Alles halb so schlimm? (1)
Montagsdemos Eine Befragung unter TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen ergibt ein widersprüchliches Bild
Von Peter Ullrich und Simon Teune
Die seit März dieses Jahres stattfindenden »Montagsmahnwachen für den Frieden« wurden in den letzten Wochen aufgeregt diskutiert. Teile der Linken unterstützen sie als neue Friedensbewegung, andere warnen vor ihnen und organisieren zum Teil Gegenkundgebungen, weil sie die Mahnwachen als rechts, antisemitisch oder esoterisch wahrnehmen. Diese antagonistischen Einschätzungen basieren im Wesentlichen auf drei Quellen: sichtbare Aussagen auf den Mahnwachen (Reden, Plakate, Slogans etc.), Wissen über zentrale Einzelpersonen und Beiträge auf Webseiten und in Internetforen im weiteren Umfeld der Bewegung.
Insbesondere bei den beiden letztgenannten Quellen ist unklar, inwiefern sie die Proteste auf den Plätzen repräsentieren. Über die meisten TeilnehmerInnen der Mahnwachen wissen wir äußerst wenig. Welche Anliegen treiben die Leute zu den Mahnwachen? Wie rechts oder links sind sie eingestellt? Über welche Netzwerke wurden sie mobilisiert? Welche sozialen Hintergründe haben sie? Fragen dieser Art hat das Institut für Protest- und Bewegungsforschung in einer Onlinebefragung untersucht, zu der TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen in fünf Städten mit Handzetteln eingeladen wurden. Erste Ergebnisse von der größten der bundesweit stattfindenden Mahnwachen in Berlin am 26. Mai dieses Jahres stellen wir hier vor. (2)
Breite Ablehnung des Links-rechts-Schemas
Die Hälfte der Befragten ist nicht älter als 35 Jahre. Im Vergleich mit vorangegangen Befragungen bei den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV (20 %) oder gegen Stuttgart 21 (17 %) sind die MahnwachenbesucherInnen jung. Die meisten sind berufstätig oder SchülerIn/StudentIn. Mit neun Prozent liegt der Anteil der Erwerbslosen leicht unter dem Berliner Durchschnitt.
Etwa ein Drittel gibt ein abgeschlossenes Studium als höchsten Bildungsabschluss an. Dieser Wert liegt über dem Bundesdurchschnitt, aber unter dem anderer Demonstrationen (gegen Hartz IV: 35 %, gegen Stuttgart 21: 50 %). Aktive Frauen spielen offensichtlich nur eine Nebenrolle. Auf den Bühnen finden sich fast nur männliche RednerInnen. Auch wenn uns das Verhältnis bei der Verteilung der Handzettel ausgewogener erschien, beteiligten sich an der Umfrage zu 70 Prozent Männer.
Auf den Mahnwachen werden die unterschiedlichsten Anliegen gesellschaftskritischer, aber auch esoterischer und spiritueller Art vertreten; auch um kollektive Veränderung und Selbstveränderung geht es. Doch gibt es, wie sich in zwei offenen Fragen zu den Anliegen der Mahnwachen zeigt, klare Hauptthemen. Ganz oben rangiert »Frieden«, der zumeist abstrakt gefordert wird; nur selten wird es konkreter (beispielsweise »Stopp von Rüstungsexporten«). Es folgen »Medienkritik« (inklusive verschiedener Aufklärungs- und Enthüllungsanliegen) sowie »Geld-/Zinskritik«.
Doch auch kapitalismuskritische/anti-neoliberale (z.B. gegen das Freihandelsabkommen TTIP) und umweltpolitische Anliegen sind ähnlich wichtig sowie, wiederum meist abstrakt und unspezifisch, »Freiheit« und »Gerechtigkeit«. Häufig werden Demokratiefragen thematisiert, jedoch auf einem Spektrum von Forderungen nach mehr Partizipation, über Kritik an Lobbyeinfluss und Kungelei bis hin zu Politikerschelte über »Entfremdung der Politik vom Volk«.
Auf den ersten Blick ist das Publikum weit weniger rechts als die aufgeheizte Diskussion vermuten lässt. Nur zwei Prozent der Befragten verorten sich rechts von der Mitte. Ein Fünftel sieht sich in der politischen Mitte und weitere 28 Prozent links oder eher links (zum Vergleich: gegen Hartz IV: 70 %, gegen Stuttgart 21: 55 %). Auffällig ist allerdings, dass sich 39 Prozent auf dieser Skala überhaupt nicht verorten wollen. Dass mehr als zwei Drittel der Ansicht sind, dass die Kategorien »rechts« und »links« überholt seien, zeigt, dass das entsprechende Mantra der MahnwachenorganisatorInnen mehrheitlich geteilt wird. Die KritikerInnen, die darin eine fehlende Abgrenzung nach rechts sehen, dürften sich damit bestätigt sehen.
Ambivalent sind auch die Parteipräferenzen der MahnwachenteilnehmerInnen. Befragt nach ihrer Wahlentscheidung bei der letzten Bundestagswahl liegen drei Parteien über dem Berliner Durchschnitt: die LINKE mit 42 Prozent, die Piraten (15 %) und die AfD (13 %). Mehr als ein Drittel haben sich jedoch gar nicht erst an der Wahl beteiligt oder ungültig gewählt. SPD (3 %) und CDU (4 %) fanden nur marginale Unterstützung unter der Fünf-Prozent-Hürde.
