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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 595 / 17.6.2014

Der Beton-Zyklus

Deutschland Wie ein Kaufhaus-Bauklotz den nächsten ablöst und was das für die Entwicklung eines Stadtteils bedeutet

Von Ulf Treger

»Die Schau war perfekt im neuen Einkaufs-Dorado: Sonderangebote in Hülle und Fülle, Lärm, Jubel, Verkehrsstockungen drumherum, Menschen bepackt mit prall gefüllten Werbetüten. Geschrei und Begeisterung überall.« Höchst euphorisch beschreibt das Hamburger Abendblatt im Oktober 1973 die Eröffnung des Einkaufszentrums Altona Frappant in der Großen Bergstraße. Da sich seitdem nicht nur das Betongold in der Großen Bergstraße abgenutzt hat, sondern auch die landläufige Begeisterung für kapitalistische Feierlichkeiten, werden künftige Berichte aus dieser Ecke Hamburgs etwas verhaltener ausfallen. Denn Ende Juni eröffnet hier ein neues Möbelhaus, die erste innerstädtische Ikea-Filiale Deutschlands.

Dessen Neubau erscheint sehr viel nüchterner und profaner als vor 40 Jahren das modernistische Frappant mit seinen Versprechen nach Vielfalt und Komfort für »muntere Einkaufsbummler« auf der »quirligen Jagd nach Mini-Preisen und Maxi-Verlockungen«. Die aktuelle Bebauung wird selbst von beteiligten ArchitektInnen emotionslos als »massives Bauvolumen« beschrieben, dessen Stahlbeton durch variierende, je nach Blickwinkel blau-gelbe oder weiße Metallpaneele in Form eines »Strichcode« kaschiert wird.

Dieser neue Klotz ersetzt also den alten, das Fixierbild aus auswechselbaren Oberflächen den offenen, rohen Waschbeton. Das alte Gebäude wurde bis zu seinem Abriss vor zwei Jahren medial als Bausünde verhandelt, während das Veranstaltungszentrum Hafenklang und die KünstlerInnen nebenan das Frappant durch ihre sehr charmante wie pragmatische Nutzung aneigneten. »So könnte es bleiben«, dachten nicht nur sie, sondern auch besorgte AnwohnerInnen, die mit Blick auf die Turbogentrifizierung in den benachbarten Stadtteilen St. Pauli, Schanzenviertel und schon zuvor in Ottensen ihre Sorge artikulierten, dass ein Tabula Rasa durch Abriss und Ansiedlung eines großen Möbelkonzerns die Struktur und das Miteinander im Stadtteil dramatisch gefährden würden.

Wer profitiert von der Ikea-Ansiedling?

Ein Bürgerbegehren für Ikea im Januar 2010, initiiert durch ansässige Kaufleute und unterstützt von Medien und Politik (mit Ausnahme der Linkspartei), errang jedoch eine Mehrheit. Das konkurrierende Gegenbegehren hatte keine Chance und wurde nicht zur Abstimmung zugelassen. Danach verebbten die Debatten, das Frappant-Gebäude wurde trotz Protesten und alternativen Nutzungskonzepten leergeräumt. Als Vorboten der künftigen Veränderung öffneten die ersten Landliebe-Bistros in der Straße. Deren deutlichste Differenz zur Umgebung waren nicht etwa die rohen Holzmöbel oder die rotkarierten Tischdecken, sondern eine völlig andere Zusammensetzung ihrer Kundschaft als die RentnerInnen und MigrantInnen in den Simit-Bäckereien und Eisdielen nebenan. Neu ins Bild schob sich eine weiße Mittelschicht, radfahrende Bionade-TrinkerInnen und Kleinfamilien mit akademischem Hintergrund.

Dieser Kontrast setzte sich in Straßenbefragungen durch Zeitungen, Funk und Fernsehen fort. So konnte man beobachten, wie gelegentlich Fernsehteams oder RadioreporterInnen durch die Große Bergstraße pirschten, dabei große Bögen um RentnerInnen mit »Hackenporsche« oder türkische Mütter mit Kind und Kegel machten, um sichtlich erfreut (»Die sprechen bestimmt verständliches Deutsch«) auf durch die vermeintliche Betonwüste hastende, weiße Middle-Ager zuzusteuern und ihnen durch Suggestivfragen freudige Zustimmung zum Schandfleck-Diskurs abtrotzten. Erst vor einigen Wochen platzierte die Lokalzeitung Hamburger Morgenpost eine Straßenumfrage zur Ästhetik des immerhin schon als »Ikea-Klotz in Altona« bezeichneten Gebäudes und schaffte es, ausschließlich weiße PassantInnen mittleren Alters zu befragen.

