jahr wurde eben nicht nur bekannt, dass die Regierungen ihre Machtbefugnisse überschreiten und Privatsphäre zerstören. Vielmehr wurde deutlich, dass sie im Zuge dessen das Internet zu einer Kriegszone erklärt haben, in der selbstbestimmte Kommunikation nur noch sehr eingeschränkt möglich ist.
Wer sich diesem Fakt nicht nur mit Protestnoten an seine Regierung unterwerfen möchte, muss notwendiger Weise neue Infrastrukturen entwickeln. Das haben viele TechnikerInnen, NutzerInnen und AktivistInnen verstanden: Unmengen an Geld wurden in kürzester Zeit für die ersten Mammutaufgaben gesammelt und ProgrammiererInnen weltweit haben die Herausforderung angenommen. Jetzt braucht es nur noch NutzerInnen, die diesen Schritt mitgehen und an ihrer Nutzungspraxis arbeiten.
Hier setzt ein weiterer Teil der gern übersehenen Aktivitäten des letzten Jahres an: An vielen Orten finden Cryptopartys statt oder werden Workshops und Veranstaltungen angeboten, wo sich NutzerInnen beispielsweise mit Verschlüsselung auseinandersetzen können. Zudem versuchen NetzaktivistInnen, Leute nicht nur auf die Straße, sondern als NutzerInnen zu mobilisieren. Alle bisherigen Mobilisierungsversuche blieben jedoch eher auf den eigenen Kreis beschränkt - so auch am 5. Juni 2014, dem Aktionstag »Reset the Net«. (4) Doch damit nicht genug - leider werden viele Bemühungen von der radikalen Linken als orientierungs- und wirkungslos belächelt. Dabei sind es gerade sie, die Linken, die in der Auseinandersetzung schlichtweg fehlen.
Ein anderes Netz ist möglich
So starren alle aufeinander und erwarten, dass die jeweils anderen endlich eine Bürgerrechtsbewegung initiieren und den Protest organisieren wie damals die Antiatom-, die Friedens- oder die Antivolkszählungsbewegung. Aber solange nicht jedeR von uns sich dazu berufen fühlt, wird es eine solche Bewegung nicht geben. Denn dieses Thema ist zu umfassend, als dass es ein Spezialthema für eine kleine Gruppe von Nerds bleiben kann. Wenn der Protest so groß wie der der Antiatombewegung werden soll, dann muss das Thema Spektren übergreifend alle bewegen.
Wir dürfen dabei aber auch nicht vergessen, dass der Gegner in dieser Auseinandersetzung übermächtig ist. Denn nicht die NSA ist der Gegner, nicht nur »die Dienste«. Die Überwachung, die Sabotage der Internetinfrastruktur und der Machtmissbrauch, die das Internet zu einem Kontrollinstrument über die Bevölkerung und zur Aufstandsbekämpfung umfunktionieren, dienen unterm Strich der Sicherung der politischen und wirtschaftlichen Herrschaft. Wenn wir dem etwas entgegensetzen wollen, geht es um nichts Geringeres, als eben diese auf allen Ebenen infrage zu stellen: politisch, organisatorisch und ideologisch.
Susanne Lang schrieb in ak 587, dass vor allem eine kollektive Praxis gegen Überwachung schützt.
Anmerkungen:
1) Dieses Vorgehen wird von Edward Snowden selbst in einem Interview ausführlich begründet: nbcnews.com/feature/edward-snowden-interview.
2) Auf der Veranstaltung »Captain Snowden gegen NSA, BND und für eine Welt ohne Geheimdienste?« lassen sich die Positionen der Grünen und der LINKEN gut nachvollziehen. Siehe youtube.com/watch?v=-RVM6cf557U.
3) Die Stellungnahmen der juristischen Sachverständigen im NSA-Untersuchungsausschuss im Detail zum Download: bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/ua/.
4) Informationen unter resetthenet.org.