Kaum Menschen mit geschlossen rechtem Weltbild
Zur Abfrage rechtsextremer Einstellungen enthielt der Fragebogen eine gekürzte Version des Rechtsextremismus-Index, der in den Leipziger Mitte-Studien entwickelt wurde. Der Befund ist eindeutig: nur zwei der 330 Befragten haben nach diesem Index ein geschlossenes rechtes Weltbild (im Vergleich zu fast sechs Prozent in der Gesamtbevölkerung). Fast alle Aussagen, die zur Erstellung des Indexes beurteilt werden sollen, stießen auf überwältigende Ablehnung.
Nur eines der acht abgefragten Statements stellt eine Ausnahme dar: »Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.« Hier stimmten 19 Prozent ganz und weitere 15 Prozent überwiegend zu. Das ist ein Vielfaches der Zustimmung in der Gesamtbevölkerung. Eine Positionierung, die im Widerspruch zu einer generell hohen Wertschätzung von Demokratie als Idee steht (nicht aber zu ihrem Funktionieren in der BRD).
Eine Offenheit für rechtes Gedankengut kommt in der Zustimmung zum Ausdruck, die verschiedene Zitate aus Reden und aus dem Umfeld der Montagsdemos erhalten. Überwältigende Teile sind der Ansicht, dass eine »nahezu gleichgeschaltete« Presse die Mahnwachen in die rechte Ecke stellt (86 %), dass dahinter »geheime Gruppen und Absprachen« stehen (71 %), dass »das amerikanische Militär nur ein Knüppel der FED« (52 %) und die BRD kein souveräner Staat ist (62 %).
Immer noch 27 Prozent unterschreiben die antisemitische Aussage des Berliner Mitorganisators Ralf Schurig: »Die Zionisten haben sich weltweit an die Hebel der Macht gesetzt und lassen nun Politik, Börse und auch die Medien nach ihrer Pfeife tanzen.« Berechtigte Kritik an den Reden auf den Mahnwachen erkennen dagegen nur sieben Prozent.
Gefahr einer rechts-autoritären Zuspitzung
Viele Indikatoren deuten darauf hin, dass es sich bei der Bewegung noch immer um ein fluides, nicht fest konturiertes Phänomen handelt. 17 Prozent der Befragten begreifen sich eher als ZuschauerInnen denn als TeilnehmerInnen der Mahnwache. Nicht einberechnet sind dabei (und bei allen anderen hier vorgestellten Daten) die vielen »DemobeobachterInnen« aus der linken Szene.
Mit 42 Prozent liegt auch die Zahl derer sehr hoch, für die die Mahnwachen die erste Protesterfahrung ist. Wenn die BesucherInnen der Mahnwachen politisch aktiv waren, dann eher in niedrigschwelligen Formen wie Petitionen oder politisierte Konsumentscheidungen. Erfahrungen mit konflikthaften Protestformen gibt es dagegen kaum. Vorher bestehende politische Netzwerke haben bei der Mobilisierung kaum eine Rolle gespielt. Die entscheidenden Informationskanäle, die die Befragten zur Teilnahme bewegten, waren soziale Netzwerke im Internet (80 %) oder Gespräche im direkten Umfeld (60 %)
Insgesamt ergibt die Befragung ein widersprüchliches Bild, das sich einer eindeutigen Einordnung entzieht. (Siehe ak 594). Ähnlich wie bei der Occupy-Bewegung spielen soziale Medien eine entscheidende Rolle bei der Beschaffung und Bewertung von Informationen und in der politischen Aktivierung. Ein Großteil der Teilnehmenden hat jedes Vertrauen in bestehende Institutionen verloren und scheint in den Mahnwachen eine politische Heimat gefunden zu haben, die gegen Kritik von außen verteidigt wird. Die Beteiligten sind nicht durch Einbindung in bestimmte Szenen oder Netzwerke - weder von rechts noch von links - »ideologisch gefestigt«. So lässt sich das teilweise inkonsistent erscheinende Antwortverhalten erklären.
Dass rechtsextreme Einstellungsfragmente zum Teil weit verbreitet sind und einige der Bewegungsrepräsentanten Überschneidungen mit der rechten Szene haben, macht deutlich, dass hier, anders als bei Occupy, die Gefahr einer rechts-autoritären Zuspitzung besteht. Zumindest populistische Themen haben einen fruchtbaren Nährboden. Inwiefern diese Option ihre Realisierung findet, hängt sicher auch von den weiteren (Deutungs-)Angeboten ab, die denjenigen TeilnehmerInnen gemacht werden, die dieser neuen Bewegung möglicherweise auch über den Sommer hinweg treu bleiben.
Peter Ullrich und Simon Teune sind Soziologen und forschen am Institut für Protest- und Bewegungsforschung i.G. an der Technischen Universität Berlin u.a. zu sozialen Bewegungen, Antisemitismus und Engagement gegen Rechts.
Anmerkung:
1) aktualisierte Fassung vom 18.6.2014
2)Die ausführliche Auswertung ist unter protestinstitut.eu nachzulesen.