Jetzt steht das Möbelhaus kurz vor der Eröffnung. Aber wer wird von dessen Ansiedlung mitten in der Stadt profitieren? Nicht nur zahlungskräftige HamburgerInnen, die durch die beginnende Aufwertung des Stadtteils angezogen und so den mit den Bistros und Straßenumfragen vorweggenommenen Verdrängungsprozess verstärken werden. (1) Vor allem profitieren die EigentümerInnen der angrenzenden Immobilien. Seit der Entscheidung für den Ikea-Neubau entwickeln sich heftige Umbauaktivitäten entlang der Fußgängerzone in der Großen Bergstraße, in deren Zuge eine ganze Reihe von alteingessenen Geschäften verdrängt wurden - ironischerweise auch solche, die das Bürgerbegehren Pro Ikea kräftig unterstützt hatten.

Das Filetstück »Bergspitze«

Das »Bergspitze« genannte, direkt gegenüber des Möbelhaus-Neubaus gelegene Grundstück ist ein schauriges Beispiel für das in Hamburg herrschende Paradigma einer Stadtentwicklung, die sich in erster Linie als dienstfertige Ermöglichung wirtschaftlicher Aktivitäten versteht - und im Gegenzug gerne auf einen sozialen, gar in offenen Kommunikationsprozessen verhandelten Gestaltungswillen verzichtet. Um den Anforderungen des Investors zu entsprechen, wird ein erhebliches Stück des angrenzenden Goethe-Platzes zugebaut, die sonst hoch gehaltene einheitliche Bauhöhe überschritten, der Bebauungsplan für den gesamten Straßenzug aktualisiert und auch noch eine vertragliche Fixierung des sonst üblichen Drittelmixes »vergessen«.

Dieser Mix wird von der regierenden SPD als soziale Abfederung beim Ausbau der »wachsenden Stadt« Hamburg gesetzt und schreibt eine Mischung aus einem Drittel geförderten Wohnraum, einem weiteren Drittel freifinanziertem Wohnraum sowie einem Drittel Eigentumswohnungen vor. Damit liegt der Anteil des sozialen Wohnraums allerdings deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf in Hamburg. Da die Mietpreisbindung in der Regel nur für zehn Jahre festgeschrieben ist, kann dieses ordnungspolitische Mittel den massiven Wegfall von Sozialwohnungen langfristig nicht kompensieren, trübt dafür aber nur wenig die Aussicht auf maximale Rendite.

Für dieses Filetstück an der Großen Bergstraße wurde nun diese Vorgabe weggelassen - versehentlich, wie von städtischer Seite beteuert wird. Die Initiative anna elbe, die die Entwicklung der Großen Bergstraße und anderer prekärer Orte in Altona kritisch begleitet, hat diesen Fehler öffentlich thematisiert. (2) Dabei hat sie auch ein wenig im Baugesetzbuch geblättert und den Bezirk darauf hingewiesen, dass es eine rechtliche Option gäbe, den Fehler zu korrigieren. Allein, der Bezirk sieht sich dazu außerstande. Das wird den Eigentümer der skandalösen Bergspitze und damit Nutznießer dieser und aller anderen Gefälligkeiten gefreut haben: Der Investor Hermann Friedrich Bruhn ist der wichtigste Akteur auf der Großen Bergstraße, mit seiner Immobilienfirma besitzt er noch weitere Gebäude zwischen dem künftigen Möbelhaus und dem Bahnhof Altona. Laut Pressemeldungen wird sich in seinen Immobilien ein einschlägiger Mix aus von anderen Einkaufstraßen bekannten Modehäusern und Restaurantketten einmieten.

