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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 595 / 17.6.2014

Meinung

Warum auch Linke für Jogis Jungs sein dürfen

Unter Linken ziemt es sich gemeinhin nicht, dem deutschen Team bei Länderspielen die Daumen zu drücken. Wer die Begegnungen der DFB-Elf bei Welt- oder Europameisterschaften in Kneipen oder beim Public Viewing schaut, bekommt vor allem bei Niederlagen »unserer Jungs« einen manifesten Eindruck von der Kehrseite des abgefeierten deutschen Fußballparty-Nationalismus. In den vielerorts beobachteten »Nie wieder Pizza«-Rufen und den teilweise in die Tat umgesetzten Prügelandrohungen gegen fröhliche Italien-Fans nach der 1:2-Pleite im Halbfinale der EM 2012 zeigte sich der mit einem beängstigenden Überlegenheitsgefühl sich paarende debil-deutsche Chauvinismus von seiner widerlichsten Seite.

Aber rechtfertigen es diese paar IdiotInnen wirklich, dass Linke in ein von blankem Hass kaum mehr zu unterscheidendes, weil gnadenlos schadenfrohes Triumphgeheul ausbrechen, wenn sie Mario Balotellis steife Jubelpose mit vom Körper gerissenem Trikot, grimmigem Blick und stolzgeschwellter Machohaltung betrachten? Ist der italienische Nationalismus so viel besser als der deutsche? Und warum versuchen so viele Linke, all jenen ihre Freude zu nehmen, die sich am wunderbaren deutschen Spiel berauschen möchten, ohne sich irgendwelche Gedanken über Politik machen zu wollen? Die allerwenigsten von ihnen hegen den feuchten Traum, nach dem WM-Sieg erstmal auf Ketten nach Frankreich zu fahren.

Vielmehr sehen die meisten Fußballbegeisterten in einer EM oder WM eine Möglichkeit, ihrem oftmals von zermürbenden Arbeits- und Lebensbedingungen gebeutelten Alltag zu entfliehen und das Leben zumindest zeitweise in eine Oase des Glücks zu überführen, in der völlig unterschiedliche Charaktere friedlich zusammenfinden und feiern. Selbstverständlich nutzen Merkel und Co. solch sportlichen Großereignisse gern, um sich im Ruhm der Athleten zu sonnen und in dem als Mittelschicht etikettierten Teil der Bevölkerung ein dumpfes »Wir Leistungsträger gegen die bösen Schmarotzer aus dem Süden«-Gefühl zu entfachen. Darauf fällt doch wohl aber wahrlich kaum jemand herein.

Was spricht dagegen, sich diesbezüglich in Gelassenheit zu üben? Menschen stecken nun mal voller Widersprüche - und das ist auch gut so. Wer deutsche Fußballfans pauschal als Nazis beschimpft, negiert dies und bewirkt bei den Menschen keine weltanschauliche Veränderung, sondern nur berechtigte Verwunderung. Zumal mittlerweile auch der allerletzte »Nie wieder Deutschland«-Propagandist begreifen könnte, wie wenig der aus dem Fußballsteinzeitalter stammende Stumpfsinn der primitiven »Wir sind hart wie Kruppstahl«-WM-Songs von Oliver Pocher bis Melanie Müller mit dem zu tun hat, was die deutsche Fußballnationalmannschaft seit fast zehn Jahren verkörpert. Mit ihrem Amtsantritt als Trainerteam haben Jürgen Klinsmann und Joachim Löw ab 2004 das etabliert, was der argentinische Trainer César Luis Menotti einst als linken Fußball theoretisiert hat.

Dem linken Fußball geht es demnach nicht in erster Linie um den Sieg, sondern darum, dem Publikum ein ästhetisches Offensivspiel zu präsentieren. Dadurch, dass Klinsmanns Nachfolger Löw seit 2006 die sportlichen Geschicke der Nationalmannschaft in vielerlei Hinsicht autonom vom erzkonservativen DFB lenken kann, gelang es ihm, gegen den anfänglich geballten Widerstand im Verband seine Spielidee durchzubringen, die er pointiert so beschreibt: »Schnell nach vorne, technisch gut, direkt, flach. Kein großes Taktieren und stattdessen ein hohes Spieltempo, wozu ein gewisses Risiko und ein relativ gelassener Umgang mit Fehlern gehören«.

Galt zuvor noch, die Deutschen seien eine Turniermannschaft, die immer hässlich spiele und trotzdem gewinne, haben Klinsmann und vor allem Löw das Team zu einer begeisternden Gruppe geformt, die stets am Ende ohne Titel dasteht, dafür aber den Menschen durch ihren beherzten Spielstil viele schöne Stunden bereitet.

Bei den aus deutscher Sicht siegreichen Weltmeisterschaften 1974 und 1990 gab es auf den Straßen nicht annähernd so viele fröhlich-enthusiastische Fußballfans wie bei den letztlich knapp verlorenen Weltmeisterschaften 2006 und 2010. Löw stellt grundsätzlich Offensiv- über Sicherheitsfußball. Italiens defensives Rasenschach oder Spaniens »Tiki Taka«-Geduldsspiel mit maximalem Ballbesitz und häufigen 1:0-Siegen mögen seit 2006 immer siegreich gewesen sein, Deutschlands risikoreiches Umschaltspiel mit Halbfinal- und Finalniederlagen aber erstürmte spätestens seit 2008 zu Recht die Herzen der weltweiten Fußballgemeinde.

Joachim Löw blieb selbst nach dem EM-Halbfinale 2012 gegen Italien besonnen und stellte die attraktive Spielweise seiner Mannschaft heraus, ja sprach sogar nach jenem vierten titellosen Turnier unter seiner Mitwirkung von einem echten Erfolg. Das konnten die Gurus von Bild bis Beckenbauer natürlich nicht auf sich sitzen lassen und schimpften auf die defensivfeindliche DFB-Multi-Kulti-Truppe, welche die Hymne nicht mitsinge und sowieso keinerlei Passion für Deutschland empfinde.

Auch bei der WM in Brasilien ist von der deutschen Mannschaft schöner Fußball, aber kein Titel zu erwarten. Und mal ehrlich: Was gibt es für Linke denn Schöneres, als das tolle deutsche Spiel zu genießen und nach einer wieder einmal spielerisch reizenden Zeit mit einem erneut verlorenen K.O.-Rundenmatch genüsslich die Bild-Zeitung aufzuschlagen, um das empörte Motzen der reaktionären Redakteure und der senilen ExpertInnen über die ach so bösen Migranten im Team zu lesen, die das Hymnensingen verweigern und die unter einem Trainer spielen, dem ein 4:4 mit unglücklicher Pleite in der Verlängerung notfalls lieber ist, als sich zu einem drögen 1:0-Sieg zu bibbern?

Christian Baron