Mit einer aufgewerteten Altona-Altstadt wären praktisch alle citynahen Stadtteile gut durchentwickelt oder auf dem Weg dazu. Die Retortensiedlung Hafencity verkauft sich - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung - ganz gut. Mit Internationaler Bauausstellung und Internationaler Gartenschau 2013 wurden halbwegs erfolgreich auch die südlich der Elbe gelegenen Bezirke auf die Agenda von InvestorInnen gesetzt. Auf der anderen Seite der Achse, direkt hinter dem Bahnhof Altona, wurde mit den Vorarbeiten für den ersten Bauabschnitt der »Neuen Mitte Altona« begonnen. Nur ein paar Blocks entfernt vom Möbelhaus wird hier eine kleine Schwester der Hafencity entstehen, vermutlich etwas weniger extravagant an Erschließungskosten und Grundstückspreisen, aber in den Händen von nur drei Immobilienfirmen und konzipiert mit einem äußerst fadenscheinigen Beteiligungsverfahren.

Hier ist zu befürchten, dass die Deutsche Bahn durch eine Verlegung des Fernbahnhofs Altona auch das zweite Teilstück des geplanten Areals freigibt. Damit würde sich nicht nur die Fläche der »Neuen Mitte« verdoppeln, sondern das Zentrum Altonas seiner Funktion als Verkehrsknotenpunkt beraubt - aus dem Bahnhof Altona würde ein schnödes Shopping-Center.

Widersprüche werden weggetrommelt

Bei den jüngsten Kommunalwahlen musste die in Hamburg regierende SPD empfindliche Verluste hinnehmen, vor allem in Altona und St. Pauli - sicherlich nicht nur, aber auch als Nachhall ihrer kaltherzigen und technokratischen Politik rund um die Flüchtlinge der Lampedusa-Gruppe, die Gefahrengebiete und die auf Eskalation angelegten Polizeieinsätze. Aber selbst wenn die emotionale Bindung der UntertanInnen zu ihrem Bürgermeister spürbar leidet, läuft das Geschäftliche immerhin gut in der Hansestadt. Was noch fehlt, ist ein großer, die einzelnen Stadtteile Hamburgs übergreifender Paukenschlag, eine Orchestrierung von großformatigen räumlichen, ordnungspolitischen und vor allem emotionalen Maßnahmen.

Mit der aktuell diskutierten Bewerbung für die olympischen Sommerspiele 2024 würde ein entsprechender Resonanzkörper gebildet, mit dem Problemstellen und Widersprüche weggetrommelt werden könnten, angesichts eines großen Zieles: Hamburg als Weltstadt darzustellen, ohne lästige Partikularinteressen, Wutbürgertum oder soziales Elend. Dabei wird es nicht wirklich wichtig sein, dass Hamburg die Olympia-Bewerbung gewinnt. Der Weg dahin, die Mobilisierung und Vorbereitung allein sollte genug Potenzial entwickeln, um die Stadt weiter umzustrukturieren, Bevölkerungsschichten auszutauschen und Immobilienbesitz weiterhin als eine höchst attraktive Investition zu erhalten.

Dass eine solche Imageproduktion nicht immer gut funktioniert, zeigen die von der Bevölkerung abgelehnte Bewerbung Münchens oder das finanzielle Desaster der Olympiastädte Athen und London. (3) Durch die Inszenierung städtischer Größe entsteht deshalb auch die Gelegenheit, dass städtische Missstände und sich verschärfende soziale Ungerechtigkeiten breit und antagonistisch thematisiert werden können. Im olympischen Jahr 2024 steht dann möglicherweise in der Großen Bergstraße in Hamburg-Altona wieder ein Klotzproblem auf der Agenda, wenn die gelb-blaue Oberfläche des Möbelhauses mit Moos bewachsen ist, sich nur noch wenige Billy-Regale verkaufen und eine Hamburger Tageszeitung lautstark fordert, dass dieser Klotz endlich verschwinden soll.

Ulf Treger schreibt gelegentlich zu urbanen Orten, digitalen Medien und Kontrollgesellschaft und lebt in Hamburg-Altona.

Anmerkungen:

1) Eine ähnliche Beobachtung wird im Artikel »Morgen werdet ihr sehen! Antimuslimischer Urbanismus und Widerstand in Hamburg-Altona« geschildert, erschienen in ak 585 vom 14.8.2013.

2) Auf der Website des Projekts anna elbe gibt es eine Übersicht zur Entwicklung der Großen Bergstraße und der Bergspitze: www.annaelbe.net/ort_bilder_bergspitze.php.

3) Für eine genauere Einschätzungen siehe u.a. einen aktuellen Vergleich von Mehmet Yildiz und Özgür Yildiz in einer Veröffentlichung der Linksfraktion der Hamburger Bürgerschaft: bit.ly/1jc5UVT (21.5.2014).